"Für uns sind alle Welterbestätten gleich und werden auch entsprechend gleich behandelt", sagt Mechtild Rössler. Die deutsche Geografin ist Direktorin des Welterbezentrums der Unesco in Paris.

Foto: PID/Kromus

STANDARD: Sie waren kürzlich zu Besuch in Wien. Wird das Ihr letzter Besuch in dieser Stadt als Weltkulturerbe gewesen sein?

Rössler: Bestimmt nicht! Ich denke, dass Wien mit der jetzigen Situation gut und intelligent umgehen wird können.

STANDARD: Seit Juli 2017 steht die Wiener Innenstadt auf der Roten Liste. Ist das eine Kritik am System oder eine Kritik am geplanten Heumarkt-Projekt?

Rössler: Sowohl als auch. Ich würde sagen: Am Heumarkt-Projekt kristallisieren sich die wunden Punkte des Wiener Systems heraus.

STANDARD: Was sind die größten Kritikpunkte am System?

Rössler: Sämtliche Unesco-Städte müssen einen Managementplan vorlegen, der analysiert, welche Auswirkungen die Stadtentwicklung auf das Welterbe hat, und der ganz genau festschreibt, wie damit umzugehen ist. Dieser Managementplan dient als Orientierung für alle Stakeholder – für die Planungsbehörden, für die Bevölkerung sowie für die Developer, die oft denken, sie können in einer historisch gewachsenen Stadt alles machen. Das können sie nicht. Im Falle von Wien liegt der neue Managementplan bislang nicht vor.

STANDARD: Das Paper befindet sich gerade in Entwicklung. Bis Mitte April wird die Republik der Unesco einen konkreten Plan vorlegen. Was fordern Sie konkret?

Rössler: Das, was wir von allen Städten fordern! Eine fundierte Auseinandersetzung mit den institutionellen Strukturen und Prozessen. Die genauen Punkte sind in unserem Ressource-Manual unter dem Titel "Managing Cultural World Heritage" ganz genau nachzulesen.

STANDARD: Das klingt jetzt kryptisch. Können Sie ein Beispiel nennen?

Rössler: Das Wichtigste ist, dass die Behörden und Entscheider die Unesco regelmäßig über neuralgische Projekte und nachhaltige urbane Entwicklungsschritte informieren. Das Projekt Wien-Mitte im Jahr 2001 war ein Wake-up-Call! Ich hätte mir erwartet, dass Wien ein unabhängiges Expertengremium einschaltet, um auf genau solche Projekte und Gefahrenpunkte ein Auge zu werfen. Dieser Wake-up-Call wurde in Wien leider überhört. Ein weiteres, spezifisches Beispiel ist der Umgang mit Aufstockungen und vor allem mit Hochhäusern.

STANDARD: Wie hat dieser generelle Umgang mit Hochhäusern auszusehen?

Rössler: Bei der letzten Sitzung in Bahrain hat das Welterbekomitee ganz klar gesagt: Mit Hochhäusern haben wir ein Problem. Sämtliche Bewilligungsprozesse für Highrise-Projekte sollten gestoppt werden.

STANDARD: Ist Qualität eine Meterware?

Rössler: Nein. Aber auch eine Frage des Designs und Volumens. Wir haben uns mit vielen Architekten und Stadtplanern unterhalten und im Wiener Memorandum festgehalten, dass wir uns auch im Weltkulturerbe dezidiert moderne, zeitgenössische Architektur wünschen. Wir wollen ja keine Museen, sondern lebendige Innenstädte! Auf jeden Fall aber ist die Auswirkung eines solchen Projekts auf die Umgebung zu untersuchen. Es braucht eine gewisse Kohärenz. Und die Auswirkung des Heumarkt-Bauvorhabens auf die historisch gewachsene Stadtlandschaft wurde als beträchtlich erachtet. Die Kohärenz ist hier nicht gegeben.

An der Höhe des geplanten Wohnturms scheiden sich die Geister.
Rendering: Isay Weinfeld&Sebastian Murr

STANDARD: Der geplante Heumarkt-Turm hatte zu Beginn 73, später dann 66 Meter Höhe. Sie fordern eine maximale Bauhöhe von 43 Metern.

Rössler: Ich fordere gar nichts. Es ist nicht die Frau Rössler, die das bestimmt. Die Forderungen formuliert das unabhängige Welterbekomitee, das aus 21 Staaten aus aller Welt besteht.

STANDARD: Dann anders gefragt: Wird es ein Ende des Heumarkt-Turms in seiner heutigen Form geben? Oder sind Sie gesprächsbereit?

Rössler: Das hängt davon ab, was die kürzlich vorgelegte Heritage-Impact-Study ergibt. Wir sind immer gesprächsbereit. Meine Türen stehen offen.

STANDARD: Derzeit befindet sich das Projekt im Bewilligungsprozess. Die Wertinvest hat angekündigt, die Pläne so zu belassen, wie sie sind. In den kommenden Monaten wird sich am Projekt also nicht viel ändern. Ende Juni und Anfang Juli jedoch wird bereits das Welterbekomitee in Baku tagen. Soll der Rote-Liste-Status Wiens auf dieser Konferenz bestätigt werden?

Rössler: Das Komitee ist frei in seinen Entscheidungen.

STANDARD: Sie machen es mir nicht leicht.

Rössler: Es gibt derzeit weltweit 54 bedrohte Unesco-Stätten. Die Sachverhalte sind sehr komplex. Daher wird das Komitee dieses Thema besprechen. Nach der Konferenz wird ein entsprechender Bericht dazu mit Entscheidungen vorliegen.

STANDARD: Was muss Wien konkret tun, um wieder von der Roten Liste genommen zu werden?

Rössler: Als Allererstes und Allerdringlichstes brauchen wir den Managementplan, der seit 2001 ausständig ist. Wir möchten von Wien wissen, welche konkreten Maßnahmen die Stadt ihrerseits setzen wird, um wieder von der Roten Liste zu kommen.

STANDARD: Seit letztem Jahr nimmt sich nun auch die türkis-blaue Bundesregierung recht intensiv der Sache an. Mit wem steht die Unesco heute mehr in Kontakt – mit der Stadt Wien oder mit dem Bund?

Rössler: Wir stehen mit allen Welterbestätten auf ähnliche Weise im Kontakt. Und zwar sowohl mit der Stadt, die Welterbe ist, als auch mit dem Staat, der die Konvention unterzeichnet und das Welterbe beantragt hat.

STANDARD: Braucht Wien überhaupt ein Weltkulturerbe?

Rössler: Es liegt nicht an mir, das zu entscheiden. Wenn Wien nicht auf die Liste gewollt hätte, dann hätte es 2001 auch kein Dossier einreichen müssen.

STANDARD: Erst kürzlich fand in Wien eine von der Stadt Wien und der Organisation of World Heritage Cities (OWHC) veranstaltete Konferenz statt. Das Resultat ist die sogenannte Vienna Declaration. Darin fordern die OWHC und die rund 25 daran beteiligten Städte, die Richtlinien stärker zu differenzieren und dynamische, sich verändernde Städte anders zu behandeln als kleine, punktuelle Welterbestätten. Wie stehen Sie dazu?

Rössler: Fakt ist: Die Konvention von 1972 ist ein internationales Rechtsinstrument. Wir können sie nicht aufweichen und zwischen Städten und Nichtstädten ein Zweiklassensystem einführen. Für uns sind alle Welterbestätten gleich und werden auch entsprechend gleich behandelt.

STANDARD: Im März will die OWHC das Paper in Québec präsentieren und zu einer offiziellen OWHC Declaration ausbauen. Was wird danach anders sein als davor?

Rössler: Die OWHC ist eine NGO. Daher wird es keine juristischen Konsequenzen geben. Wie gesagt: An der Konvention können wir nichts ändern.

STANDARD: Nicht einmal ein Millimeter Handlungsspielraum?

Rössler: Einen großen Handlungsspielraum sehe ich sehr wohl: Die Unesco und die OWHC müssen den Städten in Zukunft besser unter die Arme greifen, damit sie überhaupt erst gar nicht in so schwierige Situationen und Dilemmata zwischen Welterbe und Stadtentwicklung kommen, in denen sie sich heute mancherorts wiederfinden. (Wojciech Czaja, 4.3.2019)