"Jetzt ist er also fertig, der Bernhard": der neue spektakuläre Schlussstein der Kremser Kunstmeile.

Foto: Foto: AR Marte / Marte / Pinjo

Die Egon Schieles, Oskar Kokoschkas und die zeitgenössischen niederösterreichischen Malerinnen müssen sich bis Ende Mai gedulden. Bis dahin nämlich ist die Zeit der Bernhards. So heißen die 30 mal 30 mal 30 Zentimeter großen Kartonmodelle, 2000 Stück an der Zahl, die in Kooperation mit Kindern, Jugendlichen und der lokalen Bevölkerung in den letzten Monaten im Rahmen von #MyMuseum gebaut wurden und die nun in der neuen Landesgalerie sowie diversen Kremser Ämtern, Schulen und Museen zu sehen sind.

"Die Bernhards, die wir nach dem Architekten dieses Hauses benannt haben und die die unterschiedlichen Interpretationen und persönlichen Wünsche an dieses Museum darstellen, sind ein ganz wichtiger Bestandteil dieses Projekts", sagt Christian Bauer, künstlerischer Direktor der Landesgalerie Niederösterreich, die an diesem Wochenende nach zweieinhalbjähriger Bauzeit ihr langersehntes und medial trommelbewirbeltes Pre-Opening über sich ergehen lässt.

"Denn die Funktion einer Landesgalerie ist zwar ohne jeden Zweifel eine überregionale und internationale, aber ohne die intensive Einbindung der lokalen Bevölkerung wird so eine Galerie niemals erfolgreich sein. Wir legen viel Wert darauf, dass dieses Haus die Herzen der Menschen erreicht." Und der Direktor meint es ernst mit dem, was er sagt: Rund 300 öffentliche und partizipative Veranstaltungen aller Art, die in Zusammenhang mit dem Neubau stehen, gingen in den vergangenen Jahren über die Bühne.

Tänzerin im Paillettenkleid

Jetzt ist er also fertig, der Bernhard. Oder der gedrehte Zinkwürfel. Oder die Tänzerin im Paillettenkleid. Namen für dieses Gebäude gibt es schon viele. "Während der Bauzeit", erinnert sich Bauer, "war der massiv wirkende Rohbau sehr vordergründig, und viele Kremser haben sich damals gefragt, wie dieser Betonbunker, wie sie meinten, denn eines Tages aussehen würde. Doch dieses Bild ist gewichen, und zwar zugunsten einer Skulptur, eines leichtfüßigen Objekts, das die Kremser Kunstmeile mit einem dynamischen Schlussstein markiert."

Genau dieser Clou war ausschlaggebend dafür, dass sich das Vorarlberger Architekturbüro Marte.Marte unter der Führung der Brüder Stefan und Bernhard Marte 2015 gegen 78 Kandidaten im EU-weiten, zweistufigen Wettbewerb (Juryvorsitz Elke Delugan-Meissl) einstimmig durchsetzen konnte. Von Anfang an habe die Drehung des 22 Meter hohen Würfels, der sich nach oben hin dreht und verjüngt und sich auch sehnsuchtsvoll nach dem Donauwasser reckt, die Jury überzeugt.

"Es war eine ganz bewusste Entscheidung, das Gebäude so auszurichten, dass es sich stark zur Donau orientiert und die dort ankommenden Besucher mit einer großzügigen Geste empfängt", sagt Bernhard Marte. "Es ist fantastisch zu sehen, wie die Drehung des Baukörpers die malerischen Altstädte von Krems und Stein mit der umliegenden Naturlandschaft verbindet." Als Vorbild für diese waghalsige Drehung, die das Haus an der Südseite meterweit ins Nichts hinaustanzen lässt, diente die "Figura serpentinata" von Giambologna, jenes manieristische Gestaltungsmotiv also, das ein Objekt von jedem Standpunkt aus unterschiedlich erscheinen lässt.

Wie eine Tangotänzerin

Von manchen Perspektiven wirkt der Marte-Würfel bedächtig ruhig und schwer, aus anderen erscheint das Ding wie eine sich um ihre eigene Achse drehende Tangotänzerin, eingehüllt in ein Kleid aus 7200 Pailletten in Form von diagonal verlegten Titanzinkschindeln, die kurz davor ist, jede Schwerkraft zu überwinden. Dazu passt auch die eingeschnittene Aussichtsterrasse im dritten Obergeschoß, von der aus man eine perfekte Sicht auf das Stift Göttweig jenseits des Flusses hat.

"Der Rohbau war in konstruktiver Hinsicht eine Herausforderung, denn aufgrund der sphärischen Krümmung und der sich weit hinauslehnenden Außenmauern musste die Schalung sonderangefertigt werden", erklärt Alexandra Grups, Projektleiterin bei Marte.Marte. "Hier ist jeder Quadratzentimeter anders." Sogar die 91 Glasscheiben innerhalb der großen, erdgeschoßigen Bogenfenster folgen der komplexen, verdrehten Geometrie des Gebäudes: Jede Einzelne ist ein 3D-berechnetes Einzelstück, durch das so manches Mal die beinharte Realität Kremser Reihenhäuslichkeit ins Innere des Museums dringt. Eine radikale, wiewohl reizvolle Geste.

Tageslicht und Dunkelheit

Während das Erdgeschoß und das dritte Obergeschoß mit Tageslicht durchflutet sind, bleiben das erste und zweite Obergeschoß sowie das 850 Quadratmeter große Untergeschoß in der Dunkelheit musealer Triple-A-Anforderungen. Damit, meint Chefkurator Günther Oberhollenzer, sei man in der Lage, heikle, lichtempfindliche Kunstwerke und auch wertvolle Leihgaben aus großen internationalen Häusern auszustellen.

"Die Architektur dieses Gebäudes ist eine Freude – und Herausforderung", so Oberhollenzer, der damit nicht nur auf die schiefen, geneigten Wände, sondern auch auf die räumliche Anordnung der Ausstellungssäle anspielt. "Durch die vier unterschiedlichen Erschließungspunkte aus zwei Liften und zwei Stiegenhäusern sind wir nicht in der Lage, einen klassischen, chronologischen Weg durch die Ausstellung zu planen. Aus Kuratorensicht müssen wir in diesem Haus komplett umdenken. Ich bin neugierig, wie gut uns das gelingen wird."

Der 35 Millionen Euro teure Bau, dessen Bildhaftigkeit und zugleich bildhafte Sprache unweigerlich an Dave Brubecks Unsquare Dance denken lässt, fasst nun erstmals die niederösterreichische Kunstsammlung an einem Ort zusammen und entlastet damit auch Hans Holleins Mehrspartenmuseum im Regierungsbezirk St. Pölten. Das erste Exponat, die Landesgalerie als kunstfertige Hülle ihrer selbst, zeigt sich ab diesem Wochenende erstmals der Öffentlichkeit. Die Tanzkür ist schön anzusehen. Über die Pflicht der vielgelobten Tänzerin wird man sich ein Urteil bilden können, wenn das Museum Ende Mai offiziell eröffnet wird. (Wojciech Czaja, 2.3.2019)