Vor dem Weltfrauentag am 8. März präsentieren STANDARD-Redakteurinnen und -Redakteure acht Frauen, die das Land prägen. STANDARD-Fotografin Regine Hendrich hat sie porträtiert.

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Esra Özmen: Rap gegen Rassismus

Esra Özmen, Musikerin.

Esra Özmen sieht aus, als wäre sie allzeit kampfbereit. Schwarze Lederjacke, provokante Körperhaltung, kokett zwiderer Blick. In Videos von Auftritten springt die Rapperin gerne mit einem Satz in Richtung Kamera, ihre Stimme klingt kräftig, klar, sie ist laut. Özmen wirkt ziemlich aggro – bis man ihr zuhört.

Gemeinsam mit ihrem kleinen Bruder Enes bildet sie das Duo Esrap. Er singt (meist türkisch), sie rappt (meist deutsch). In den Liedern reflektieren die beiden Wiener ihr Leben als Migrantenkinder in Österreich. Es geht um Integration, Toleranz und Antirassismus. Özmens Großeltern waren türkische Gastarbeiter. Ausländer mit Vergnügen und Der Tschusch ist da heißen zwei ihrer Songs.

Özmen ist aber nicht bloß Musikerin, sie hält regelmäßig Workshops in Schulen. Da erzählt die 28-Jährige dann, dass in ihrer Hauptschulklasse alle Migrationshintergrund hatten, sie im Gymnasium aber plötzlich die Einzige war. Aufgrund ihrer Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache begann sie mit 17 Jahren Texte zu schreiben – nicht absichtlich für Rap, "die wollten einfach schreien", sagt sie.

2016 hat sie ihren Master in konzeptueller Kunst an der Akademie der bildenden Künste abgeschlossen. Der Name ihrer Abschlussarbeit: Rap als Widerstand. Aktuell macht sie einen Doktor in Philosophie. Sebastian Kurz wollte sie einst als Staatssekretär zur Integrationsbotschafterin machen. Özmen lehnte ab. Katharina Mittelstaedt

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Evi Romen: Alles, nur nicht eitel

Drehbuchautorin Evi Romen.
Foto: Regine Hendrich

Beim Fotoshooting für den STANDARD wartet Evi Romen mit einer überraschenden Botschaft auf: "Das Einzige, das Frauen noch lernen müssen, ist, nicht mehr eitel zu sein." Wie bitte? Sagt eine aus einer Branche, der die größten Eitelkeiten nachgesagt werden?

Romen darf das. Als Cutterin und Drehbuchautorin meidet sie das Rampenlicht. Ist nicht so ihres, sagt sie. Nur leider spielt es das immer weniger, denn was die Südtirolerin abliefert, hat Gewicht. Romen kam von Bozen nach Wien, studierte Film, blieb beim Schnitt ("Der schönste Beruf beim Film") und gehört heute mit 51 zu den wichtigsten Filmeditorinnen. Über ihren Schneidetisch wanderten etwa Brüder, Silentium, Aufschneider und Braunschlag. Zu Abgetaucht und Hochwald schrieb sie die Bücher. Das letzte starke Stück Uneitelkeit, das Evi Romen sich erlaubte, war das Buch zu M – für den ORF und mit ihrem Ehemann David Schalko, der auch Regie führte. Obwohl das Publikum geteilter Meinung ist und die TV-Quote anfangs mehr erwarten ließ, ist Romen zufrieden: "Es polarisiert, das war Sinn und Zweck des Ganzen."

Diesem Rezept bleibt sie treu, demnächst als Regisseurin im Film über zwei Männer, die ein Attentat überleben. Was bedeutet Gleichberechtigung für sie? "Ich bin dazu erzogen worden, es als selbstverständlich zu betrachten, dass Frauen und Männer mit gleichen Rechten ausgestattet sind und diese auch jederzeit nützen dürfen." Doris Priesching

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Schifteh Hashemi: Das gute Leben für alle

Schifteh Hashemi, Aktivistin.
Foto: Regine Hendrich

Ihre Waffen im Kampf für mehr Gerechtigkeit sind Zahlen, Fakten und Beharrlichkeit. Frauen erledigen zwei Drittel der unbezahlten Arbeit, nur zwei Prozent schaffen 45 Pensionsbeitragsjahre. Ergo: Frauenarmut ist ein großes Problem. "Das ist in Wahrheit ein Skandal", sagt die 1986 im Iran geborene Schifteh Hashemi, die in Wien aufgewachsen ist und derzeit als Netzwerkkoordinatorin bei Arbeit plus werkt.

Geht es um Argumente, warum sie das Frauenvolksbegehren mitinitiiert hat und als dessen Sprecherin beharrlich auch umstrittene Forderungen vertreten hat, packt die studierte Sozioökonomin Statistiken aus. Und pocht auf Präzision. Frauenquoten? Keineswegs. Geschlechterquoten brauche es und faire Umverteilung von Arbeit, neue Bewertung der Sorge- und Pflegearbeit, die meist Frauen machen – für Gottes Lohn.

"Es geht um die Gleichwertigkeit von Frau und Mann, damit alle ein gutes Leben haben können", sagt Hashemi. Auf Johanna Dohnal, die ähnlich argumentierte, beruft sich die 32-Jährige, deren Familie wenige Monate nach ihrer Geburt nach Österreich geflohen ist, gern. Wenig erfreulich sei, dass sich an der grundsätzlichen Forderung von vor 100 Jahren – gleiche Rechte, gleiche Teilhabe – wenig geändert habe. Politisch müsse man sich Gehör verschaffen – und Widersprüche aushalten. Eine Erkenntnis, die sie auch Studierenden an der FH St. Pölten vermittelt. Dort beackert sie das Thema soziale Innovation. Regina Bruckner

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Elisabeth Bergen: Professionell und emotional

Elisabeth Bergen, Onkologin.
Foto: Regine Hendrich

Für die Patienten ist es oft eine Umstellung. "Was will denn diese Junge mit mir?", fragen sie und verlangen "den alten Professor mit Bart", sagt Elisabeth Bergen, 30-jährige Onkologin am AKH. Doch meist dauert es nicht lange, bis doch ein Vertrauensverhältnis entsteht. "Zwischen den Patienten und uns jungen Ärzten ist es oft sogar enger", weil bei den Patienten die Ehrfurcht fehlt, so Bergen. Ihre Stimme ist sanft, sie erzählt in aller Ruhe. Dass sie die nötige Besonnenheit hat, die es für den Umgang mit Krebspatienten braucht, merkt man sofort. Der Kontakt mit Menschen ist es auch, der sie einst zum Medizinstudium bewegt hat. "Patienten haben Fragen, die sehr intim und persönlich sind, diese Emotionalität muss man wollen." Gleichzeitig sei die größte Herausforderung, die nötige Distanz zu den Schicksalen zu halten. Deshalb ist ihr Freizeit wichtig:"Ich bin eine, die sich die fünf Wochen Urlaub auch nimmt." Sie mag Yoga, Kultur und liebt Wien.

Das Medizinstudium hatte Bergen mit 25 beendet, heute ist sie neben der Patientenversorgung auch in Lehre und Forschung tätig. Über ihre Karriere sagt sie bescheiden: "Ich bin zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen." Anfangs gehe es vor allem darum, ernst genommen zu werden, "das erfordert Mut, Kraft und Unterstützer, die einen fördern und fordern". Und ihre Ziele? "Wer flexibel bleibt, wird nicht enttäuscht. Zuallererst will ich eine gute Onkologin sein." Bernadette Redl

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Johanna Pirker: Virtuelle Weltreisende

Johanna Pirker, Informatikerin.
Foto: Regine Hendirch

Digital Natives haben mitunter ein Konzentrationsproblem. Die Ablenkungen online sind zu zahlreich, um sich länger nur mit einer Sache zu beschäftigen. Hilft also nur digitaler Detox, um die Aufmerksamkeit zu bündeln? Nein, sagt Johanna Pirker. Sie erforscht und entwickelt genau das Gegenteil: eine virtuelle Lernumgebung.

Bereits in ihrer Masterarbeit an der Technischen Universität Graz, wo die 30-Jährige nun als Forscherin tätig ist, hat sie sich mit einem virtuellen Physiklabor beschäftigt. Mittels Virtual-Reality-Headset und Controllern navigieren die User in einer virtuellen Lernwelt und können dort physikalische Experimente durchführen.

Das soll Lernenden helfen, "für gewisse Zeit komplett auszusteigen und hochkonzentriert zu arbeiten", sagt Pirker. Die Gesetze der Natur werden dabei quasi wie in einem Computerspiel vermittelt. Virtual-Reality-Brillen erlauben, Dinge zu sehen, die in der realen Welt nicht sichtbar sind, etwa Magnetfeldlinien. "Das System eignet sich für alle Experimente, die sonst zu teuer, zu gefährlich oder zu komplex wären", sagt Pirker.

Im vergangenen Jahr wurde die Informatikerin für die Entwicklung dieser virtuellen Lernumgebung in die Forbes-Liste "30 unter 30" in der Kategorie Science and Healthcare aufgenommen. Seit Anfang dieses Jahres läuft eine Testphase in mehreren Schulen, bei der das virtuelle Physiklabor im Unterricht eingesetzt wird. Tanja Traxler

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Elisabeth Daurer: Mama auf Zeit

Elisabeth Daurer, Krisenpflegemutter.
Foto: Regine Hendrich

Der Anruf kann jederzeit kommen: "Wir haben ein Baby, ein Mädchen. Die drogenabhängigen Eltern können sie nicht versorgen. Dürfen wir sie in einer Stunde bringen?"

Es ist der Moment, in dem für Krisenpflegeeltern wie Elisabeth Daurer der Einsatz beginnt. Sind genug Windeln da, Babynahrung? Reicht die Kleidung in der Größe? In den vergangenen drei Jahren hat die 51-jährige gelernte Altenpflegerin 15 Kinder bei sich aufgenommen. "Ich wollte diesen Beruf immer machen, ich liebe Kinder. Ich lerne so viel von ihnen", sagt Daurer, selbst Mutter von vier Kindern. Nach ihrer Scheidung ("Mein Exmann hätte das nicht mitgemacht!") bewarb sie sich als Krisenpflegemutter, durchlief die halbjährige Schulung, um auf die Pflege der wenige Wochen bis maximal drei Jahre alten Kinder vorbereitet zu sein. Im Schnitt bleiben die Kleinen neun Wochen bei ihr. Während dieser Zeit entscheidet das zuständige Jugendamt, ob die Kinder zurück zu den Eltern oder zu Langzeitpflegeeltern kommen. Daurer ist hauptberuflich Krisenpflegemutter. Pensionsanspruch gibt es dafür keinen, das Gehalt ist winzig. Sie sieht das entspannt: "Es wäre der falsche Zugang, wenn man diesen Beruf des Geldes wegen macht." Sie profitiere auf andere Weise. "Meine eigenen tollen Kinder, aber auch meine Freunde: Alle helfen mit, wenn wieder Pflegekinder bei mir sind. Es ist, als würden diese Kinder nur das Beste in uns allen zutage fördern." Nana Siebert

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Brigitte Annerl: Angstfrei am Ball

Brigitte Annerl, Unternehmerin.
Foto: Regine Hendrich

Brigitte Annerl hatte nie das Gefühl, "mich emanzipieren zu müssen". Die 49-jährige Wienerin sagt, sie kenne keine Blockaden. Weshalb sie "absolut angstfrei" ist, weiß sie nicht, es ist ihr auch ziemlich wurscht. "Ich bin eben nicht negativ geprägt." Ihre Karriere beginnt mit der reibungslosen Geburt im Wilhelminenspital, sie wächst in der Rennbahnwegsiedlung auf, das ist kein Sehnsuchtsort. Übersiedlung nach Ottakring, Matura, Schwanger- und Mutterschaft beenden das Medizinstudium abrupt.

Annerl arbeitet als Referentin eines Pharmaunternehmens, absolviert einen Marketinglehrgang an der Wirtschaftsuni. 2006 gründet sie in Ottakring die Firma Lenus Pharma. Mit dem Fruchtbarkeitsmittel Profertil gelingt der Durchbruch, sie ist Weltmarktführerin, sogar in China werden Spermien beschleunigt. Das Unternehmen zählt fünfzig Mitarbeiter. "Ich habe gelernt, mich durchzubeißen. Ich habe mich nie an Männern gemessen. Leidenschaft, Engagement, Solidarität, Respekt sind geschlechtsneutrale Eigenschaften. Mein Motor ist mein Team."

Vor sechs Jahren werden in der Zentrale Umbauarbeiten durchgeführt, der Baumeister ist ein Hartberger, er spricht nahezu ausschließlich über den Fußballklub TSV. Annerl ist begeistert, wird Sponsor und 2017 Präsidentin. Der oststeirische Verein bekommt einen Lauf, die Bundesliga verweigert aber die Lizenz fürs Oberhaus. Annerl erstreitet sie vor Gericht. "Fußball ist Emotion pur." Christian Hackl

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Irene Zavarsky: Frau Doktor trägt Schwarz

Irene Zavarsky, Trainerin.
Foto: Regine Hendrich

Man kann Irene Zavarsky getrost eine Tausendsassarin nennen – so umtriebig und beherzt, wie die 40-Jährige Dinge anpackt und auf den Boden bringt. Parallel zum Doktoratsstudium der Politikwissenschaft ließ sie sich zur Erwachsenentrainerin ausbilden und baute eine Beratungsfirma mit auf. Anderen zu helfen, eigene Stärken zu erkennen und auszuspielen – das zieht sich als Leitmotiv durch ihre Arbeit.

Vor wenigen Jahren dann wurde die Sache mit der Stärke sehr konkret: Zavarsky zog aus dem Stand ein Studio für Kampfsport und Kampfkunst am Wiener Handelskai auf – heute ist Kai Gym (kaigym.at) eine fixe Größe in der Stadt, Zavarsky Geschäftsführerin und eine der wenigen Frauen in der Szene. Sie unterrichtet und kämpft bei Wettbewerben, hat einen schwarzen Gürtel und jüngst eine Goldene in Mixed Martial Arts gewonnen. Sie mochte es immer schon, in Felder zu gehen, "die keine klassischen Frauenfelder" sind.

"Die Atmosphäre beim Training hat viel mit den agierenden Leuten zu tun" , sagt sie. Sie hat es geschafft, im Studio einen respektvollen Umgang auf Augenhöhe zu etablieren – auch zwischen Männern und Frauen. Nicht nur bei Selbstverteidigung zähle der ganzheitliche Blick auf das Thema Gewalt. Zavarsky reflektiert strukturelle Ursachen und lehrt ihre Schützlinge die Handgriffe der Selbstbehauptung. "Selbstbestimmung und Selbstbehauptung – das hängt ja zusammen." (Lisa Mayr, 5.3.2019)