Der junge Mann aus Österreich mit kurdisch-alevitischen Wurzeln wird derzeit in Syrien festgehalten. Im Netz kursiert ein Video, in dem er auch zu seiner Herkunft befragt wird.

Wien – Es tue ihm leid, er habe einen Fehler gemacht, sagt der junge Mann. Derzeit ist er Gefangener der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG in Syrien. Er wolle zurück nach Österreich, sagt er.

Der Mann ist österreichischer Staatsbürger, er ist in Wien geboren, in der Brigittenau aufgewachsen. Als Sohn von kurdischen Aleviten aus der Türkei wandte er sich in Wien gegen seine Eltern, sowohl politisch wie auch religiös: Er wurde von Salafisten angesprochen, in einer Mosche in der Leopoldstadt radikalisiert. Er brach mit seinem bisherigen Umfeld und wandelte sich zu einem ebenso glühenden wie radikalen Islamisten.

Koranschule in Ägypten

Seine neuen Brüder schickten ihn nach Ägypten, wo er eine Koranschule besuchte und Arabisch lernte. Nach seiner Rückkehr nach Wien wurde er erstmals von Beamten des Verfassungsschutzes einvernommen. Kurz darauf reiste er über die Türkei nach Syrien, um sich dort der al-Nusra-Front anzuschließen und für einen islamischen Gottesstaat zu kämpfen.

Sein Name ist der Redaktion bekannt. Da Morddrohungen geäußert wurden, verzichten wir darauf, den Namen zu nennen. Seit dem Wochenende kursiert ein Video im Netz, in dem der ehemalige IS-Kämpfer auf Türkisch Fragen beantwortet und über seine österreichische Herkunft spricht.

Er ist einer von etwa 1.000 IS-Kämpfern und ihren Frauen und Kindern, die von der Kurdenmiliz gefangen genommen wurden. Darunter sind Franzosen, Engländer, Deutsche, Saudis, Bosnier und viele Tschetschenen mit russischer Staatsbürgerschaft. Nach Informationen des STANDARD werden von den Kurden etwa 50 IS-Kämpfer, die aus Österreich stammen, festgehalten, dazu noch Frauen und Kinder. Sie haben türkische, bosnische oder tschetschenische Wurzeln, sind aber in Österreich aufgewachsen.

Drohung mit Freilassung

Noch ist unklar, was mit ihnen passieren soll. Die Kurden wollen sie rasch loswerden. Manche Staaten nehmen sie zurück, andere nicht. Aus Österreich gibt es unterschiedliche Signale, aber noch keine offiziell erfolgte Rückführung. Die kurdischen Milizen drohen für den Fall eines türkischen Angriffs auf ihr Territorium, alle Gefangenen freizulassen – egal was mit ihnen passiert.

Den jungen Mann aus der Brigittenau würde in Österreich ein Gerichtsverfahren nach Paragraf 278b StGB erwarten, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Hilfe hat er in der Heimat nicht zu erwarten, seine Familie hat sich von ihm abgewandt.

Den Behörden ist er bekannt. Die erste Einreise nach Syrien endete in einem Feuergefecht, der junge Mann aus Wien erlitt eine Schussverletzung am Bein, einige seiner Kameraden, die ebenfalls in den Heiligen Krieg ziehen wollten, wurden noch unweit der Grenze von kurdischen Milizen erschossen. In der Türkei wurde er schließlich verarztet, zurück in Wien erneut von den Behörden für mehrere Stunden einvernommen.

Erneute Syrien-Reise

Seine Eltern hatten sich an die Polizei gewandt und darauf gedrängt, wenigstens ein Ausreiseverbot zu verhängen. Konsequenzen gab es daraus nicht. 2015 reiste er erneut nach Syrien, schloss sich diesmal tatsächlich der Al-Nusra-Front an und landete schließlich beim "Islamischen Staat" (IS).

Vor etwa einem Jahr meldete er sich telefonisch bei seiner Schwester in Wien. Er wollte weg aus Syrien, wieder heim. Er sei kein Kämpfer des IS mehr, eher dessen Gefangener. Als kurdischer Alevit galt er als nicht vollwertig, er sei wie viele andere auch als Schutzschild des IS gegen die kurdischen Milizen der YPG benutzt worden. Ein Versuch, von dort zu fliehen, war offenbar gescheitert.

Kein Einzelfall

Die kurdische Gemeinschaft, aus der er in Wien stammt, hat seine Radikalisierung frühzeitig mitbekommen. Er war kein Einzelfall. Etliche junge Männer, die in einem liberalen, linken, der Türkei sehr kritisch gegenüberstehenden Umfeld aufgewachsen sind, wandten sich von ihren Familien und bisherigen Freunden ab und waren für den politischen Salafismus und den Jihad ansprechbar. Der Politologe Thomas Schmidinger hat zu diesem Phänomen eine Studie verfasst und Betroffene im Gefängnis interviewt.

Für den Verband der kurdischen Vereine in Österreich, Feykom, war das eine unangenehme Situation. Die Kurden erkannten, dass sie hier ein Problem hatten, und suchten die Zusammenarbeit mit den Behörden. Dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung wurden Informationen über zwölf Moscheen in Wien, in denen salafistische Prediger tätig waren, übergeben, sowie eine Liste mit Personen, die nach Syrien aufgebrochen waren, um für den IS zu kämpfen. Es gab mehrere Treffen mit Behördenvertretern, letztlich aber keine Nachfragen oder weiteren Kontakte. Die Beamten, so der Eindruck von Feykom-Vertretern, seien an diesen Informationen einfach nicht interessiert gewesen. (Michael Völker, 4.3.2019)