Drei Fahrzeuge, drei kleine Gummifiguren – zwei davon quietschen, wenn man sie drückt –, ein Stoffbär, drei Bälle – zwei große und ein kleiner – und drei Bausteine, lila und grün. Das sind Gretas Spielsachen. Dass sie den kleinen blauen Ball über den kühlen Steinboden rollen kann, dass sie ihn aufheben und zu ihrer Mutter Prossy Mukamosoni bringen kann, ist nicht selbstverständlich. Die Zweijährige hat angeborenen Grauen Star. Beinahe wäre sie blind geworden.

Dank einer Augenoperation und der weißen Brillen mit den roten Bügeln, die hinter ihrem Kopf mit einem Gummiband zusammengebunden sind, kann Greta sehen. "Als sie die Brille bekam, sah ich die Veränderung in ihren Augen, sie verfolgte sogar ganz kleine Dinge", sagt ihre Mutter Prossy, die auf einem niedrigen Schemel neben ihr sitzt und sie beobachtet. Das Haus ist zwar noch nicht ganz fertiggestellt, trotzdem zogen sie hier ein, als Prossy zum zweiten Mal schwanger war. Auf dem Boden klebt stellenweise eine bunte Folie, ein übergroßes Puzzle ist darauf abgebildet.

Prossy Mukamosoni lebt im ugandischen Dorf Buloba. Englisch lernte sie, als sie bei einem Weißen arbeitete.
Foto: Gregor Kuntscher

Für die Brille mussten Mutter Prossy und ihr Mann David keinen Uganda-Schilling bezahlen. Die Familie wird wie viele andere von Organisationen unterstützt, die versuchen, den Ärmsten der Armen zu helfen. Hunderte, wenn nicht tausende Nichtregierungsorganisation (NGOs), Missionen, Projekte sind aktuell in Uganda tätig. In manchen Distrikten, etwa im Norden in Gulu, kommt eine NGO auf 1000 Einwohner. Allein der Verein Licht für die Welt investierte in den vergangenen zehn Jahren mehrere hunderttausend Euro in das Programm "Nationale Initiative gegen unkorrigierte Sehschwäche" (Niure), durch das Kinder wie Greta besser sehen sollen.

Arm, aber reich genug

Uganda ist ein beliebtes Land für Entwicklungshelfer, egal ob staatlich oder privat. Das Land ist arm, aber dennoch stabil und reich genug, um mehr als nur nackte Krisenintervention zu benötigen. Und die Armut ist vor allem am Land ein Problem, dort, wo Projekte einfacher aufgebaut werden können als in Städten.

In der Trockenzeit färbt die Straße Uganda rot.
Foto: Gregor Kuntscher

Die Fahrt nach Buloba, Gretas Heimatdorf unweit der Hauptstadt Kampala, führt über eine holprige, rote Straße. Sie ist gemacht aus einer Mischung aus Steinen und Lehm. Rechts und links wachsen Bananen, Eukalyptus, Pinien und Honigmelonen – hier werden sie Casaba genannt. Nicht nur die Frucht, auch die Wurzel ist essbar, mit den dünnen Stämmen wird Feuer gemacht.

Der Wald, der sich hunderte Kilometer durchs Land zieht, sieht aus, als wäre er verbrannt, doch es ist nur der Staub der Straße, der auf den Blättern der Büsche und Bäume liegt. Während der Trockenzeit kriecht er in jede Ritze, färbt Land, Menschen und Tiere in ein schmutziges Rot. Aus dem Lehm werden Ziegel gefertigt, zahlreiche hüfthohe Mauern stehen in der Nachbarschaft der Mukamosonis. Kommen Familien an Geld, kommen wieder ein paar Steine auf die Mauer.

Im Garten der Mukamosonis wachsen Bananenbäume.
Foto: Gregor Kuntscher

Zwei Fünftel der Menschen in Uganda haben Zugang zu sauberem Wasser, ein Fünftel zu Sanitäranlagen. Knapp ein Drittel lebt unter der Armutsgrenze. Ohne die Summen, die vom Norden in den Süden wandern, würde das Land finanziell zusammenbrechen. "Die Entwicklungszusammenarbeit ist ein großer Faktor in der ugandischen Ökonomie", sagt Rainer Thiele. Er leitet den Forschungsbereich "Armutsminderung und Entwicklung" am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Ohne das Geld der Europäer wären in einem Land, in dem nach mehr als 30 Jahren unter demselben Präsidenten vieles nur schleppend vorangeht, das Bildungs- und das Gesundheitssystem überfordert. Doch wie hilfreich ist es, wenn die Weißen Geld und Güter ins Land karren und dann wieder verschwinden?

Mit der Diagnose kam Angst

Wenn Prossy Mukamosoni spricht, dann klingt jeder Satz wie ein Lied. Um ihre Worte zu unterstreichen, wischt sie mit ihren Händen vorsichtig durch die Luft. Manchmal lacht und weint sie zur gleichen Zeit, und wenn sie nachdenkt, legt sie ihren Kopf auf die Schulter und schaut mit großen, dunklen Augen an die Decke. Dass Gretas Augen nicht in Ordnung sind, habe sie beim Stillen bemerkt, sagt sie, das Baby habe sie dabei nie angesehen. Also brachte sie Greta ins Krankenhaus. Als sie die Diagnose hörte, bekam Prossy Angst.

Gretas Großvater, Prossys Vater, war ein einfacher Mann, seinen Kindern konnte er keine Bildung ermöglichen. Prossy selbst verließ die Schule noch in der Primärstufe, ihr gutes Englisch lernte sie, als sie bei einem Mzungu gearbeitet hat. "Wanderer" bedeutet das und meint die Menschen aus Europa. Gretas Vater repariert Handys, seine Eltern waren gegen eine Augenoperation. Sie hätten Greta lieber zu einem traditionellen Heiler geschickt, der sie mit lokalen Kräutern behandelt. Manche Patienten erleiden dabei schwere Verletzungen, andere werden blind.

Über eine Bekannte, die in Wolfgang Gindorfers Zuhause arbeitet, kam Prossy an das Projekt Niure. Gindorfer, früher Bayer, heute Mzungu, arbeitet als Berater für das Gesundheitsministerium in Uganda, wird von Licht für die Welt bezahlt und hat 2008 das Projekt aufgebaut. Im Zuge dessen werden Refraktionisten ausgebildet, Community-Dialogues in den Dörfern abgehalten, Lehrer geschult und Schüler untersucht.

Heuer promovieren die ersten Optiometrie-Studenten Ugandas. Die Brillen, die an Kinder gratis und an Erwachsene für 50.000 Schilling, umgerechnet zwölf Euro, gegeben werden, werden im Krankenhaus in Entebbe angefertigt. Die Rahmen sind Spenden deutscher Unternehmen.

Refraktionistin Imelda Nannyondo untersucht Schüler und Erwachsene.
Foto: Gregor Kuntscher

Rückzug für Nachhaltigkeit

Gindorfer hat Uganda nach mehr als 30 Jahren verlassen. Er übergab das Augen-Projekt in die Hände von Lovincer Nantongo, die gemeinsam mit anderen ugandischen Frauen wie der Juristin Phoebe Katende, der Schulinspektorin Harriet Kihumuro und der Refraktionistin Imelda Nannyondo dafür sorgt, dass das Programm Schritt für Schritt in die Hände der Regierung und der lokalen Be völkerung wandert. Parallel wird eine öffentlich-private Partnerschaft aufgebaut, die das Programm finanzieren soll, sobald Licht für die Welt sich daraus zurückzieht.

"Ich glaube, dass es da ein Umdenken gegeben hat", sagt Forscher Thiele, wenn man ihn nach der Arbeitsweise europäischer NGOs in Afrika fragt: "NGOs bemühen sich, lokales Wissen zu nutzen und behutsam Strukturen zu verändern."

Die Weißen, die Geld-, Sach- und Dienstleistungen in die Hand nehmen und nach Afrika bringen, sind in der NGO-Szene mittlerweile verpönt. Denn: "Das ist nicht nachhaltig", sagt Thiele, "nach Ende des Projekts passiert dann nichts mehr." Jedes gute Projekt müsse schlussendlich an die lokale Bevölkerung übergeben werden.

Uganda ist ein beliebtes Land für Entwicklungshelfer: Nicht zu arm, nicht zu reich und dennoch stabil.
Foto: Gregor Kuntscher

Brille nicht alltäglich in Uganda

Nächstes Jahr wird Greta in die Schule kommen, sie wird mit ihrer Brille in der Minderheit sein. "Greta ist einzigartig", sagt ihre Mutter: "Sie ist nicht wie die anderen Kinder." In einem Land wie Uganda, in dem manche glauben, von einer Sehhilfe werde man blind, in dem Eltern ihren Töchtern Brillen verwehren, weil sie Angst haben, dass sie damit keinen Mann bekommen, ist eine Sehhilfe nicht alltäglich.

In einem Jahr kommt Greta in die Schule.
Foto: Gregor Kuntscher

Doch Prossy sagt: "Die Brille ist so wichtig wie ihre Augen." Bald wird Greta ganze Sätze sprechen können, schon jetzt antwortet sie mit einem höflichen "Welcome", wenn man sich bei ihr bedankt, nachdem sie einem den Ball in die Hand gibt. "Bald ist sie alt genug, um sich zu verteidigen, wenn ihr jemand die Brille wegnehmen will", sagt Prossy, bevor Greta sie an die Hand nimmt, in den Garten spaziert und neugierig die Grasbüschel am Boden beobachtet. (Gabriele Scherndl, 23.4.2019)