Kaum eine Waffengattung hat so ein abschreckendes Potenzial wie Nuklearwaffen. Schon in der Vergangenheit ließen drohende Verluste Staaten einen nuklearen Konflikt nicht eingehen. Auch zwischen Indien und Pakistan ist ein Atomkrieg nach derzeitigem Stand wenig wahrscheinlich, in der aktuell aufgeheizten Stimmung bleibt er aber eine reale Gefahr. Viermal bekriegten sich die beiden Staaten bereits. In zwei Fällen wären Nuklearwaffen theoretisch zur Verfügung gestanden. Zum Einsatz kamen sie nie. Die Angst vor einem Einsatz wächst mit jedem weiteren Konflikt.

Ein Krieg mit jeweils rund 50 eingesetzten atomaren Sprengköpfen in der Dimension der über Hiroshima abgeworfenen Bombe (15 Kilotonnen) hätte globale Folgen. Durch die Detonationen würde bis zu fünf Millionen Tonnen Rauch erzeugt werden. Dieser würde sich in der Stratosphäre in 50 Kilometer Höhe äußerst schnell auf beinahe den ganzen Erdball ausbreiten, über Jahre bestehen bleiben, die Erde verdunkeln, die Jahresdurchschnittstemperatur bereits im ersten Jahr um bis zu drei Grad senken, den Niederschlag um bis zu zehn Prozent verringern und die Anbauperiode von Obst und Gemüse sowohl in der nördlichen als auch in der südlichen Hemisphäre um rund 30 Tage verkürzen, wie Geophysiker 2007 vorrechneten – die wohl dümmste und grausamste Möglichkeit zur Eindämmung der globalen Erderwärmung.

Die Angst vor einem nuklearen Winter ist nicht neu.
The New York Times

Von den knapp 15.000 nuklearen Sprengköpfen, die nach wie vor im Umlauf sind (rund 6.800 entfallen auf Russland, rund 6.500 auf die USA), verfügen Pakistan und Indien jeweils über mehr als 100 – zum Teil wesentlich stärkere als jene, die beim bisher einzigen kriegerischen Einsatz Ende des Zweiten Weltkriegs in Japan zum Einsatz kamen. Viele Millionen Menschen würden, je nach dem Ort der Detonationen, binnen weniger Stunden sofort sterben; mehrere Millionen wären durch die folgende Lebensmittelknappheit unmittelbar bedroht.

Abschreckungstheorie

Durch die atomaren Sprengköpfe – so sind zumindest ihre Inhaber und viele Realpolitiker überzeugt – schützen sich jene Staaten, die sie besitzen, und jene, die unter ihrem nuklearen Schutzschirm leben, etwa Deutschland, vor großangelegten Angriffen. Diese nukleare Abschreckungstheorie wirkt freilich nur dann, wenn Staaten gewillt sind, die zerstörerischen Waffen auch einzusetzen. Mit der Volksrepublik China und Indien haben sich aber zumindest zwei der neun Atomwaffenstaaten zu einer sogenannten "No-First-Use-Policy" verpflichtet. Das bedeutet, dass sie niemals diejenigen sein wollen, die in einer kriegerischen Auseinandersetzung Atomwaffen zuerst einsetzen. Für China und Indien fungieren Atomwaffen also lediglich als defensives Mittel zur Selbstverteidigung.

Die faktischen und offiziellen Atommächte laut Atomwaffensperrvertrag. In diesem Vertrag sicherten sich die fünf permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrats das alleinige Recht zu, Atomwaffen zu besitzen. Verhindern konnte der Vertrag die Beschaffung und Entwicklung von Atomwaffen in Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel nicht. Diese traten dem Vertrag schlichtweg nicht bei oder später wieder aus (Nordkorea).
Foto: Katapult / Sommavilla / Ehlers

Folgen beide Staaten dieser selbstauferlegten Doktrin und schließt man – naiverweise – menschliches Fehlverhalten aus, so kann dieser Logik folgend also kein Nuklearkrieg zwischen Indien und China ausbrechen.

Anders gestaltet es sich beim aktuell wieder hochkochenden Konflikt um die Region Kaschmir. Zwar wird eine Änderung des Verzichts auf einen nuklearen Erstschlag immer wieder zur Diskussion gestellt, Pakistans Verteidigungsminister und Nationale Sicherheitsberater haben in der Vergangenheit aber immer wieder betont, dass sie gewillt seien, alle ihnen zur Verfügung stehenden Waffen einzusetzen.

Fest steht, dass mit Atomsprengköpfen bestückte Raketen in der Region den jeweils anderen Staat zum Teil in nur vier Minuten erreichen würden. Ein Abschuss der Raketen ist bei dieser kurzen Vorlaufzeit fast unmöglich, ein Evakuieren von Millionenstädten definitiv undenkbar.

Konventionelle Arsenale

Sowohl Indien als auch Pakistan haben in den vergangenen Jahren Milliarden in Rüstung gesteckt. Indien investierte 2018 mit rund 50 Milliarden Euro etwa zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in die Landesverteidigung, die rund 1,4 Millionen aktive Soldatinnen und Soldaten umfasst. Pakistans knapp zehn Milliarden Euro entsprechen gar 3,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und beinhalten auch die Gehälter von knapp 650.000 Soldaten. Zwischen 1993 und 2006, als man die Entwicklung der Atombombe vorantrieb, sollen laut Schätzungen des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) gar mehr als 20 Prozent der Staatsausgaben für die Verteidigung aufgewandt worden sein.

Beide Staaten verfügen über zahlreiche Raketentypen. Unter den neun Raketentypen Indiens finden sich laut dem Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington auch auch Mittelstreckenraketen mit 3.000 bis 5.000 Kilometer Reichweite (Agni-3). Die pakistanischen Raketen sollen maximal 2.000 Kilometer weit fliegen können (Shaheen 2).

Die pakistanische Marine während einer Übung.
Foto: APA/AFP/ASIF HASSAN

Die Arsenale der pakistanischen Armee und Luftwaffe sind mit rund 2.500 Panzern, 1.600 gepanzerten Fahrzeugen und 4.500 Artilleriegeschützen etwas kleiner als jene Indiens mit seinen 3.500 Panzern, 3.000 gepanzerten Fahrzeugen und 4.500 Artilleriegeschützen. Auch deshalb versucht man auf pakistanischer Seite dieses Ungleichgewicht mit Nuklearwaffen auszugleichen. Beide verfügen laut Sipri über 130 bis 150 Atomsprengköpfe.

Indiens Luftwaffe hingegen ist mit rund 800 Kampfflugzeugen auch deshalb gut doppelt so groß, weil man auf einen gleichzeitigen Angriff Chinas und Pakistans vorbereitet sein will. Die deutlich längere Küste Indiens schlägt sich auch in einem Übergewicht bei der Seeflotte nieder. Ein indischer Flugzeugträger, 16 U-Boote, 14 Zerstörer und 13 Fregatten stehen keinem Flugzeugträger, acht U-Booten und neun Fregatten aufseiten Pakistans gegenüber.

Ein atomarer Konflikt hätte sowohl lokal als auch global fatale Folgen, doch auch ein konventioneller Krieg würde in der Region höchstwahrscheinlich einen hohen Blutzoll zur Folge haben. (Fabian Sommavilla, 28.2.2019)