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Frankreichs Präsident Macron redet Klartext.

Foto: AP Photo/Francisco Seco, File

Das Vorgehen ist zumindest unüblich. Noch nie wandte sich ein europäisches Staatsoberhaupt direkt an sämtliche EU-Bürger. Emmanuel Macron tut es mit einem Beitrag, der am Dienstag in 28 europäischen Tageszeitungen erschienen ist und der die Kampagne für die Europawahlen von Ende Mai mit einem Paukenschlag einläutet.

Schon die Auswahl der Blätter verdeutlicht die Wahlkampfabsicht. In Deutschland und Österreich etwa wählte Macron zum Beispiel liberalkonservative Medien wie Die Welt und Die Presse. Deren Leser neigen tendenziell jenen liberalen Parteien zu, mit denen Macrons Formation La République en Marche einen dritten Block zwischen rechts und links aufbauen will.

Plädoyer für Europa

Natürlich sagt das Macron nicht offen. Er präsentiert sich vielmehr als Leader der europäischen Idee und deren Beschützer in sozialer, migrationspolitischer, ökonomischer wie auch klimatischer Hinsicht. "Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg war Europa so nötig, aber noch nie war Europa in solcher Gefahr", schreibt der französische Präsident mit einer klaren Warnung vor den "Nationalisten". Sie würden, statt Lösungen anzubieten, nur Falschinformationen streuen und nützten die Wut der Völker aus, schreibt der Staatschef, der in seinem Land durch die Gelbwesten-Bewegung unter Druck steht.

Inhaltlich macht Macron eine ganze Reihe konkreter "Vorschläge". So will er den Schengen-Raum reformieren und ihn mit der Mi grationsfrage verknüpfen, wie er schreibt: Wer von der Bewegungsfreiheit Schengens profitieren wolle, müsse auch eine doppelte Pflicht auf sich nehmen – undurchlässige Grenzkontrollen gegen außen sowie eine "einheitliche Asylpolitik" mit "gleichen Aufnahmeregeln". Indem er die Schengen-Freiheit mit den umstrittenen Flüchtlingsquoten verbindet, fordert Macron direkt Gegner wie den ungarischen Premier Viktor Orbán heraus.

Immer noch zum besseren Schutz des Alten Kontinents fordert Macron, die Militärausgaben generell zu erhöhen und in Er gänzung zur Nato einen "europäischen Sicherheitsrat" zu schaffen. Dieser soll auch Großbritannien einschließen, meint der französische Präsident. Damit zeigt er auch Unterschiede zu den deutschen Positionen: Auch wenn Macron den Briten handelspolitisch keine Brexit-Konzessionen machen will, sucht er sie in eine europäische Sicherheitsarchitektur mit operativer Eingreiftruppe einzubauen.

Der 41-jährige Präsident will die Europäer auch besser gegen politische Eingriffe von außen schützen. Die Finanzierung politischer Parteien aus dem Ausland soll un tersagt werden. In Frankreich ist das bereits geschehen, nachdem der Front National von Marine Le Pen in Moskau Geld aufgenommen hatte. Macron will ferner eine europäische "Agentur zum Schutz der Demokratie" ins Leben rufen, um Wahlen in Europa vor ausländischen Hackerangriffen und Falschinformationen zu schützen. Russland nennt er dabei so wenig wie China, das er anderweitig im Visier hat: So will er ausländische Investitionen in strategischen EU-Firmen besser kontrollieren. Diese sollen bei öffentlichen Ausschreibungen gegenüber der Au ßenkonkurrenz bevorzugt werden. Generell versteht Macron seinen Appell als Weckruf: "Wir dürfen nicht Schlafwandler in einem erschlafften Europa sein", schreibt er. Sozialpolitisch will der Franzose europaweit einen Sockel mit einem Mindestlohn schaffen.

Bekannte Wahlkampfthemen

Viele dieser Vorschläge überträgt Macron aus seinem Präsidentschaftswahlkampf von 2017 auf die europäische Ebene. Einige Pariser Stimmen bespötteln den gesamteuropäischen EU-Ansatz des selbstbewussten Staatschefs auch als "napoleonisch". EU-Ratspräsident Donald Tusk unterstütze Macrons Äußerungen am Dienstag "vollkommen". Ein Sprecher von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprach von einem "wichtigen Beitrag zur europäischen Debatte".

Macrons internationaler Aufruf mag wahlpolitisch motiviert sein. Sicher ist, dass er die Wahlkampfsitten des Europawahlkampfes neu begründet hat. Angela Merkel, Matteo Salvini oder Sebastian Kurz haben noch bis Mai Zeit, selbst zur Feder zu greifen. (Stefan Brändle, 5.3.2019)