Wolfgang Eder steht seit 15 Jahren an der Spitze der Voestalpine mit mehr als 50.000 Mitarbeitern. Die Umwälzungen in der Autoindustrie betreffen die Linzer besonders, da sich der Konzern längst vom einfachen Stahlhersteller in einen technologisch führenden Zulieferer verwandelt hat. Die Autobauer sorgen für ein Drittel des Umsatzes. In der Elektromobilität sieht Eder viel Potenzial für die Voest, bis hin zum Bau ganzer Elektromotoren. Dennoch sieht er die Grenzen der Stromautos, beispielsweise wegen der Ladeproblematik. Und sieht die Brennstoffzelle im Vormarsch.

STANDARD: Sie fahren mit Vollgas in die Formel E, liefern praktisch alle Komponenten. Wann baut die Voestalpine selbst Elektromotoren?

Eder: Sicher nicht in den nächsten drei Jahren. Ich würde es langfristig aber nicht ausschließen, dass wir in eine Elektromotorenfertigung gehen. Aber da brauchen wir und sammeln noch Erfahrung. Wir bauen jetzt den Rotor, also den inneren, drehenden Teil und gewisse Teile der Außenseite. Grundsätzlich ist ein Elektromotor ja technisch nicht extrem kompliziert. Das Know-how liegt wieder einmal im Material. Dieses Elektroblech muss ganz spezifische magnetische Eigenschaften haben. Natürlich ist es nahe liegend, als weltweit führender und Europas größter Materialhersteller für diese Spezialbleche, dass wir überlegen: Jetzt machen wir einzelne Teile, vielleicht machen wir irgendwann alle Teile. Aber für die nächsten Jahre sind wir am Lernen.

STANDARD: Steht der Aufwand dafür? E-Mobilität wird zwar gehypt, ist im Autobusiness aber letztlich nur eine Brückentechnologie.

Eder: Es ist tatsächlich die Frage, wie schnell es mit der Elektromobilität vorangeht. Ich sehe die wirklich langfristige Zukunft eher bei Wasserstoff- und Brennstoffzelle. Das ist auch ökologisch und hinsichtlich Lifecycle die bessere Variante. Denn der batteriebetriebene Elektromotor hat das Problem, dass er unter Lebenszyklus- und Nachhaltigkeitsaspekten keine optimale Lösung darstellt. Aber bis der Wasserstoff eine Alternative ist, wird es wohl mindestens zwanzig Jahre dauern – aber am notwendigen Antriebsaggregat ändert er nichts.

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Die Voestalpine mischt unter ihrem Generaldirektor Wolfgang Eder mit ihrem Elektroband-Stahl kräftig mit im Elektroautobau.
Fotos: Reuters / Heinz-Peter Bader

STANDARD: Was ist an E-Motoren so kompliziert, das ist ja eine ausgereifte Technologie?

Eder: Stimmt, sie hat sich seit Jahrzehnten wenig verändert. Aber mit verfeinerten Materialeigenschaften im Basiswerkstoff Elektroband können wir jetzt Effizienz und Wirkungsgrad erhöhen. Damit beschäftigen wir uns intensiv. Weil für den Schritt hin zur breiteren Komponentenproduktion brauchen wir größtmögliche Sicherheit, dass durch unseren Zusatznutzen eine entsprechend verbesserte Wirtschaftlichkeit erreicht wird.

STANDARD: Ist die deutsche Autoindustrie diesbezüglich Spätzünder?

Eder: Vielleicht waren die Erwartungen in andere Alternativen, etwa Wasserstofftechnologie, zu hoch. Schon vor zehn, 15 Jahren gab es ja die Hoffnung, dass die Brennstoffzelle für Handys in fünf Jahren serienreif und bald für Autos ein Thema wäre. Weit gefehlt! Es ist alles viel komplexer, vieles nach wie vor im Entwicklungsstadium. Das ist auch der Grund, warum wir für unser Wasserstoffprojekt bis zur Großserienreife von einem Zeithorizont zwischen 15 und 20 Jahren ausgehen.

STANDARD: Die Voestalpine hatte bereits Mitte der 2000er-Jahre große Pläne im Automobilbereich, dann kamen Konjunktureinbruch und Restrukturierung. Nun ist die Abhängigkeit größer denn je: Ein Drittel des Umsatzes von 12,9 Milliarden Euro macht die Voestalpine im Automobilsektor – diesfalls fein verteilt von Stahl bis Edelstahl. Ist diese Abhängigkeit angesichts von Dieselfahrverboten weniger gefährlich?

Eder: Man muss differenzieren. Ich glaube nicht, dass das Auto in 20 oder 30 Jahren völlig anders sein wird, jedenfalls nicht in der Grundstruktur. Es wird aber schon früher eine stärkere Differenzierung geben zwischen Kleinwagen à la Car2go auf Elektrobasis für den städtischen Raum und Hybridautos für längere Fahrten. Manche Leute meinen sogar, es wird wie häufig in den 60er-Jahren ein kleines Wochentagsauto geben und eine Familienkutsche für Wochenende und Urlaub – das halte ich für gewagt.

STANDARD: Einspruch! Die Zwergautos sind heute die Frauenautos ...

Eder: (lacht) In diese Richtung wird es gehen – aber realistischerweise für Männer und Frauen. Deshalb spielt sich die Elektrifizierung vorerst vor allem im Kleinwagensektor ab. Dort macht es Sinn, denn im urbanen Bereich gibt es auch die notwendige Versorgungsinfrastruktur mit Strom. Völlig anders ist es bei langen Strecken über Land. Stellen Sie sich die Brennerautobahn an einem heißen Sommerwochenende vor, wo sich halb Europa auf dem Weg in den Süden trifft, und alle müssen nach 200 Kilometern Fahrt Strom tanken. Jede Aufladung dauert mehr als 20 Minuten, also zehnmal so lang wie bei herkömmlichem Treibstoff. Wir bräuchten damit auch zehnmal so viel Tankfläche wie bisher, und da reden wir noch nicht darüber, wie die erforderlichen Strommengen dort unterirdisch, und damit technisch sehr aufwendig, hingelangen. Ich glaube, da ist vieles noch nicht durchdacht.

Fürchtet das Elektroauto nicht als Konkurrenz für Verbrennungsmotoren: Mehr als 30 bis 40 Prozent werden es nicht werden, glaubt Voest-Chef Eder.

STANDARD: Alles illusorisch?

Eder: Nicht alles, aber manches braucht wohl größere Realitätsnähe. Deshalb gehen wir davon aus, dass wir in 20, 25 Jahren vielleicht 30 bis 40 Prozent reine Elektroautos haben werden, und das primär in Städten. Aber auch das andere Auto – auf Hybrid- oder Wasserstoffbasis– wird es immer geben. Die Konzeption wird dann vielleicht nicht mehr so komplex sein wie heute, weil sich das Umfeld ändert – Stichwort autonomes Fahren. Aber die Sicherheit bleibt zentrales Thema, und mit ihr Leichtbau bei größtmöglicher Festigkeit – und da sind wir dann wieder auch in Zukunft bei unseren Kernkomponenten.

STANDARD: Stichwort Handelskonflikt: Zwischen den USA und China bahnt sich zumindest auf einigen Ebenen eine Einigung an, der Kollateralschaden wäre dann Europa. Sie haben ein härteres Vorgehen der EU gegen China gefordert, um nicht zwischen den beiden aufgerieben zu werden. Gilt das noch?

Eder: Es ist schwierig. Das Naheliegendste wäre ja gewesen, sofern China aufgrund wirtschaftsaggressiven Verhaltens tatsächlich das große Problem der Zukunft ist, dass Europa und die USA ihr Verhältnis auf eine solide Basis stellen und aus einer Position der Stärke gemeinsam versuchen, mit China einen langfristig akzeptablen Modus Vivendi auszuverhandeln. Trump hat mit seinen Section-232-Attacken aber letztlich Europa und China gleichzeitig angegriffen, sich in der Folge aber auf China konzentriert, das seinerseits verstärkt auf andere Märkte auszuweichen versucht.

STANDARD: Somit droht die EU zum Kollateralschaden zu werden?

Eder: Jedenfalls in einzelnen Wirtschaftsbereichen. Wir merken etwa, dass über den Umweg China die Werkzeugstahlpreise unter Druck geraten. Dieses Beispiel macht auch deutlich, dass die direkten Folgen der US-Ausfuhrmaßnahmen auf das US-Geschäft häufig weniger gravierend sind als die indirekten über Drittmärkte.

Europa wird zum Kollateralschaden im Handelskonflikt zwischen den USA und China, fürchtet Voestalpine-Chef Wolfgang Eder.

STANDARD: Lässt sich dieser Schaden beziffern?

Eder: Diese Kollateralschäden lassen sich aufgrund ihrer Komplexität nicht verlässlich quantifizieren, aber sie haben im letzten Jahr deutlich zugenommen. Ich bin mir nicht sicher, ob das der Politik so bewusst ist. Für die Unternehmen werden dadurch strategischen Entscheidung, aus einem Markt raus- oder gegebenenfalls auch reinzugehen, viel schwieriger, weil die Komplexität der Einflussfaktoren alle Rechnungen erschwert.

STANDARD: Macht die Politik der Strafzölle Schule, müsste die Voestalpine in allen Schlüsselmärkten mit Produktionen präsent sein, und das Problem stellte sich nicht mehr. Wäre das eine Option?

Eder: Genau das ist das Dilemma, in dem wir uns in der strategischen Planung aktuell befinden. Wir müssten in allen für uns wesentlichen Märkten entsprechende Produktionsstrukturen aufbauen, um nicht betroffen zu sein. Wenn aber in ein paar Jahren als Gegenreaktion wieder der große Freihandel ausbricht, stimmen die Economies of Scale nicht mehr, weil wir dann wieder von großen zentralen Hubs aus operieren könnten. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir in den für uns wichtigsten Märkten unabhängig von den protektionistischen Verwerfungen mit Produktionen gut aufgestellt sind. In Nordamerika haben wir das HBI-Werk in Corpus Christi, Autokomponenten-, Edelstahl- und Rohstoffbearbeitungszentren, sieben Weichenwerke und mehr. Von den 1,3 Milliarden Euro Umsatz in den USA ist damit fast eine Milliarde amerikanischer Produktionsumsatz, 350 Millionen sind Importe aus Europa und Brasilien. Das Sanktionsrisiko beschränkt sich auf dieses Volumen.

STANDARD: Was heißt das für die Automotive-Standorte?

Eder: Die notwendigen Spezialbleche brauchen wir überwiegend aus Österreich, die kriegen wir in den USA nicht. Und deshalb beschäftigt uns in einem unserer vielen Zukunftsszenarien die Frage, ob wir uns bei einer längerfristig weiteren Eskalation einen Partner suchen sollten, dem wir eine Lizenz geben, damit er für uns in den USA produziert. Das wäre eine Variante, damit wir nicht in eine lokale Eigenproduktion gehen müssen. Würden in der Folge tatsächlich überall Mauern hochgezogen, wäre auch das zu überlegen. Davon gehen wir allerdings nicht aus.

STANDARD: Abgesehen von den Kosten kann man mit Eigenproduktionen auch kräftig einfahren. Die Probleme beim Hochfahren des Autowerks in Cartersville in Georgia sind mahnendes Beispiel. Sie mussten Fachleute einfliegen, Aufträge weitergeben. Die Rede ist von 40 bis 50 Millionen Euro Mehraufwand. Wie hoch ist der Schaden, und haben Sie zu knapp kalkuliert?

Eder: Die Schadenshöhe haben wir hier aus Gründen des Selbstschutzes nur im Paket mit anderen Vorsorgen, nicht aber isoliert kommuniziert. Hauptgrund war in Cartersville ein zeitlich und von der Manpower her überambitioniertes Investitions- und Hochlaufkonzept, das wir in der Zwischenzeit auf eine realistische Basis gestellt haben.

Bittere Pillen zum Abschied für Voest-Chef Wolfgang Eder: Nach Kartellverfahren bei Schienen, Edelstahl und Automotive kam 2017 noch eines wegen Preisabsprachen im Grobblechbereich.

STANDARD: Zu den aktuellen Widrigkeiten gehören auch die Kartellverfahren. Nach Automotive, Schienen und Edelstahl tauchten just im Stahlbereich verbotene Preisabsprachen auf – ein Bereich, den Sie viele Jahre verantwortet haben. Fehlt es in der Voestalpine an Unrechtsbewusstsein?

Eder: Heute und in den letzten Jahren sicher nicht mehr. Das Frustrierende daran ist aber, dass die Wurzeln für solches Fehlverhalten, wie übrigens bei all unseren Kartellfällen, aus der Zeit lang davor stammen. Also 20, 30, ja 40 Jahre zurückliegen.

STANDARD: Zumindest wissen Sie jetzt, warum es bei Schienen kaum Preisschwankungen gab. Dafür waren die Bahnsysteme ja intern immer bewundert worden, nicht?

Eder: Ganz so einfach ist es nicht. Richtig ist, dass das Schienenkartell wohl bereits Ende der 1970er-Jahre entstanden ist und offensichtlich immer auf die nächste Verkäufergeneration übertragen wurde. Diese Leute sind gleichsam in einem spezifischen Biotop groß geworden, wohl auch deshalb fehlte vielfach das Unrechtsbewusstsein. Besonders anfällig, das kann man als Muster erkennen, sind Bereiche, in denen es wenige Anbieter und überschaubare Kundenstrukturen gibt. Aber wir haben das über jetzt bald zehn Jahre intensiv aufgearbeitet, die Mitarbeiter werden permanent geschult, es gibt jährliche Refresher-Kurse, die jeder machen muss. (Luise Ungerböck, 1.3.2019)