Mindestens 31 Kinder und Jugendliche sollen über Jahre auf dem Campingplatz der Kleinstadt Lügde missbraucht worden sein.

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Alles nicht so schlimm, wir haben die Lage im Griff. Das sind normalerweise die Botschaften, die Politiker verbreiten, wenn etwas passiert ist. Doch im Fall des massenhaften Kindesmissbrauchs in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Lügde musste nun auch Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) entsetzt einräumen: "Es sieht so aus, dass es noch schlimmer ist, als ich befürchtet habe."

Mindestens 31 Personen, die meisten zwischen vier und 13 Jahre alt, sollen über Jahre auf einem Campingplatz der Kleinstadt östlich von Bielefeld missbraucht und dabei gefilmt worden sein. Die Polizei geht von mehr als tausendfachem Missbrauch aus, viele Opfer haben sich vermutlich noch gar nicht gemeldet.

Sieben Verdächtige

Mittlerweile sind sieben Verdächtige im Visier der Polizei, der jüngste ist 16 Jahre alt. Und es tun sich Abgründe von Behördenversagen auf. Der Hauptverdächtige, ein 56-Jähriger aus Lügde, soll schon im Jahr 2002 eine Achtjährige vergewaltigt haben. Doch die Informationen wurden von der Polizei nicht an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. "Im Moment sieht es nicht so aus, dass ein Verfahren eingeleitet wurde", sagt Reul.

Seiner Ansicht nach hätte der Missbrauch nach 2016 verhindert werden können. Ab diesem Jahr gingen immer mehr Informationen ein. So habe sich im August ein Vater an Polizei, Jugendamt und Kinderschutzbund gewandt. Die Polizei ermittelte jedoch nicht, es gibt auch keinen Hinweis an die Staatsanwaltschaft.

Keine Ermittlungen trotz Hinweisen

Im November 2016 informierte eine Mitarbeiterin des Jobcenters in Blomberg die Polizei über Äußerungen des Hauptverdächtigen, die auf sexuellen Missbrauch hindeuten. Doch die Polizei forschte abermals nicht nach.

Mittlerweile wird wegen Strafvereitelung im Amt und wegen Verletzung der Fürsorgepflicht gegen 14 Beschuldigte bei Behörden ermittelt. Darunter sind zwei Polizisten und acht Jugendamtsmitarbeiter. Jugendämter stehen in der Kritik, weil sie möglicherweise Hinweise missachtet haben und weil der Hauptverdächtige ein Pflegekind hatte. Mit diesem soll er andere Kinder angelockt haben.

Belastendes Material verschwunden

Doch es gibt noch weitere Pannen. Bei den Ermittlungen sollen 155 CDs und DVDs, auf denen kinderpornografisches Material vermutet wird, einfach verschwunden sein. "Schwere handwerkliche Fehler haben sich potenziert. Verantwortliche Führung ist nicht erkennbar", fasst der von Reul eingesetzte Sonderermittler Ingo Wünsch die Lage zusammen. Reul selbst spricht von einem "Debakel" und von einem "Polizeiversagen".

In Nordrhein-Westfalen regieren CDU und FDP, die Opposition nimmt den Innenminister unter Beschuss. "Herr Reul hat seinen Laden nicht im Griff", sagt die grüne Abgeordnete Verena Schäffer, die SPD liebäugelt mit einem Untersuchungsausschuss. Reul will jetzt alle Fehler gutmachen und sagt: "Das ist mein Projekt. Das wird aufgeklärt, soweit es geht. Hundert Prozent." (Birgit Baumann, 28.2.2019)