Wir drehen uns im Kreis. Das ist eine Feststellung, die man – in Anbetracht der Tatsache, wie oft die Implikationen und die zugrunde liegende Logik von Fragen wie "Wo kommst du denn wirklich her", diskutiert werden – durchaus so tätigen kann. Betroffene schildern immer wieder ihre Wahrnehmung, woraufhin sie nicht selten als "zu sensibel" bezeichnet werden. Auf der anderen Seite steht die Frage danach, ob ernsthaftes Interesse an der Migrationsbiografie einer Person denn tatsächlich rassistisch motiviert sei. 

Wo du herkommst, habe ich gefragt! 

Das alles wird im Moment wieder diskutiert. Auslöser ist ein Video von der deutschen Show "Das Supertalent", in dem der Juror Dieter Bohlen ein fünfjähriges Mädchen fragt, woher sie denn komme. Mit ihrer Antwort, "aus Herne", gibt sich Bohlen nicht zufrieden und bohrt deshalb weiter: "Und Mama und Papa? Philippinen, oder...?" 

Das Mädchen, sichtlich verstört, antwortet, dass die Eltern auch in Herne seien. Spätestens hier hätte der Juror die Bremse ziehen müssen, denn alle deutete darauf hin, dass das Mädchen sich und ihre Eltern nun mal als "aus Herne" sehe. Aber Bohlen hört nicht auf: "Wo kommt ihr her, aus welchem Land, gebürtig?" – "Ich weiß es nicht", antwortet das Mädchen, nicht wissend, worauf dieser Mann hinaus möchte. Er fragt dann weiter, woher denn Oma und Opa kommen. Die Mutter antwortet dann vom Bühnenrand: "Thailand".

Jetzt ist Dieter Bohlen beruhigt. Er wusste es doch, "ganz" Deutsch kann sie ja nicht sein. Offenbar kann man das Deutschsein an Äußerlichkeiten festmachen. Bewusst oder unbewusst hat er damit die Grundproblematik dieser Debatte auf den Punkt gebracht und nebenbei auch sein (und das von vielen anderen) problematisches Herkunftskonzept offenbart.

Das Supertalent

"Aber er wollte doch nur wissen, wo sie herkommt"

So reagierten viele auf den Videoausschnitt, der nicht nur in mir vieles bewegte. Daraufhin teilten hunderte Menschen mit Migrationsgeschichte ihre Erfahrungen auf Social Media und markierten sie mit dem Hashtag #vonhier. Es ist nicht überraschend, dass die meisten negativen Reaktionen darauf von Menschen kommen, die nicht wissen, wie es ist, in einer solchen Situation zu sein. 

Dennoch bleibt offen, ob die Frage per se rassistisch sei. 
Meiner Meinung nach – und es ist wichtig hier die Subjektivität dieser Einschätzung zu unterstreichen – ist sie das erstmal nicht. Sie kann aber zu einer rassistischen Frage oder, präziser ausgedrückt, zum Ausdruck einer rassistischen Gesinnung werden, wenn sie wiederholt wird – so, wie es Bohlen getan hat.

In anderen Worten: Die Frage an sich ist - je nach Kontext - harmlos. Das ist sie aber nicht mehr, wenn damit anderen die Selbstidentifikation strittig gemacht oder abgesprochen wird. Dabei ist es nicht die Frage selbst, die problematisch ist, sondern die Logik dahinter und vor allem das, was das Wiederholen der Frage bei Betroffenen auslösen kann.

Unbekannte Vorgeschichte

Denn eines ist klar: Wir wissen nicht, was in unserem Gegenüber vorgeht, welche Geschichte er oder sie mit sich trägt. Die Frage um die es geht kommt meistens auch als eine der ersten "Smalltalk"-Fragen im ersten Aufeinandertreffen. Vielleicht beschäftigt sich das Gegenüber gerade selbst mit den eigenen Identitäten und Zugehörigkeitsgefühl und kämpft mit sich selbst. Vielleicht wird die eigene Migrationsbiografie aufgearbeitet oder die Fluchterfahrung wird reflektiert. Was aber immer zutrifft, ist, dass Menschen, denen man die Migrationsbiografie ansieht, weil sie nicht dem Mainstream-Phänotyp der Breitengrade im jeweiligen Land entsprechen, diese Frage nicht zum ersten Mal gestellt bekommen. Ebenso wenig wird zum ersten Mal nachgebohrt, woher man denn wirklich komme. Ob man also will oder nicht, man wird schon ganz früh dazu gezwungen, sich mit Herkunft, Identität und Zugehörigkeit auseinanderzusetzen – und das ist nicht immer einfach. Es nicht tun zu müssen, das ist ein Privileg. Denn klar ist, wäre das auf der Bühne ein Mädchen, dem man die Migrationsbiografie nicht ansieht, so hätte Dieter Bohlen sie bestimmt nicht danach gefragt, woher sie denn wirklich komme.

Bohlen akzeptierte die Antwort "aus Herne" nicht und sprach dem Mädchen ab, echte Deutsche zu sein.
Foto: APA/EPA/INGO WAGNER

Antwort akzeptieren

Deshalb ist es auch so wichtig die Antwort des Gegenübers zu akzeptieren, unabhängig davon, ob sie in das eigene Bild passt oder nicht. Denn wenn jemand sagt, er kommt aus der Stadt X oder dem Land Y, dann bedeutet das, dass sich die Person mit eben dieser Stadt identifiziert und auch als Teil dieses Kollektivs wahrgenommen werden möchte. Alternativ kann es aber auch bedeuten, dass die Person in dem Moment schlichtweg nichts über die Migrationsbiografie kundtun möchte. Das muss sie nämlich auch nicht. 

Bohrt man aber trotzdem nach und fragt nach dem Land, aus dem man wirklich herkommt, oder wo die Eltern herkommen, dann ist die Bedrängnis des Gegenübers vorprogrammiert. Die Reaktionen sind unterschiedlich. Es gibt gewiss auch jene, die das nicht stört. Es geht aber um das, was man in diesem Fall selbst suggeriert, wenn man auf diese Art und Weise nachbohrt. 

Zum Einen ist das ein Negieren des Rechts auf Identifikation und Selbstbestimmung. Somit auch in gewisser Weise eine Negierung des Seins. Man kann das relativ gut mit Doppelnamen vergleichen. Angenommen wir wüssten, dass unser Gegenüber Peter-Max heißt. Er hat sich schon mal mit Peter vorgestellt. Niemand käme jetzt auf die Idee ihn trotzdem Max zu nennen. Denn Peter möchte Peter genannt werden. Niemand hat das Recht, das in Frage zu stellen. Genau das passiert aber. Peter hat vielleicht keine Lust seinen zweiten Vornamen kundzugeben, er möchte diese Information in diesem Moment schlichtweg nicht teilen. 

Genau diese Freiheit ist es, auf die Menschen mit Migrationsbiografie 
– vollkommen zurecht – pochen. Nämlich die Freiheit, nicht immer, überall und jedem, von der eigenen Migrationsgeschichte erzählen zu müssen. Diese Freiheit gilt es, fern von jeglichem Wissensdurst und Neugier, zu respektieren. 

DER STANDARD

Wer ist von da?

Und vor allem, wer darf es sein? Diese Frage schwingt hier nämlich ununterbrochen mit. Das ist auch das Grundproblem dieser Debatte und der zugrunde liegenden Logik des "Nachbohrens". Bohlen wollte nur aufgrund des Aussehen des Mädchens nicht akzeptieren, dass sie Deutsche ist und vor allem, dass sie sich als Deutsche sieht. In seinem Nachfragen suggeriert er, dass sie doch ganz sicher "fremdländische Wurzeln" habe, also nicht "ganz" Deutsch sein könne – das sieht man doch. Ganz nebenbei negiert er das Recht des Mädchens, sich mit Deutschland zu identifizieren.

Was aber darüber hinaus von immenser Bedeutung ist, sind die Prozesse, die Bohlen und Konsorten dadurch bei den Betroffenen auslösen. Wenn sich das Mädchen dann in ein paar Jahren zurückerinnert, das Ereignis als einschneidendes Erlebnis eingespeichert hat und vielleicht deshalb mit dem Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland kämpft – dann wird es vermutlich wieder dieselben neuen alten Debatten geben, bei denen wir uns fragen, warum sich manche Menschen aus Familien mit Einwanderungsgeschichte nicht oder nur wenig mit Deutschland oder Österreich identifizieren können. (Rami Ali, 4.3.2019)

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