Ferdinand Schmalz' "Der Tempelherr" in Berlin: "Entscheid dich für die Fertigteilversion von deinem Leben / Ist schnell gebaut – und keine bösen Überraschungen."

Foto: Imago / Martin Müller

Ist euch das nicht zu viel Klischee, der Mann am Grill?", fragt eine junge Frau im spektakulären Abendkleid irgendwann in die Picknickrunde hinein. Aber nein: Stereotype scheinen das Letzte zu sein, was diese kleine Gesellschaft stört, die sich hier auf der Kammerbühne des Deutschen Theaters Berlin zusammengefunden hat.

Der österreichische Dramatiker Ferdinand Schmalz lässt die versammelten Christinas, Markusse und Petras tatsächlich unverhohlen in den Träumen von der Stange schwelgen. Die Kleinfamilie, das Häuschen auf dem Land, das Kerzenlicht – das sind so die Zeitgeist-Reliquien, die hier im ureigenen Sound des Dramatikers zwischen Philosophie, Wortwitz und höherem Volksstück angepeilt werden.

Verschwunden im Bauland

Aber natürlich wäre Schmalz nicht Schmalz, wenn er nicht von Anfang an klarmachte, dass die Sache mit der (Eigenheim-)Utopie vor allem auch gern einmal schiefgeht. Die Runde steht in seinem neuen Stück Der Tempelherr vor einer Investitionsruine wie aus dem Bilderbuch. Der junge Uraufführungsregisseur Philipp Arnold und sein Bühnenbildner Viktor Reim lassen kraterförmige Betonreste in Richtung Schnürboden ragen. Das darunter begrabene Fleckchen Erde hatte einst ein gewisser Heinar für sich und seine Familie auserkoren: ein Lehrer "im Sabbatical", der inzwischen auf ungeklärte Weise in seinem geliebten Bauland verschwunden ist.

Klettern im Schutt

Nun klettern eben Heinars Frau Petra, ihr Vater Kurt und ein paar Freunde wacker im Bauschutt herum. Sie müssen aufpassen, dass sie sich nicht die glänzenden Edelanzüge und Reifröcke (Kostüme: Julia Dietrich) zerreißen, während sie den Fall zu rekonstruieren versuchen.

Im Grunde hätte Heinar ja nur auf seine Gattin hören müssen, der Natali Seelig einen wunderbar treffsicheren Landhauseifer verleiht. "Entscheid dich für die Fertigteilversion von deinem Leben / Ist schnell gebaut – und keine bösen Überraschungen", weiß sie.

Heinar wollte aber leider gleichermaßen hoch hinaus und tief hinein in die (Architektur-)Geschichte der Menschheit: Er musste mit dem Haus gleich noch sein komplettes Ich, das Leben als solches und die ganze "Gesellschaft neu denken".

Kein Wunder, dass der überforderte Pädagoge unter sträflicher Vernachlässigung von Frau und zwischenzeitlich geborenem Kind manisch an einem nie fertiggestellten antiken Tempel zu bauen begann und immer neue Säulengänge entwarf, bis er auf Nimmerwiedersehen in ihnen verschwand.

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Eigenheim auf dem Land

Kurzum: Ferdinand Schmalz erweist sich einmal mehr als Meister des großen Gesellschaftssymbols. Wie etwa in seinen Stücken Am Beispiel der Butter oder Der thermale Widerstand, die anhand einer Provinzmolkerei die komplette realkapitalistische Ökonomie beziehungsweise in einem Kurbad den omnipräsenten Selbstoptimierungsimperativ auffächerten, darf auch die Eigenheimmetapher breit ausgedeutet werden.

Schauspielerin Linn Reusse berichtet in einem großartigen Auftritt als zickig-konkurrierende Petra-Freundin Christina, wie sie an den DesignStandards fürs eigene Leben scheitert. Bernd Moss philosophiert als Hausfreund und Insektenfeind Markus über Kultur und Natur. Und dass sich zum tagesaktuellen Nachdenken über innen und außen, über "die autochthone Landbevölkerung" und die fremden "Städter", kaum etwas besser eignet als die Eigenheimmetapher, liegt sowieso auf der Hand.

Kongeniale Inszenierung

Philipp Arnold und seinem Team gelingt hier mit Der Tempelherr die kongeniale Ur-Inszenierung eines tollen Stückes, weil er dem Anspielungsreichtum Raum gibt, ohne ihn durch enge Bebilderungen zu verzwergen, und gleichermaßen präzise den Schmalz'schen Sprachwitz herausarbeitet. (Christine Wahl, 4. 3. 2019)