Jülich – Nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern immer an der Wand lang: So bleiben Spermien auf Kurs, selbst wenn der sie um eine Kurve führt. Schon vor Jahrzehnten war Forschern in Experimenten aufgefallen, dass sich Spermien von Wänden wie magisch angezogen fühlen und bevorzugt mit dem Kopf an der Wand entlangbewegen. Mithilfe von Computersimulationen haben deutsche Wissenschafter nun nachvollzogen, wie sich dieser Effekt auswirkt, berichtet das Forschungszentrum Jülich.

Die Bewegung

Im Zuge des Fortpflanzungsakts haben die nur 60 Mikrometer kleinen Spermien eine Iron-Man-artige Schwimmdistanz zu bewältigen. Sie müssen das Mehrtausendfache ihrer eigenen Körperlänge zurücklegen – nur etwa eines von einer Million kommt schließlich in die Nähe des Ziels.

Spermienzellen bestehen aus einem wenige Mikrometer großen Kopf. Daran schließt sich eine rund 50 Mikrometer lange Geißel an, die sich zur Fortbewegung hin und her schlängelt. Typischerweise sind die Ausschläge der Geißel deutlich breiter als der Kopf des Spermiums. Betrachtet man die Bewegung über längere Zeit, so ergibt sich daraus eine Kegelform mit dem schmalen Kopf an der Spitze und dem weit hin und her peitschenden Spermienschwanz am anderen Ende – siehe das Bild unten.

Illustration: Forschungszentrum Jülich

"Aus dieser Form ergibt sich nun schon rein geometrisch, dass die Längsachse des Spermiums leicht schräg gegen die Wand gerichtet ist. Bei der Vorwärtsbewegung drückt sich die Zelle folglich immer leicht gegen die Wand, sodass sie immer in Wandnähe bleibt", sagt Jens Elgeti vom Jülicher Institute of Complex Systems (ICS-2).

2D und 3D

Biegt sich der Kanal, durch den sich das Spermium bewegt, nur leicht, folgt es dem Wandverlauf. Ab welchem Krümmungsradius der Kontakt zur Wand verloren geht, hängt dann stark vom Schlagmuster der Geißel ab. Die Forscher unterscheiden zwischen einem zweidimensionalen Schlag, bei dem der Spermienschwanz in einer Ebene schwingt, und einem spiralförmigen 3D-Muster, bei dem die Geißel in alle drei Raumrichtungen rotiert.

"Die Simulation unterschiedlicher Wellenlängen zeigt, dass Spermien mit einem 3D-Schlag auch bei deutlich stärker gekrümmten Windungen noch an der Wand bleiben als solche mit einem 2D-Schlag", so Elgeti. Der Grund: Spermien, die sich nur planar in einer Ebene schlängeln, richten ihre Schlagrichtung früher oder später parallel zur Wand aus. Die wirksame Kegelform geht so verloren und der Kontakt zur Wand reißt ab. Spermien, die mit einem 3D-Schlag unterwegs sind, behalten ihre Kegelform dagegen in allen Raumrichtungen bei.

Verwertungsmöglichkeiten

Wie sich Spermien durch enge, gewundene Kanäle bewegen, ist für viele Prozesse im Labor relevant. Mithilfe der nun gewonnenen Erkenntnisse könnte man einen "Hindernislauf" für Spermien konstruieren, der Spermien nach der Wellenlänge ihres Geißelschlags selektiert, etwa zur Verbesserung der Ergebnisse bei der künstlichen Befruchtung.

Aber auch der ungekehrte Effekt ließe sich verwerten – nämlich für neue Verhütungsmethoden. Eine darauf basierende Pille für den Mann könnte den Geißelschlag medikamentös verändern und die Schlagzahl künstlich herabsetzen oder beschleunigen, wenn sich bestimmte Schlagcharakteristika finden lassen, die für den Weg der Samenzellen zur Eizelle essenziell sind. (red, 3. 3. 2019)