Bild nicht mehr verfügbar.

"Brasilien über alles, Gott in allem". Das ist der Wahlkampfslogan von Präsident Jair Bolsonaro, den Schüler täglich aufsagen sollen.

Foto: Reuters / Marcelino

Brasilia – Brasilianische Schulkinder sollen vor dem Unterricht die Nationalhymne singen. Lehrer sollen die Kinder dabei filmen und die Videos an das Bildungsministerium schicken. So steht es in einem Brief, den Bildungsminister Ricardo Vélez Rodríguez an die öffentlichen Schulen im Land verschickte. Dafür erntete er einen veritablen Shitstorm.

Vor allem dafür, dass dabei ein Text verlesen werden soll, in dem der Bolsonaro-Wahlkampfslogan "Brasilien über alles, Gott über allem." Nicht nur Kritiker der rechtskonservativen Regierung sehen in dem Aufruf gleich mehrfach Konfliktpotenzial mit bestehenden Gesetzen.

"Brasilianer! Lasst uns das neue Brasilien begrüßen und die verantwortungs- und qualitätsvolle Erziehung feiern, die sie in unserer Schule von den Lehrern erhalten. Zum Nutzen von Euch, den Schülern, die ihr die neue Generation darstellt. Brasilien über alles, Gott über allem", schrieb der Bildungsminister nun an alle öffentlichen Schulen im Land.

"Bildung für Propaganda missbraucht"

Die Reaktionen auf das Schreiben waren durchaus gemischt. Während viele dem Aufruf folgten und wenige Stunden später die ersten Videos in den sozialen Netzwerken Twitter, Facebook und Whatsapp kursierten, waren andere empört. Allen voran natürlich die Opposition. Dabei richtet sich die Kritik von Marcelo Freixo, Chef der linken Partei PSOL gar nicht gegen das Singen der Hymne. "Das Problem ist, dass Schüler und Lehrer durch die Strukturen des Ministeriums dazu missbraucht werden, politische Propaganda zu betreiben", teilte er über Twitter mit. Deshalb habe er den Minister beim Bundesstaatsanwalt eingeschaltet.

Auch die regierungsnahe Organisation "Schule ohne Politik, die sich vor allem dafür stark macht, vermeintliche ideologische Inhalte an Schulen zu bekämpfen, sieht den Vorstoß des Bildungsministeriums skeptisch. Sie stört sich nicht daran, Schüler zu filmen. Wohl aber daran, den Wahlslogan zu verwenden. Das erinnere doch sehr an einen "sternförmiges Blumenbeet im Alvorado Garten 2004", schreibt "Schule ohne Politik". Damals hatte Präsident Luíz Inácio Lula da Silva im Präsidentenpalast, dem Palacio Alvorado, ein sternförmiges Blumenbeet anlegen lassen. Der Stern ist das Symbol der linken Arbeiterpartei PT.

Juristisch fragwürdig

Unabhängig von Parteipräferenzen war der Vorstoß von Ricardo Vélez Rodríguez auch in mehrfacher Hinsicht rechtlich fragwürdig. Nicht, was die Hymne betriff. Ein Gesetz aus dem Jahr 1971 (lei 5700, Art. 39) schrieb lange vor, dass das Singen der Nationalhymne täglich vorgeschrieben sei. Das Gesetz aus Zeiten der Militärdiktatur hatte bis 2009 Bestand. Von da an war das Singen nur noch wöchentlich theoretisch Pflicht. Praktiziert wurde das aber kaum.

Schwierig würde es mit dem Recht am eigenen Bild, gegen das das Filmen und Verschicken des Videos sicher verstoßen würde. Wenn überhaupt wäre dies nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Eltern erlaubt. In der Verwendung des Wahlslogans könnte ein Verstoß gegen die Verfassung gesehen werden. Der Artikel 37 regelt die grundlegenden Eigenschaften des Staats und seiner Institutionen. Diese seien unter anderem zu "Rechtmäßigkeit, Unpersönlichkeit, Moral und Effizienz" verpflichtet, heißt es da. Der Professor für Verfassungsrecht an der staatlichen Universität von Rio (UERJ), Daniel Sarmento, sieht gegenüber der Zeitung "Globo" das Prinzip der Unpersönlichkeit verletzt. "Die Logik der Trennung vom Staat ist, dass sie nicht mit einzelnen Parteien verwechselt werden kann."

Kaum 24 Stunden nach seinem Brief, ruderte Ricardo Vélez Rodríguez dann auch prompt wieder zurück. Er verschickte eine modifizierte Fassung seines Briefes. "Das Aufsagen des Slogans war ein Fehler", räumte er unumwunden ein. Und auch für das Filmen wies er nun auf die erforderliche Einwilligung der Eltern hin. Das Schreiben des Ministers wurde von einigen Nutzer im Internet aber auch mit Humor aufgefasst. Sie forderten in Posts dazu auf, an die Emailadresse des Ministeriums keine Videos singender Schüler zu schicken, sondern Listen oder Videos von Missständen und Problemen an öffentlichen Schulen. (APA, 1.3.2019)