Der "Augustin" braucht Unterstützung.

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Zehn Schilling und Stefanie Werger auf dem Cover: Der erste "Augustin" erschien im Jahr 1995.

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Geht es in der Tonart weiter, wird das Jubiläum düster: 2020 feiert der "Augustin" seinen 25. Geburtstag. Die Vorzeichen für eine üppige Feier stehen schlecht, denn die Wiener Straßenzeitung kämpft mit finanziellen Problemen. Wurden vor zehn Jahren noch rund 35.000 "Augustin"-Exemplare pro 14-tägige Ausgabe gedruckt, sind es jetzt nur mehr 17.000 bis 18.000 Stück. "Wir bräuchten heuer 60.000 Euro, um nicht mehr selbstausbeuterisch zu arbeiten", sagt Claudia Poppe, und ihre Kollegin Eva Rohrmoser ergänzt: "Es soll nicht alles ehrenamtlich gemacht werden. Unsere Arbeit hat einen Wert."

Fifty-fifty

"Wir", das sind 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für 15 bis 40 Stunden pro Woche angestellt sind, damit auch andere profitieren: die derzeit 300 Verkäufer. Sie sind das finanzielle Rückgrat der Straßenzeitung. Bringen sie ihre Exemplare nicht mehr an den Mann und die Frau, fließt auch kein Geld zurück an den Verein, der die Zeitung seit dem Jahr 1995 herausgibt. Der Verkaufspreis von 2,50 Euro pro Ausgabe wird geteilt. "Sie sind von uns abhängig, dass wir ein gutes Produkt liefern, und wir sind von ihnen abhängig, dass sie dieses Produkt verkaufen", sagt Rohrmoser. Die Sozialarbeiterin fungiert als Kassiererin und macht gemeinsam mit Poppe die Öffentlichkeitsarbeit.

"Bettelmafia"

Gewalt gegen Frauen, die Nazivergangenheit Friedrich Zweigelts, Gras für Oma oder der Arbeitsalltag von Anna Lallitsch, die für den ORF auf dem zweiten Tonkanal Sportereignisse kommentiert, Literatur und Veranstaltungstipps: Das Themenspektrum des "Augustin" ist genauso bunt, wie seine Verkäufer divers sind. Ihre Zusammensetzung variiert – je nach weltpolitischer Gemengelage: "Ein Drittel ist derzeit deutschsprachig, ein Drittel kommt aus Afrika und ein Drittel aus Osteuropa", schätzt Rohrmoser. Am schwierigsten hätten es derzeit die Osteuropäerinnen: "Sie müssen immer wieder ausreisen, was es nicht leicht macht, eine Stammkundschaft aufzubauen. Und dann ist medial auch noch oft von der Bettelmafia die Rede."

Straßenzeitung Augustin in Not
ORF

Neben vier Angestellten in der Redaktion schreiben noch "50 bis 70" freie Journalistinnen und Journalisten regelmäßig für das Medium, das sich Unabhängigkeit auf seine Fahnen heftet und charmant mit der Bezeichnung "erste österreichische Boulevardzeitung" kokettiert. Für die Probleme sind längst nicht nur, aber auch andere Boulevardmedien mitverantwortlich: die Gratiszeitungen "Heute" und "Österreich", die in den Jahren 2004 beziehungsweise 2006 gegründet wurden. Sie haben den "Augustin" sukzessive als Lektüre aus den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgedrängt. Später kamen noch die Smartphones dazu.

Der "Augustin" erscheint zweimal im Monat und kostet 2,50 Euro.
Foto: Augustin/Mario Lang

Solidaritätswelle statt soziale Kälte

Noch mehr als den Medienwandel bekommt der "Augustin" aber etwas anderes zu spüren, sagen die Macherinnen: soziale Kälte. Wenn das Wort "Gutmensch" zum Schimpfwort mutiert, ist Feuer am Dach: "Das gesellschaftliche Klima wird rauer." Um klimatisch entgegenzusteuern, wollen Poppe und Rohrmoser eine Solidaritätswelle initiieren. Ein erster Schritt dazu ist eine "Augustin"-Supporters-Konferenz. Sie findet am 5. März in Wien statt und gipfelt in einer Podiumsdiskussion, die ab 18.45 Uhr unter dem Motto "Die Stadt gehört uns allen" steht.

Dass dem nicht so ist, erfahren die "Augustin"-Verkäufer tagtäglich am eigenen Leib, erzählen Poppe und Rohrmoser im Gespräch mit dem STANDARD. "Begonnen hat es mit dem neuen Hauptbahnhof, dort gibt es aus Brandschutzgründen ein generelles Verkaufsverbot", sagt Poppe und zählt weitere Gründe auf, warum das Geschäft schwieriger wird. Manche Lokale würden Kolporteure verbannen, oder: "Eine Supermarktkette hat uns vorgeschrieben, dass 'Augustin'-Verkäufer fünf Meter vom Eingang entfernt stehen müssen. So kann man nicht einmal richtig Blickkontakt herstellen."

Polizei gerufen

Erst kürzlich habe sich eine Supermarktkundin bei einer Mitarbeiterin der Filiale beschwert, nachdem eine "Augustin"-Verkäuferin um Trinkgeld gebeten habe: "Sie rief sogar die Polizei. Die Folge war ein Verkaufsverbot für diese Filiale und eine Verwaltungsstrafe von 100 Euro." Poppe kritisiert die "Privatisierung" des öffentlichen Raumes: "Ich darf mich in vielen Bereichen nicht mehr aufhalten, wenn ich nichts konsumiere."

Momentan herrsche ein "Klima der Unsicherheit", bedauert Poppe: "Auf der Straße gibt es viele Leute, die etwas von mir wollen und mich ansprechen." Ob das jetzt Geld sei oder Spendenkeiler, die für NGOs rekrutieren: "Ich möchte nicht von Armutsbetroffenen genervt sein, dass sich mein Herz verschließt."

"Es geht nicht um Almosen"

"Die Wiener sind ja keine Arschlöcher", sagt Rohrmoser: "In vielen Fällen unterstützen sie die Verkäufer, indem sie ihnen Geld geben, ohne die Zeitung zu nehmen. So reduzieren sie ihn aber auf ein Betteln." Und das Geld fließe nicht zurück zum Verein. "Es geht nicht um Almosen, das Produkt ist gut", so Poppe: "Wir machen eine kritische Zeitung, die allen auf die Finger schaut."

Ein weiteres Problem, mit dem der "Augustin" schon seit längerer Zeit konfrontiert ist, sind Bettler, die keine offiziellen Kolporteure sind, die Zeitung aber als Türöffner verwenden, um leichter an Geld zu kommen. "Wir bekommen Beschwerden", erklärt Poppe, "können aber nichts dagegen tun." Denn: "Zwischen dem einen Armen und dem anderen Armen Polizei spielen, das geht nicht, und das wollen wir nicht."

Die offiziellen "Augustin"-Verkäufer müssen sich an bestimmte Regeln halten: Dazu gehört, den Ausweis sichtbar zu tragen, höflich und nüchtern zu sein. Aufgrund der sinkenden Auflage kann der "Augustin" zeitweise keine neuen Verkäufer aufnehmen. Ein Aufnahmestopp muss immer wieder verhängt werden.

Viele Nebenarme

Den "Augustin" auf eine Straßenzeitung zu reduzieren wird dem Projekt nicht gerecht. Es ist viel mehr. Der Verein mit Sitz in der Reinprechtsdorfer Straße 31 im 5. Bezirk betreibt noch die Sendung Radio Augustin auf Radio Orange, Augustin TV auf Okto TV, einen Chor namens Stimmgewitter, eine Theatergruppe, und er organisiert sportliche Aktivitäten wie Fußball oder Tischtennis. Sozialarbeit, Rechtsberatung, Deutsch- und Computerkurse gehören genauso zum Repertoire wie eine Schreibwerkstatt oder der Veranstaltungskalender Strawanzerin, den Claudia Poppe verantwortet.

Stadt Wien inseriert lieber woanders

Der "Augustin" erhält keinerlei Förderungen. Die Projekte werden primär über den Verkauf der Zeitung querfinanziert. Dazu kommt noch ein Modell mit 333 Liebhaberinnen und Liebhabern, die monatlich 25 Euro zahlen, private Spenden sowie Anzeigen, Beilagen, Kalender oder T-Shirts. So oft die Stadt Wien auch in Boulevardmedien wie der "Krone", "Österreich" und "Heute" inseriert, so selten tut sie es im "Augustin". Jedenfalls liegt es unter der hauseigenen Wahrnehmungsschwelle: "Im letzten Jahr hat sie es kaum oder gar nicht gemacht", sagt Rohrmoser. Genommen wird nicht alles, was Geld bringt: "Die Wiener Linien haben wir verärgert, weil wir das Sujet mit dem schwarzen Schaf abgelehnt haben."

Könnte ein höherer Verkaufspreis die finanzielle Misere beenden? Zum Beispiel drei Euro pro Exemplar? "Die Verkäufer sehen, dass es mit 2,50 Euro schon schwer ist, die Zeitung zu verkaufen. Sie wollen mit einem Produkt unterwegs sein, das gewollt ist", so Rohrmoser, denn: "Der 'Augustin'-Verkauf ist mit einer Stigmatisierung verbunden. Du outest dich als armutsbetroffen. Das ist nicht einfach." Gefällt das Produkt, steigt auch ihr Standing: "Die Leute sollen nicht einfach sagen: Ich gebe dir einen Euro, aber behalte dir bitte den Schas." (Oliver Mark, 1.3.2019)