Eine meiner prägendsten kulinarischen Kindheitserinnerungen ist die Fischbeuschlsuppe im Gasthaus Birner. Die meisten Menschen gingen und gehen im Sommer zum Birner, weil er eine grandiose Terrasse direkt an der Alten Donau hat. Als ich so sieben, acht Jahre alt war, sind wir auch im Winter oft zum Birner gegangen – weil er dann immer Fischbeuschlsuppe auf der Karte hatte.

Sie war dick, eindeutig mehr Beuschl als Suppe, und ihre einzelnen Zutaten waren noch gut zu erkennen: die Rogensäcke, die auf der Zunge in lauter kleine, körnige Fischeier zerbröselten, der cremig-weiche Milchner, von dem ich keine Ahnung hatte, was er eigentlich war, und die klein gehackten Lebern. In meiner Erinnerung schwammen auch noch Bauchlappen und andere üppige Fischfleischstücke in der Schüssel. Jeder Löffel war ein Erlebnis unterschiedlicher Konsistenzen und Geschmäcker von angenehm fischiger Bitterkeit, Säure vom Essig und milchiger Süße von etwas Rahm. Sie war herrlich.

Foto: Tobias Müller

In Esskulturen, die etwas vom Fisch verstehen, gelten seine Innereien seit jeher als besondere Delikatesse und werden ganz selbstverständlich gegessen – nicht auch, sondern mit ganz besonderer Freude: Die Taiwanesen lieben ihre gebratenen Milchfischdärme zum Frühstück, die Franzosen schwören auf Seeteufelleber, in Tokios Sushibars wird allwinterlich, wenn er Saison hat, Kabeljau-Milchner geschlemmt, und die Chinesen zahlen für Fischköpfe mehr als für den Rest.

Vergessene Delikatesse

Auch bei uns war das vor gar nicht allzu langer Zeit nicht so anders: Rezepte für Fischbeuschlsuppe finden sich sowohl in Katharina Pratos berühmtem "Süddeutschem Kochbuch" als auch bei der hier öfter zitierten Luise Seleskoviz. Heute zeugt nur mehr die Dorschleber-Dose im gut sortierten Delikatessenhandel noch von diesem einstigen Wissen um die Köstlichkeit der dunklen Seite des Fisches, und die Fischbeuschlsuppe ist eine akut vom Aussterben bedrohte Delikatesse – ein Relikt aus einer Zeit, als tierisches Eiweiß wertvoller als Arbeitszeit war. Auch der Birner serviert Fischbeuschlsuppe heute, soweit ich weiß, nicht mehr, und wenn, dann ist sie wahrscheinlich so wie der Rest des Essens dort leider nicht mehr gut.

Das alles hat dazu geführt, dass ich die Fischbeuschlsuppe fast vergessen hätte – bis ich dann vor ein paar Jahren diese schöne Geschichte las. Die hochgeschätzte Frau Harrer outet darin ihre liebe Freundin, die Frau Fuchs, in einem Nebensatz als erfahrene und zuverlässige Fischbeuschlsuppenköchin. Nach Jahren der Fischbeuschlabstinenz ist mir das trotzdem im Gedächtnis geblieben. Als ich diesen Sommer die beiden Damen zufällig beim Heurigen getroffen habe, habe ich sie hoffnungsvoll gefragt, ob ich ihnen bei ihrem nächsten Fischbeuschlabend Gesellschaft leisten darf. Zu meiner großen Freude haben sie Ja gesagt.

An einem kalten Winternachmittag haben wir uns alle (und noch ein paar mehr) bei der Frau Harrer getroffen. Die Frau Fuchs hat vier Karpfenkarkassen und je einen kleinen Sack Karpfenrogen und Milchner mitgebracht, ich meine Kamera, die Frau Harrer Austern und die paar mehr Wein und Champagner. Die Frau Fuchs hat gekocht, wir alle haben Austern geschlürft und getrunken – und ich meiner ersten Fischbeuschlsuppe seit vielen Jahren entgegengefiebert. Sie haben es sich bereits gedacht: Sie war herrlich.

Fischbeuschlsuppe nach der Frau Fuchs für mindestens sechs Personen

Fischbeuschlsuppe zu kochen ist nicht besonders kompliziert, es macht aber schon ein bisserl Arbeit und erfordert eine gewisse Liebe zum Fisch. Glücklicherweise lässt sie sich gut einfrieren. Bereiten Sie also unbedingt gleich mehr zu, als Sie akut brauchen. Wenn niemand Fotos macht, dann geht es bestimmt auch schneller.

Die Frau Fuchs geht ihre Suppe sehr puristisch an: Karpfen, Wein, ein bissl Gemüse, ein Hauch Orangenschalen, etwa Stärke, das war's. Das Ergebnis ist eine Suppe, die deutlich eleganter, subtiler ist als das, was ich im Birner einst serviert bekam. Weil es sie interessiert hat, haben wir an dem Nachmittag zwei Rezepte probiert: einmal eine Suppe mit Einbrenn (wie bei der Prato), einmal eine, die wir mit Spalterbsen gebunden haben. Das Rezept dafür stammte von Frau Fuchsens Großtante. Das Ergebnis: Die Erbsen waren mehr Arbeit, aber besser hat uns die Einbrenn geschmeckt. Jetzt wissen wir und Sie das und können uns das nächste Mal den Aufwand sparen.

4 Karpfenkarkassen mit Köpfen

Je etwa 300 Gramm Karpfenmilchner und -rogen

2 Zwiebeln

1 Stange Porree, in Ringe geschnitten

3 Stangen Sellerie, in kleine Stücke gehackt

2 Karotten, in Scheiben geschnitten

Ein paar Zweiglein Thymian

4 Lorbeerblätter

10–15 Pfefferkörner

2–3 Flaschen Weißwein

100 Gramm Butter

35 Gramm Mehl

Schale einer halben unbehandelten Orange

Ein nicht zu knapper Schuss Cognac

Weißbrotwürfel nach Bedarf

2 Knoblauchzehen

Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller

Die Karpfenköpfe halbieren und zusammen mit den Gräten wässern. Die Hälfte der Karkassen in einen Topf geben und mit eher saurem Weißwein bedecken.

Foto: Tobias Müller

Die Frau Fuchs rechnet etwa eine Flasche pro Kilo Karkasse. Zum Kochen bringen, Schaum abschöpfen, in Scheiben geschnittene Zwiebel, Karotte, Porree, Stangensellerie, Thymian, Lorbeerblatt und Pfefferkörner zufügen und 20, 30 Minuten auf kleiner Flamme köcheln lassen.

Foto: Tobias Müller

Die Karkassen herausheben, zum Abkühlen zur Seite stellen und die zweite Hälfte der Karkassen in den Sud legen. Wieder zum Kochen bringen, wieder abschöpfen, 20, 30 Minuten köcheln lassen, zur Seite legen und den Sud abseihen. Sie sollten jetzt einen doppelt gekochten Fischfond haben.

Foto: Tobias Müller

In der Zwischenzeit das restliche Fleisch von den Karkassen, vor allem den Köpfen lösen und für die Suppe aufheben. Der Onkel der Frau Fuchs hat noch die Kiemen ausgelöst und passiert, das tut sie sich, als Zugeständnis an moderne, bessere Zeiten allerdings nicht mehr an.

Foto: Tobias Müller

Milchner und Rogen kurz in einem Wein-Wasser-Gemisch (oder der Fischsuppe, warum eigentlich nicht) garen, ...

Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller

... dann die Haut abziehen und mit einem Messer ordentlich durchschaben, sodass eine Paste entsteht.

Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller

Aus dem Mehl und der Butter eine Einbrenn machen, mit der entfetteten Suppe aufgießen, aufkochen und sämig werden lassen. Rogen und Milchner dazugeben, mit der Schneerute ordentlich durchrühren und mit Orangenschale (im Ganzen) würzen. Dann das ausgelöste Fleisch und das zerkleinerte Suppengemüse (Karotten und Stangensellerie) dazugeben.

Foto: Tobias Müller

Salzen und pfeffern. Mit einem nicht zu knappen Schuss Cognac und eventuell mehr Wein abschmecken. Weißbrotwürferl im Rohr vorrösten, Knoblauch feinst hacken und in Butter angehen lassen, resche Brotwürferl untermischen und zur Suppe servieren.

Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller

Und sich freuen, dass es gar nicht so schwer ist, vieles vom Besten aus der alten Zeit in die an sich eh viel bessere neue mitzunehmen. (Tobias Müller, 3.3.2019)

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