Sie spricht schnell, fast etwas gehetzt, man spürt ihre innere Spannung. Florence Porcel sagt selbst, sie sei bis heute nicht darüber hinweg. Die Wissenschaftsjournalistin und Youtuberin war vielleicht wegen ihres guten Aussehens der LOL-Liga in die Hände gefallen. Diese Facebook-Gruppe von etwa 30 Medienleuten, DER STANDARD berichtete, verfolgte ab 2009 über Jahre zahllose Journalistinnen auf sozialen Medien.

Als sie nicht mitgespielt habe, sei zuerst eine pornografische Fotomontage von ihr erschienen, erzählt Porcel. Dann habe man sie mit fingierten Telefonanrufen hereingelegt. Auf Twitter wurde sie angeschwärzt, schlechtgemacht, sexuell schwer beleidigt. Zum deklarierten Zweck des lauten Lachens über die Opfer: Das Internetkürzel "LOL" bedeutet so viel wie "Laughing Out Loud".

Bild nicht mehr verfügbar.

"Jahre lebte ich auf Twitter mit dem Gefühl, von Snipern gejagt zu werden", sagt ein Opfer der Pariser LOL-Liga von Medienleuten, die Journalistinnen lächerlich machten.
Foto: Getty Images

Angstzustände

"Ich versuchte zuerst, mit Ironie zu reagieren, um zu zeigen, dass ich über der Sache stand", meint Porcel auf dem Onlineportal von Le Figaro. In Wahrheit habe sie schwere Angstzustände durchlebt und negative Auswirkungen auf ihre Arbeit befürchtet. Sie wäre gern zur Polizei gegangen, sagte die junge Frau. "Doch wer hätte schon einer kleinen Freischaffenden geglaubt?" Zumal ihre Belästiger stadtbekannte Namen der Pariser Medienszene trugen, teils leitende Redakteure bekannter Medien waren, wie der Tageszeitung Libération, des Wirtschaftsmagazins Les Inrockuptibles, des Onlineportals Slate, des Pay-Senders Canal Plus, der Huffington Post oder des auf Zukunftsthemen spezialisierten Magazins Usbek & Rica.

Die Abteilung Check News von Libération hat die Sache im Februar ins Rollen gebracht. Das Pariser Linksblatt stellte zwei Mitarbeiter frei, darunter den Gründer der LOL-Liga, Vincent Glad, der sich einen Namen gemacht hatte, indem er Starautor Michel Houellebecq als Wikimedia-Plagiator entlarvte. Les Inrocks suspendierten ihren Ressortleiter David Doucet, einen erklärten "Faschistenjäger", der in Büchern die "Internetschlacht der extremen Rechten" beschreibt.

"Ich war dick, eine Frau"

Nach dem Libé-Artikel äußerten sich zuerst nur bekanntere Journalistinnen wie Daphné Bürki, Nadia Daam oder die Afrofeministin Mélanie Wanga. Die Bloggerin Daria Marx teilte mit, sie sei jahrelang im Visier der LOL-Liga gewesen: "Ich war dick, ich war eine Frau, das genügte, um sie zum Lachen zu bringen. Mehrere Jahre lang lebte ich auf Twitter mit dem Gefühl, von Snipern gejagt zu werden." Diese Sniper, das waren wohlgemerkt Journalisten, Werber oder PR-Berater, die sich cool, trendig und links gaben.

Nach zwei Wochen mehren sich aber die Berichte betroffener Frauen. Eine "Alexandra" erklärte, sie sei an der bekannten Journalistenschule in Lille sexuell attackiert worden; sie habe sich gewehrt – und sei daraufhin in einer anonymen Twitter-Kampagne als "Schlampe" fertiggemacht worden. Nun hat sie sich mit ihrem richtigen Namen Aurélie Abadie geoutet – bereit, öffentlich gegen ihre Verfolger aufzutreten.

Der Hauptbeschuldigte, der Journalist Glad (34), entschuldigte sich. Er meinte, er habe ein "Monster" geschaffen, das ihm entglitten sei. Auch will er die Verantwortung teilen, meinte er doch: "Die Belästigung entsteht durch den Gruppeneffekt."

"Libération"-Coverstory über die von einem ihrer Journalisten gegründete Mobbing-Gruppe.
Foto: Liberation

"Gesetz des Schweigens"

Warum die Affäre erst nach Jahren auffliegt, erklärt die bekannte Bloggerin Nassira El Moaddem, von der LOL-Fraktion mit falschen Jobangeboten und rassistischen Scherzen gemobbt: "Wir lebten in einer Blase, es herrschte das Gesetz des Schweigens."

Die Reaktionen der betroffenen Medien bleiben aber teilweise sehr zurückhaltend. Selbst Libération berichtete erst, als die Machenschaften der LOL-Liga längst Branchengespräch waren. Les Inrocks gingen in ihrer Druckausgabe bisher gar nicht darauf ein, online nur knapp.

Die Pariser Ausgabe von Huffington Post hatte im vergangenen Herbst verschwiegen, dass sie drei Mitarbeiter entlassen hatte. Deren überaus sexistische, homophobe und rassistische Social-Media-Gruppe vereinte drei Viertel der männlichen Redaktionsmitglieder. Die Historikerin Juliette Lancel sagt: "In der Pariser Medienszene gibt es noch viele dieser machistischen Boy's Clubs."

Gesetz beschleunigen

Libération führt nun immerhin eine interne Untersuchung durch und prüft mögliche Rechtsfolgen. Die Regierung in Paris hat verlauten lassen, dass sie ein laufendes Gesetzesprojekt beschleunigen und noch vor der Sommerpause ein neues Gesetz vorlegen wolle, um Portale wie Facebook oder Twitter stärker zur Verantwortung zu ziehen.

In der Zeitschrift Elle erklärte diese Woche ein feministisches Kollektiv: "Wir erleben gerade, was man als Beginn einer #MeToo-Bewegung gegen die Cybergewalt bezeichnen könnte." (Stefan Brändle, 1.3.2019)