Michaela Fritz ist Vorarlbergerin, geboren in Bludenz, und hat an der ETH Zürich Werkstofftechnik studiert. Während ihres PhDs war sie in Berkeley, Kalifornien, wechselte dann aber aus der Forschung in die Industrie und begann bei Infineon Technologies in München. 2005 ging die Expertin für Innovation zum Austria Wirtschaftsservice, fünf Jahre später wechselte sie ans Austrian Institute of Technology, wo sie das Department für Gesundheit und Umwelt übernahm. Seit 2015 ist sie Vizerektorin der Med-Uni Wien. Sie hat eine elfjährige Tochter, einen emanzipierten Mann, mag Kunst und lebt gerne in Wien.

Foto: Felicitas Matern

STANDARD: "Die Medizin ist weiblich" ist ein geflügeltes Wort. Frauen sind in der Pflege schon immer in der Überzahl, aber auch die Zahl der Ärztinnen ist stark gestiegen. Wie sieht die Frauenquote an der Medizinischen Universität Wien aus?

Fritz: Die Hälfte unserer Absolventen sind Frauen. Doch entscheidend ist vor allem die Frage, wie es mit der Karriere von jungen Medizinerinnen weitergeht. Auf Postdoc-Level können die Frauen zahlenmäßig im Vergleich zu den Männern noch mithalten, wenn es in Richtung Habilitation und Führungspositionen geht, driften die Frauen weg.

STANDARD: Warum?

Fritz: Weil in den Lebensläufen bei Frauen dann oft durch die Familiengründung karrieretechnische Brüchen entstehen. Wenn man solche Pausen unhinterfragt in eine Leistungsbilanz einrechnen würde, ergibt sich ein Ungleichgewicht. Diese Verzerrung verläuft meist vollkommen unbewusst. Wir arbeiten daran, ein Bewusstsein dafür in der Leistungsbeurteilung zu schaffen.

STANDARD: Wie steht es um die Führungsrollen?

Fritz: Im Rektorat und in der Verwaltung ist die Geschlechterverteilung ausgeglichen, in der Facharztausbildung ebenfalls. Ein wirklich eklatantes Ungleichgewicht haben wir in den Leitungen der Organisationseinheiten: Da stehen neun Frauen 30 Männern gegenüber. Wir überlegen deshalb sogar, eigene Frauen-Calls bei der Ausschreibung von Professuren einzuziehen.

STANDARD: Gibt es Gegenwind?

Fritz: Klar, die Argumente sind alt und immer die gleichen. Da kommt von den Gegnern dann ziemlich schnell der Vorwurf, dass Quotenfrauen nicht nach Leistung beurteilt würden. Sie tun so, als ob Leistung in so einem Frauen-Call nicht genauso beurteilt würde. Sie spielt genauso eine Rolle.

STANDARD: Sind Frauen zu wenig selbstbewusst, um sich zu bewerben?

Fritz: Nein, im Gegensatz zu den Männern sind sie aber einfach nicht so laut, weil sie nicht ständig aufzeigen und ihre Leistungen hinausposaunen. Deshalb werden sie einfach oft vergessen. Wir haben verschiedene Mentoringprogramme für Frauen. Trotzdem: Jedes Mentoring bringt nur dann etwas, wenn es dann auch tatsächlich Unterstützung gibt. Und natürlich versuchen wir, durch Einrichtungen wie Kindergärten und flexible Arbeitszeitmodelle ein familienfreundliches Umfeld zu schaffen.

STANDARD: Haben Männer und Frauen einen anderen Arbeitsstil?

Fritz: Aus Arbeitgebersicht kann ich sagen, dass Frauen extrem fleißig sind und sich aller Themen, die sie als Problem identifizieren, annehmen. Mir fällt auf, dass Frauen auch mehr dazu tendieren, das große Ganze im Auge zu behalten, männliche Kollegen kreisen oft stark um sich selbst. Führung ist übrigens kein genderspezifisches Thema, sondern da geht es für Männer wie auch Frauen um Sozialkompetenz und Serviceorientiertheit.

STANDARD: Wie verlief Ihre eigene berufliche Laufbahn?

Fritz: Es war kein geradliniger Weg nach oben. Ich hatte aber an wichtigen Abzweigungen im Leben Glück. Vor allem hatte ich Chefs, die mir viel zugetraut haben, mir eine Bühne boten. Und ich wiederum hatte dann den Mut, große Projekte zu übernehmen. Ich denke, dass Mut entscheidend ist.

STANDARD: Mit welcher Strategie leiten Sie die Universität?

Fritz: Innovation war immer mein großes Thema. Unsere große Vision ist die individualisierte Medizin. Dafür haben wir Cluster in den Bereichen Onkologie, Kardiologie, Neurologie, Immunologie und Imaging gebildet. Wichtig ist uns vor allem die translationale Forschung. Das heißt: Die Innovation aus dem Labor sollte auch schnell am Krankenbett ankommen. Und Prävention, also die Vermeidung von Krankheiten, rundet unser Portfolio ab. Wir haben finanziell leider sehr begrenzte Mittel, dafür ist unser Output wirklich erstaunlich. Das lässt sich an den Publikationen sehr schön ablesen.

STANDARD: Sind Sie Feministin?

Fritz: Eigentlich schon, vor allem wenn es darum geht, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Frauen ihre Talente entwickeln können. Ich bin auch eine Verfechterin des Binnen-I, weil ich überzeugt bin, dass die Sprache die Gedanken formt. (Karin Pollack, 3.3.2019)