Wer in den Maßnahmenvollzug aufgenommen wird, muss damit rechnen, über viele Jahre dort zu verbleiben. Qualifiziertes Personal ist Mangelware, Therapieerfolge selten.

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Die Spitzen der Regierung haben den tragischen Mord in Dornbirn zum Anlass genommen, uns Österreichern zu verkünden, dass wir in Zukunft vor gefährlichen Asylwerbern geschützt werden sollen. Gefährliche Asylwerber sollen, schon bevor sie eine Straftat begangen haben, in eine Sicherungshaft übernommen werden. Die Boulevardmedien jubeln, in den sozialen Medien artikuliert sich das gesunde Volksempfinden und klatscht Beifall. Gehen wir davon aus, dass es der Regierung ein Anliegen ist, tatsächliche Probleme zu lösen und nicht neue zu schaffen; diesfalls müsste sie sich zu einer sehr komplexen Reform aufraffen.

Zunächst wäre im Detail zu klären, ob der Vorfall in Dornbirn tatsächlich nicht zu verhindern war. Mangels genauer Aktenkenntnis kann ich die Frage nicht abschließend beantworten; sollten die Medienberichte aber stimmen, nach denen der Verdächtige nicht nur 14 Vorstrafen im Inland aufwies, sondern auch entgegen einem bestehenden Aufenthaltsverbot nach Österreich eingereist ist, wäre eine Schubhaft gemäß Paragraf 76 Fremdenpolizeigesetz wohl möglich gewesen. Diesfalls hätte der Innenminister die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen; ein neues Gesetz braucht er dazu nicht.

Verfassungsänderung nötig

Eine Sicherungshaft ist nach nationalem Verfassungsrecht nicht zulässig. Ihre Einführung bedürfte also einer Verfassungsänderung. Nach Artikel 5 Menschenrechtskonvention wäre die Einführung einer Sicherungshaft nur insoweit zulässig, als "begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, den Betreffenden an der Begehung einer strafbaren Handlung (...) zu hindern". Die Einführung einer Sicherungshaft würde also voraussetzen, dass es um die Abwehr erheblicher und unmittelbar drohender Gefahren geht und eine andere Möglichkeit nicht besteht. Kriterium für die Verhängung und Aufrechterhaltung einer Sicherungshaft kann allein die Gefährlichkeit des Betreffenden sein.

Schon daraus ergibt sich, dass der Plan des Innenministers, eine Sicherungshaft nur für Asylwerber vorzusehen, rechtlich nicht möglich ist. Bekanntlich sind nicht nur manche Asylwerber gefährlich, sondern auch manche österreichische Staatsbürger. Eine Frau, die von ihrem österreichischen Partner ermordet wird, ist genauso tot wie eine Frau, die von einem Asylwerber ermordet wird. Derartige Fälle kommen leider allzu häufig vor; bemerkenswert ist, dass unsere Regierungsspitze, die sich um unsere Sicherheit sorgt, bisher keine Anstrengungen erkennen ließ, solche Vorfälle zu verhindern. Erst der Mord in Dornbirn hat den Tatendrang des Innenministers angestachelt. Dieser Umstand rückt das ganze Projekt in ein rechtes Licht.

Misere Maßnahmenvollzug

Entscheidend ist, wie man die Gefährlichkeit eines Menschen verlässlich erkennen kann. Hier bedarf es fachlich qualifizierter unabhängiger Gutachter, auf die sich das Gericht bei seiner Entscheidung stützen kann. Allein mit dem Einsperren ist es freilich nicht getan; es stellt sich weiters die Frage, wie man mit den betreffenden Personen in der Folge verfährt. Dazu gibt es im österreichischen Recht eine vergleichbare Situation. Verurteilte Straftäter, die auch nach Verbüßung ihrer Haft weiterhin als gefährlich gelten, sind in den sogenannten Maßnahmenvollzug aufzunehmen. Dort sollten sie therapiert werden und nach erfolgreicher Therapie in Freiheit entlassen werden. Die Praxis sieht leider anders aus.

Wer in den Maßnahmenvollzug aufgenommen wird, kann sich vom Rechtsstaat verabschieden. Er muss damit rechnen, über viele Jahre dort zu verbleiben. Das liegt auch daran, dass qualifiziertes Personal in den Vollzugsanstalten Mangelware ist und Therapieerfolge daher eher selten zu verzeichnen sind.

Großteils "Schlechtachten"

Insassen des Maßnahmenvollzugs werden in regelmäßigen Abständen von Psychiatern daraufhin untersucht, ob ihre Gefährlichkeit noch weiter besteht. Da der Bund nicht bereit ist, diesen Gutachtern angemessene Honorare zu bezahlen, gibt es nur wenige Gutachter. Deren Gutachten könnte man großteils eher als "Schlechtachten" bezeichnen. Sie gründen oft auf einem mehrminütigen Gespräch zwischen Gutachter und Insasse und bestehen aus Textbausteinen, die widersprüchlich oder nichtssagend sind. Die Richter, die über den weiteren Vollzug zu entscheiden haben, sind auf diese Gutachten angewiesen, weil ihnen andere Gutachter nicht zur Verfügung stehen.

Die Einführung einer Sicherungshaft würde bedeuten, dass man diesen großen Missstand auf weitere Personen ausdehnt. Der frühere Justizminister Wolfgang Brandstetter hat die Misere erkannt und einen Gesetzesentwurf zur Reform des Maßnahmenvollzuges vorgelegt. Dieser konnte infolge des verfrühten Endes der Gesetzgebungsperiode nicht beschlossen werden. Die gegenwärtige Bundesregierung misst diesem Thema offenbar keine Bedeutung zu, der Gesetzesentwurf von Brandstetter ist in der Rundablage des Justizministeriums verräumt.

Gründliche Vorbereitung

Man soll die Idee einer Sicherungshaft nicht von vornherein und gänzlich verdammen. In manchen Beziehungskonflikten könnte möglicherweise Schlimmeres verhindert werden. Für die Einführung einer Sicherungshaft bedürfte es allerdings einer gründlichen, von sachlichen Erwägungen getragenen Vorbereitung. Experten und erfahrene Exekutivbeamte müssen zu Wort kommen können. Sicherzustellen wären auch das Vorhandensein ausreichend qualifizierten Personals und eine angemessene Entlohnung der Gutachter.

Diese Voraussetzungen sind unabdingbar, liegen aber derzeit nicht vor. Unsere Bundesregierung betont immer wieder, das zu tun, was das Volk wünscht. Die Wünsche des Volkes entnimmt sie gerne den sozialen Medien. Experten und Skeptiker sind dabei nur hinderlich. Die Zeit ist für ein solches Projekt nicht reif. Bitte Hände weg! (Heinz Mayer, 28.2.2019)