Die Anzahl der Frauen in der Physik, und ganz allgemein in den technischen Naturwissenschaften, ist bis heute Thema für eine sehr lebhafte Diskussion. Immer mehr Universitäten setzen sich dafür ein, dass sich mehr Frauen für ein technisches Studium anmelden, unterstützt durch zahlreiche Programme mit unterschiedlicher Erfolgsquote. Die Zahl der Physikstudentinnen hat im Laufe der Zeit zugenommen, wie aus einer im Jahr 2017 vorgestellten Grafik der amerikanischen physikalischen Gesellschaft entnommen werden kann. Diese zeigt die Anzahl der weiblichen und männlichen Studierenden mit einem abgeschlossenen Doktorat in den letzten 55 Jahren. In Österreich liegt die Zahl der Physik-Professorinnen in Österreich noch immer nur bei rund 20 Prozent.

Dennoch gab und gibt es viele Frauen, die große Beiträge in der Physik geleistet haben und leisten. Von Emmy Noethers bahnbrechender Arbeit bezüglich Symmetrien in der Physik, die immer noch als Säule der theoretischen Physik gilt, Lise Meitners Beitrag zum Verständnis der Kernspaltung, Jocelyn Bell Burnells Entdeckung der Radiopulsaren im Weltraum, bis hin zu Chien-Shiung Wus Experiment zu Paritätsverletzungen im Betazerfall, sind die Beiträge von Physikerinnen sowohl fundamental als auch phänomenal. Im Rahmen des internationalen Frauentages wollen wir eine davon vorstellen.

Mildred Dresselhaus.
Screenshot: Youtube

Mildred Dresselhaus, Königin des Kohlenstoffs

Mildred Dresselhaus war eine amerikanische Physikerin, die 1930 geboren wurde und im Februar 2017 gestorben ist. Sie besuchte das Hunter Women's College, wo sie der Meinung war, dass Frauen genauso wie Männer Physik studieren können. Später erhielt sie ein Fulbright-Stipendium, um ein Jahr in Cambridge zu verbringen, wo sie feststellte, dass es nur wenige Frauen gab, die Physik studieren. "Ich wusste nicht wirklich, dass ich nicht Physik machen sollte, bis ich dem Mainstream beitrat. Als ich 1958 meinen Abschluss machte, war es ziemlich einsam – wir (Frauen) waren damals nur zwei Prozent der Physikgemeinde", sagte sie einmal.

Aber sie lies sich nie entmutigen. Im Gegenteil, Dresselhaus war eine Frau, die Herausforderungen liebte. Sie begann ihre Karriere 1958 im Lincoln Laboratory am MIT, wo sie mit der Entwicklung von Supraleitern begann. Später änderte sie ihren Forschungsschwerpunkt auf die Magnetooptik mit Lasern auf Halbmetallen. Zehn Jahre später leistete sie ihren größten Beitrag zur Physik der kondensierten Materie, indem sie die elektronische Struktur von Graphit auflöste. Sie war von den Ersten, die mit der Raman-Spektroskopie arbeiteten, einer Technik, bei der Licht mit einer Probe interagiert und Streustrahlung mit unterschiedlichen Wellenlängen erzeugt, die für die Bindung der Atome in der Probe charakteristisch sind.

In den 00er-Jahren wechselte ihre Forschung bald von Graphit zu zweidimensionalen (2D) ultradünnen Kohlenstoffschichten, genannt Graphen. Für ihre langjährige Arbeit mit Kohlenstoffmaterialien wurde sie als die "Königin des Kohlenstoffes" bezeichnet. 

Von Graphit zu Kohlenstoffnanoröhre

Kohlenstoff ist ein Element mit vielen Allotropen, das bedeutet es nimmt je nach Anordnung der Kohlenstoffatome verschiedene Formen oder Strukturen an. Wenn man zum Beispiel die Atome tetraedrisch ordnet, erhält man Diamant, aber wenn sie sich in ultradünnen 2D-Schichten ordnen, die sehr schwach übereinander gebündelt sind, dann hat man Graphit. Wir kennen Graphit aus unseren Bleistiften. Die Grundstruktur von Graphit ist eine einzelne 2D-Schicht aus Kohlenstoffatomen, die hexagonal angeordnet ist (ähnlich wie eine Wabe), und dieser einschichtige Graphit wird als Graphen bezeichnet. Graphen hat völlig andere Eigenschaften als Graphit. Wenn Sie ein Graphenblatt nehmen und aufrollen, dann haben Sie ein einwandiges Kohlenstoffnanoröhrchen (SWCNT) und diese gelten als das härteste Material aller Zeiten.

Dresselhaus' Forschung konzentrierte sich auf das Verständnis der elektronischen Eigenschaften von Graphit und SWCNT mit Hilfe der Ramanspektroskopie. Ihre elektronischen Eigenschaften hängen von der Struktur des Nanoröhrchens ab. Wenn sie sich in verschiedenen Winkeln rollen, zeigen sich unterschiedliche elektronische Eigenschaften. Es ist ein sehr guter elektrischer Leiter, dessen Eigenschaften weiter manipuliert werden können, indem man Kohlenstoffatome durch andere Atome, wie Bor oder Stickstoff, ersetzt. Die Ergebnisse ihrer Forschung halfen, Kohlenstoffnanoröhrchen hauptsächlich als Verbundfasern in Polymeren einzusetzen, um die mechanischen, thermischen und elektrischen Eigenschaften anderer Materialien zu verbessern.

Dresselhaus bekommt die Medal of Freedom verliehen.
Foto: REUTERS/Larry Downing

Jenseits von Graphit und 2D-Materialien

Dresselhaus' Arbeit an kohlenstoffbasierten Materialien, die in den 1960er-Jahren mit dem Einsatz magneto-optischer Techniken auf Graphit begann, entwickelte sich über einen Zeitraum von vier Jahrzehnten von 3D-Graphit zu niederdimensionale Fullerene, Kohlenstoffnanoröhrchen bis hin zu dem Wundermaterial Graphen. Dresselhaus‘ Forschung in den 80ern in dem Gebiet der Synthese von Lithium-Interkalationsgraphiten legte die Grundlage für die heutzutage in unseren Handys verwendeten Lithium-Ionen-Batterien. Sie führte eingehende Untersuchungen an C60-Buckministerfullerenen durch, bei denen sich 60 Kohlenstoffatome zu einer geschlossenen fußballartigen Struktur mit interessanten physikalischen Eigenschaften verbinden. Ein Hauptanwendungsgebiet der Fullerene liegt in der medizinischen Physik, wo diese winzigen nanoskopischen Kohlenstoffstrukturen sowohl in der Hochleistungs-Magnetresonanz, als auch in der Medikamenten- und Genverabreichung und in der Krebsforschung eingesetzt werden. Die Arbeiten von Dresselhaus bei der Entstehung des Bereichs der niederdimensionalen Thermoelektrizität, der sich vor allem auf die Wechselwirkung von Wärme und Strom mit Nanomaterialien konzentriert, ebneten den Weg für die Energiegewinnung und umweltfreundliche Elektronik.

Als Pionierin und Wegbereiterin für niedrigdimensionale kohlenstoffbasierte Materialien hat Dresselhaus schon früh einen Beitrag zum aufkommenden Feld der 2D-Materialien geleistet, beginnend mit Graphen. Diese 2D-Form des Kohlenstoffs spielt eine bedeutende Rolle in der Geschichte der Physik. Tatsächlich zeigte der berühmte russische Physiker Lev Landau in den späten 1930er-Jahren, dass solche 2D-Kristallstrukturen instabil sind und nicht synthetisiert werden können. Obwohl bald anerkannt wurde, dass eine solche 2D-Struktur, wenn sie realisiert werden würde, neue physikalische und chemische Eigenschaften besitzen würde, wies erst Richard Feynman 1959 darauf hin, dass ein solches nanodimensionales System unsere Technologien revolutionieren könnte.Theoretische Berechnungen zeigten, dass Graphen der Wirt vieler neuer Eigenschaften ist, wie zum Beispiel neuartige geladene Teilchen innerhalb des Materials mit fast unendlichen Geschwindigkeiten, die elektronische Geräte schneller machen würden als je zuvor. Schließlich wurde Graphen realisiert.

Die Technik zur Gewinnung einer 0,3 Nanometer großen Schicht aus einem Graphitblock ist die mechanische Exfoliation, bei der mit einem Klebeband der Graphit mehrmals auseinandergerissen wird, bis man diese eine einzelne Atomschicht aus Kohlenstoff erhält. Um festzustellen, dass es sich bei dieser Schicht tatsächlich um Graphen handelt, war die Technik der Ramanspektroskopie, die Dresselhaus intensiv zur Untersuchung ihrer Kohlenstoffnanoröhrchen und Fullerene einsetzte, sehr nützlich. Diese Technik wurde bald zur bevorzugten Methode, um atomar dünne 2D-Schichten zu identifizieren und zu charakterisieren. Dresselhaus arbeitete bis zum letzten Tag ihres Lebens nicht nur an Graphen, sondern auch an 2D-Materialien: Übergangsmetall-Dichalcogeniden wie Molybdändisulfid, einschichtigem Phosphor oder Phosphoren.

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Jenseits der Physik

Aber Desselhaus leistete nicht nur in der Physik Großes. Ihr ganzes Leben engagierte sie sich intensiv mit der Förderung von Frauen in Natur- und Ingenieurswissenschaften und versuchte Frauen für das Physikstudium zu ermutigen. Sie nahm an zahlreichen Projekten teil, wie zum Beispiel einem MIT-Seminar in Engineering für Studierende, um das Vertrauen junger Studentinnen zu stärken. Dieses Seminar fand viel Zuspruch, von beiden Geschlechtern gleicher Maßen. 2017 nahm sie zusammen mit General Electric an einem Video teil, um Frauen für eine wissenschaftliche Karriere mit der Frage "Was wäre, wenn Wissenschafterinnen Prominente wären?" zu überzeugen. Zumindest bei ihrer Enkelin waren Dresselhaus‘ Bemühungen erfolgreich, diese studierte ebenfalls Physik und arbeitet nun auch an der Forschung der Kohlenstoffnanoröhrchen.

Das Faszinierende an Mildred Dresselhaus war, sie auf einer Physikkonferenz zu sehen, wo sie wie diese stereotype Großmutter aussah: immer ein bisschen fehl am Platz, wenn sie bei eine Postersession voller typischer Physiker herumging. Aber wenn man mit ihr zu reden anfing, offenbarte sich sich all ihre Größe und Wissen. Es sind gerade Frauen wie Dresselhaus, die anderen helfen, die Vorurteile der Gesellschaft zu überwinden, die besagen, dass Physik kein Bereich für Frauen ist. Denn genau das Gegenteil ist der Fall. (Andrea Navarro-Quezada, Rajdeep Adhikari, 8.3.2019)