IgA-Antikörper werden als einzige Antikörper auch in den Darm abgegeben. Sie können eine Art Schutzfilm bilden.

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Der Darm ist ständig Umwelteinflüssen ausgesetzt. Was und wie viel wir essen zählt ebenso dazu wie Bakterien oder Viren. Auch genetische Faktoren spielen eine Rolle. Tatsache ist auch: Immer mehr Menschen sind von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa betroffen.

Ein Teil innerhalb der Darmzellen, der besonders sensibel auf belastende Umwelteinflüsse reagiert, ist das sogenannte endoplasmatische Retikulum (ER). In diesem verzweigten Membrannetzwerk werden für die Zelle notwendige Proteine hergestellt. In früheren Studien konnte bereits gezeigt werden, dass eine Störung dieses Systems, der sogenannte ER-Stress, bei der Entstehung von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen eine wichtige Rolle spielt. In diesem Fall verursacht die Störung eine Bildung von entzündlichen Botenstoffen und den Zelltod, was letztlich zu einer gestörten Barrierefunktion im Darm führt.

Bislang unbekannt war allerdings, dass die gleichen Signale unter bestimmten Bedingungen auch eine Schutzfunktion im Darm ausüben können. Diesen Schluss legen zumindest die Studienergebnisse eines internationalen Forschungsteams unter der Leitung von Richard Blumberg vom Brigham and Women’s Hospital an der Harvard Medical School nahe. Die Wissenschafter konnten zum ersten Mal positive Effekte von ER-Stress bei Darmentzündungen nachweisen. Konkret gehen dadurch gezielt ganz bestimmte Abwehrzellen aus der Bauchhöhle in die Darmschleimhaut über. Diese Zellen können über die Produktion von Antikörpern vom Typ Immunoglobulin A (IgA) die Schutzbarriere der empfindlichen Darmschleimhaut verstärken und damit vor überschießenden Entzündungsreaktionen schützen.

Schutz ohne Bakterien

Die Forscher untersuchten mehrere Mausmodelle, bei denen sich durch genetische Veränderungen ER-Stress in den Zellen der Darmschleimhaut entwickelt, und fanden als gemeinsames Merkmal aller Modelle einen signifikanten Anstieg des Antikörperspiegels. Das Besondere an IgA-Antikörpern: Sie werden als einzige Antikörper auch in den Darm selber abgegeben und bilden eine Art Schutzfilm, der die Darmoberfläche von innen auskleidet. Wurde die Produktion oder der Transport von Antikörpern gestört, konnte dieser Schutzeffekt von IgA nicht gebildet werden – es kam vermehrt zu Darmentzündungen.

"Besonders wichtig für diese Studie waren Beobachtungen an keimfreien Mäusen", sagt Niklas Krupka von der Universität Bern, einer der Ko-Autoren der Studie. Da in keimfreien Mäusen der stimulierende Einfluss von Bakterien, Viren oder Pilzen auf das Immunsystem fehlt, stellen diese Tiere normalerweise nur wenig IgA her. "Allein durch das genetische Erzeugen von ER-Stress in den Darmzellen konnten wir in keimfreien Mäusen einen deutlichen Anstieg der IgA-Produktion auslösen. Dies zeigt, dass wir es mit einem fundamentalen Schutzmechanismus des Darmes zu tun haben, für den nicht einmal eine natürliche mikrobielle Besiedlung erforderlich ist", erklärt der Experte.

Die Forscher betonen, dass allerdings weiterführende Studien notwendig seien, um den identifizierten Mechanismus besser verstehen zu können. Zudem ist Maus nicht Mensch. "Die Arbeiten zeigen, dass zelluläre Stressreaktionen im Darm eben auch positive Wirkungen haben können. Eine entscheidende Frage wird sein, ob und wann beim Menschen die Balance von Schutzfunktion in Schaden umschlägt. Wenn wir diesen Punkt, der wahrscheinlich früh bei der Entstehung der Krankheit auftritt, besser verstehen, lassen sich hierdurch möglicherweise ganz neue Behandlungsmöglichkeiten ableiten", resümiert Philip Rosenstiel, einer der Mitautoren der Studie. (red, 5.3.2019)