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Das Landgericht Hamburg hat nun ein Urteil gefällt, das die Funktion der Wikipedia in ihren Grundfesten erschüttern könnte.

Foto: dpa-Zentralbild/Jens Büttner

Wer etwas wissen will, klickt auf Wikipedia: Die Online-Enzyklopädie ist derzeit die am fünfthäufigsten besuchte Webseite der Welt. Mehr als 320.000 Nutzer kümmern sich darum, eine möglichst objektive Darstellung der Fakten zu erarbeiten. Doch natürlich tobt auch auf Wikipedia der Meinungskrieg – vor allem wenn es um Themen wie Verschwörungstheorien, Russland oder den Nahost-Konflikt geht.

Das Landgericht Hamburg hat nun ein Urteil gefällt, das die Funktion der Wikipedia in ihren Grundfesten erschüttern könnte. Es erlaubt Rechercheuren der Plattform "Gruppe 42", den Wikipedia-Autor "Feliks" öffentlich zu outen. Sie werfen ihm vor, Artikel zur Partei Die Linke sowie zu Israels militärischen Aktivitäten manipulativ bearbeitet zu haben. Der mit vollem Namen genannte Wikipedia-Autor soll jüdischer Konvertit, Bundeswehr-Angehöriger und selbst in der Linken engagiert sein.

Wikipedia als Monopol zu bewerten

Er schreibt selbst, dass er durch die "Hetzkampagne" Opfer einer Welle von Hassnachrichten und Drohungen geworden sei. Mit einer einstweiligen Verfügung wollte er gegen die Nennung seines Namens vorgehen, was das Landgericht in einem ersten Beschluss vom 26. Oktober auch erlaubte. Die "Gruppe 42" argumentiert hingegen, dass das Outing notwendig sei, da Wikipedia als Monopol zu bewerten sei und daher eine Nennung von Autoren, die mit Kontroversen auffallen, im öffentlichen Interesse liege. Dieser Meinung schloss sich nun das Landgericht an.

"Öffentliches Informationsinteresse" überwiegt

Die Gegner des Antrags auf einstweilige Verfügung hätten "ausführlich zu ihrer Auffassung vorgetragen, dass der Antragsteller Wikipedia-Artikel in meinungsgeprägter Weise redigiere", erklärt das Gericht auf Anfrage des STANDARD. Daher habe es entschieden, dass das "öffentliche Informationsinteresse an der Identität des Antragstellers gegenüber dem Interesse des Antragstellers am Schutz seiner Anonymität überwiege".

Verschwörungstheoretiker

Ein schriftliches Urteil dazu soll in den kommenden Wochen folgen. Bei der Gruppe, die das Outing des Autors vorantrieb, handelt es sich teilweise um Verschwörungstheoretiker. Über die Wikipedia-Kontroverse berichtete etwa das Portal "KenFM" in Kooperation mit "Gruppe 42"-Autoren. "KenFM"-Betreiber Ken Jebsen behauptet etwa, dass Massenmedien von "radikalen Zionisten" unterwandert seien. Er spekulierte auch, dass der Spekulant und Philanthrop George Soros den "Women's March" unterstütze, da er sich "eine Zunahme an Abtreibungen erhofft, damit er am Verkauf toter Embryonen an die Pharmaindustrie" verdiene.

Der Dokumentarfilmer Dirk Pohlmann, der die Recherchen der "Gruppe 42" zum Wikipedia-Autor "Feliks" mitbetrieb, schrieb etwa schon für das neurechte Magazin "Compact". Auch bei RT Deutsch und Sputnik News tritt Pohlmann auf, seine Filme wurden auf Arte gezeigt. Pohlmann bezeichnete die Wikipedia als "verfassungswidrige Struktur". Mit dem Urteil des Landgerichts Hamburg wird Pohlmann nun gestärkt.

Wikimedia will Fall nicht kommentieren

Wikimedia, der Trägerverein von Wikipedia, erklärt auf Anfrage des STANDARD, dass er bei dem Fall nicht involviert gewesen sei und daher auch keine Stellungnahme abgeben wolle. Generell sei für die Wikipedia Anonymität ein wichtiges Gut. "Im vorliegenden Fall scheint es jedoch auch so zu sein, dass sich der fragliche User auch stark selbst exponiert hat", sagt Claudia Garád, Sprecherin von Wikimedia Österreich. So sei es aufgrund seines Verhaltens und seiner Editierungen leicht gewesen, Rückschlüsse auf seine Identität zu ziehen. (Fabian Schmid, Muzayen Al-Youssef, 27.2.2019)