Sand, sagt Ed, ist schwierig. Und Sand am Strand erst recht. Weil es halt fast nirgendwo so ist, dass man tatsächlich stundenlang über sanft federnden, aber doch halbwegs festen Sand laufen kann. Nicht, wenn man weiter als einmal die Bucht rauf- und runterlaufen will: Irgendwo kommen irgendwann Steine. Oder Schotter. Oder kleine, angespülte Muscheln. Oder man sinkt bis über die Knöchel ein. Oder der Sand ist heiß. Also richtig heiß. Spätestens dann ist es wurscht, ob er weiß, sandfarben, grau, schwarz oder – meinetwegen – rosa mit türkisen Ornamenten ist: Wenn Sand heiß ist, ist er schon quer über den Strand, ins Wasser, barfuß eine Tortur. Barfuß laufen? Sicher nicht.

Aber auch wenn der Sand in der Früh noch nicht heiß ist: Barfuß zu laufen, meint Ed Kramer, ist am Strand nur etwas für barfuß bereits Geübte. Weil: siehe oben. Und außerdem liegt in Bali nicht nur Sand am Strand – aber dazu später.

Foto: thomas rottenberg

Das hier ist eine Urlaubsgeschichte. Kein Materialtest, kein Event, kein Bewerb, keine Produktpräsentation – sondern ein stinknormaler, regulär gebuchter und bezahlter Urlaub: statt irgendwo in den Bergen im Schnee eben am anderen Ende der Welt – auf Bali. Sogar inklusive CO2-Kompensationszahlung sind zwei Wochen hier günstiger als die gleiche Zeit im Schnee. Und während Tiefschneefahren und Tourengehen Skills und Material brauchen, reichen südlich des Äquators Flipflops und Badehose. Und während man dem alkohol- und bummbummgeschwängerten (Aprés-)Skitrubel auf und rund um die Pisten nur schwer entkommt, fehlt sogar beim Ballermann der Yogawelt – in Ubud – die latente Aggressivität vieler alpiner "Gaudi"-Hütten zur Gänze. Vielleicht ja auch, weil es hier keine grölenden Männerhorden gibt. "Eat Pray Love" ist ein kitschiges Mädchen- und Frauenklischee – aber: Das hat auch Vorteile.

Foto: thomas rottenberg

Außerdem haben wir Ubud eh nur gestreift: Yoga Barn, Radiant Alive, Alchemy? Jo eh. Nett. Hakerl drunter. Und weiter. In den Nordosten der Insel, nach Amed. Dort ist der Hippie- und Yogatrail, der Bali seit Jahren überrollt und mittlerweile durch den Instagram-Wahnsinn richtig skurrile Blüten (alle wollen exakt das gleiche, absolut individuelle Bild am gleichen Ort mit der gleichen Pose, das auch schon eine Million anderer Insta-Yoginis gepostet haben) treibt, nämlich noch nicht ganz angekommen.

Foto: thomas rottenberg

Aber wenn man dann hier am Ende der Bucht 100 Meter "off the beaten track" einen Hang hinaufgeht, landet man in Birgit Rieglers "Balila Beach Resort"). Die gebürtige Steirerin, die vor 16 Jahre nach Bali ausgewandert ist, hat hier einen auf Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und Müllvermeidung basierenden und fokussierten Hideout am Übergang zwischen Paradies, Urwald und vom Menschen verursachten Weltuntergangs-Ökokollaps-Albtraumbildern geschaffen.

Laufen? Kann man hier natürlich. Am Strand. Man sollte halt unterwegs sein, bevor die Sonne raus ist. Ende Februar ist das gegen sechs. Oder man ist hart im Nehmen und steht zu seinem Anfängerfehler.

So wie wir.

Apropos "wir": Wir, das sind Elisa und Ed Kramer-Asperger (ja genau, die Betreiber des Wiener Traillaufladens "Traildogrunning"), Eva und ich.

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Natürlich hatten wir gewusst, dass es in Bali Ende Februar eine Spur wärmer als in Österreich sein würde. Wien: minus vier Grad, stand auf der Standard-App, als wir das erste Mal losgelaufen sind. Hier hatte es – ja, in der Früh – knapp 30 Grad. Und weil es in der Regenzeit superschwül ist, "gefühlte 38". Sagte jedenfalls Eds Wetterapp.

Aber: Na und? Wir hatten es nicht eilig. Trabten locker dahin – ohne Plan, ohne Eifer. Ohne Ziel: So geht Urlaub.

Foto: thomas rottenberg

Aber da war noch etwas. Etwas, das man auf den ersten – großen, fantastischen, weiten und beeindruckten – Blick leicht übersehen kann. Weil man es ja auch nicht sehen will. Obwohl man es eh weiß: die Sache mit dem Dreck, dem Dreck am Strand. Der lässt sich nämlich nicht ignorieren. Wegdenken. Oder sonstwie schönreden: Der ist da – und das tut weh. Richtig weh.

Foto: thomas rottenberg

Balis Strände versinken nämlich im Müll. Nicht in dem, den Touristen und Locals am Strand zurücklassen, sondern in dem, den das Meer ausspuckt. Manchmal viel, meistens aber sehr viel. Je nach Windrichtung und Windstärke – aber in jedem Fall unaufhörlich: Dass da draußen, irgendwo im Pazifik, eine Plastikmüllinsel schwimmt, die mittlerweile auf das Vielfache der Fläche Österreichs angewachsen ist, ist bekannt. Dass sich dort der Müll der ganzen Welt – also auch unserer – sammelt, auch. "Schlimm, schlimm", sagen wir – und befüllen das Plastiksackerl mit dem Obst im Supermarkt selbst: Dass das eine mit dem anderen zusammenhängt, weiß man. Irgendwie halt. Es richtig zu kapieren ist dann doch etwas anderes. Aber wirklich schlimm wird es erst, wenn man es mit eigenen Augen sieht.

Foto: thomas rottenberg

Nicht beim ersten Mal: Da schnappt man sich eben einen großen Reissack, nickt den anderen Leuten im Ressort kurz zu, steht fünf Minuten später als Gruppe am Strand – und stopft dann Plastikfolien Strohhalme, Pastikflaschen, Flipflops, Medikamentenverpackungen, Instant-Kaffeekapseln, Styroporklumpen, Schampooflaschen, Glühbirnen und 1.000 unidentifizierbare Plastiktrümmer in den Sack. Fühlt sich gleichzeitig scheiße und doch auch gut. Wegen der Karmapunkte – und weil man ja auch sieht, dass es nicht wurscht ist.

Foto: thomas rottenberg

Denn nach nicht einmal 45 Minuten – die sich in der Hitze halt wie drei Stunden anfühlen – sieht der Strand anders aus. Ganz anders: So wie man sich halt einen Strand vorstellt.

Und das, was gerade noch da lag, ist jetzt in acht proppenvolle Säcke gestopft. Stolz? Ja schon – solange, bis man merkt, dass das jetzt gerade einmal 50, vielleicht 70, allerhöchstens 80 Meter waren: acht Säcke auf 80 Metern. Oh Gott!

Dann kommt die zweite Keule: Draußen, auf den Wellen, treibt schon die nächste Ladung Dreck heran. Drei Stunden später, wenn die Flut da ist, sieht es wieder genauso aus wie vorher: Schweift der Blick nur über die Postkartenszenerie des Horizonts, ist das hier das Paradies. Doch wehe, man sieht genauer hin.

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"So schlimm wie heuer war es noch nie", sagt Birgit Riegler, die Chefin des Balila-Resorts. "Es ist eine Sisyphusarbeit." Trotzdem gibt sie nicht auf. Rückt alle paar Tage mit Gästen aus. "Am liebsten gegen 17 Uhr – da sind nämlich die Einheimischen am Strand. Und die kriegen natürlich mit, was da passiert. Es ist ihnen ja nicht egal – aber wenn sie sehen, dass sogar Touristen anpacken, ändert sich auch ihr Zugang." So gibt es in den meisten Bars von Amed mittlerweile keine Plastikstrohhalme mehr – sondern nur noch welche aus Bambus. Offiziell dürfen in Geschäften auf Bali keine Plastiksackerln mehr ausgegeben werden. Und auch wenn die Wirklichkeit anders aussieht, bewegt sich langsam etwas: Die Verkäufer fragen vor dem Einpacken "plastic bag?" – und das "No, thank you", das da vor allem die "Generation Yogamatte" immer öfter artikuliert, fällt auf.

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Auch deshalb, sagt Riegler, sei es wichtig, dass Touristen trotz aller Umweltdiskussionen weiterhin kommen: nicht nur, um daheim als Multiplikatoren zu wirken, sondern auch um hier Mut zu machen. "Wenn man die Menschen hier jetzt allein lässt, ändert sich nichts. Nicht hier, nicht in Europa, nicht in den USA – und ohne den Tourismus ist Bali dann tot. Schau dich um: nicht nur wirtschaftlich."

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Das unterstreichen auch Jimena Ramon Montemayor und Scott James Timmins: Die mexikanische Meeresbiologin und der australische Skipper und frühere Weltenbummler sind der indonesische Vor-Ort-Ableger der globalen Anti-Plastikmüll-NGO "Parley": Parley zertifiziert aus – unter anderem – recyceltem Plastikmüll hergestellte Stoffe, Materialien und (Lauf-)Schuhe, versucht aber auch vor Ort, Bewusstseinsarbeit – insbesondere bei Kindern – und Lobbying zu betreiben und lokale Initiativen zu vernetzen und zu unterstützen. "Es ist wichtig, dass man sieht, was hier passiert – das Gute genauso wie das Schlechte."

thomas rottenbberg

Eines der Hauptthemen der in Amed stationierten "Parleys" ist, dafür zu sorgen, dass der bei den immer öfter stattfindenden "Beach Clean-ups" eingesammelte Müll nicht im Hinterland wieder in einen Fluss gekippt oder gar so deponiert wird, dass das Grundwasser verseucht wird: Nein, sagen Jimena und Scott, endgültige und alle Probleme lösende Antworten hätten sie da auch nicht parat. Müllvermeidung und Mülltrennung wären natürlich super – könnten den Dreck aber auch nicht verschwinden lassen. Und ließen sich auch nicht herbeizaubern. Nur: Resignation sei in jedem Fall der falscheste Ansatz.

Foto: thomas rottenberg

Aber hier soll es ja eigentlich ums Laufen gehen. Und das bedeutet auch, sich die Freude am Leben auch dann nicht verderben zu lassen, wenn der Strand und das Meer am nächsten oder übernächsten Morgen immer noch – oder: schon wieder? – so aussehen, als wären in der Zwischenzeit keine drei oder vier Putztrupps (wir waren – zum Glück – nicht die Einzigen) vorbeigekommen.

Aber immerhin hatten wir gelernt – und waren früher unterwegs. Obwohl das bedeutete, dass diesmal nur Elisa und ich am Strand unterwegs waren.

Foto: thomas rottenberg

Zumindest dann, wenn man mit "wir" nur unsere kleine Wiener Reisegruppe (und die paar Handvoll anderer Europäer, Amis und Australier in der Gegend) meint: Die Locals sind hier nämlich wirklich früh unterwegs. Die Fischerboote fahren etwa gegen drei in der Früh los. Und wenn man gegen sechs Uhr morgens den Strand entlangläuft, sieht man immer wieder Opferzeremonien am Ufer: Es gilt, die Geister und Götter des Meeres freundlich zu stimmen.

Und nicht nur die: Bali hat nicht nur eine Million Tempel, sondern auch noch mindestens zehnmal so viele "Marterln" – und auch vor jedem Haus, jedem Lokal und jedem Geschäft wird mehrmals täglich mit kleinen bis mittelgroßen Gaben (Blumen, Räucherstäbchen, Obst) das Gute zum Kommen und Bleiben eingeladen.

Foto: thomas rottenberg

Das Schöne daran: Das passiert freundlich und unverkrampft – und wenn man ebenso freundlich fragt, ob man fotografieren darf, kommt eigentlich nie ein "Nein" – nicht nur bei Zeremonien, sondern auch bei Spaziergängern, die einem dann am frühen Morgen doch am tagsüber – hitzebedingt absolut vernünftig – meist menschenleeren Strand entgegenkommen.

Foto: thomas rottenberg

Die Bucht von Balila und Amed ist etwa drei Kilometer lang. Meist sandig-schottrig. Und sehr weich. Zurückgekehrt, beschlossen Elisa und ich, würden wir nicht am Strand, sondern hinter den eineinhalb Häuserreihen laufen, die hier den Ort bilden: einfache, meist ärmliche Hütten, in denen die Locals leben – weil Amed immer noch eine der ärmeren Regionen Balis ist. Und die immer mehr auch hier aus dem Boden schießenden Hotels samt angeschlossener Infrastruktur: Gastronomie und Tauchtrip-Anbieter zumeist. Aber nicht wirklich viele – und kaum hat man die paar Häuser hinter sich gelassen, regiert die Landwirtshaft: Reisfelder.

Foto: thomas rottenberg

Was auch erst auffällt, wenn man in einem Land wie Indonesien unterwegs ist: Wie selbstverständlich für unsereins eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur ist: Bali ist eine Mopedinsel. Es gibt zwar Busse und Shuttles, aber wer kann, fährt Motorroller. Und zwar so, wie es halt geht: Touristen überfordert das oft genug – nicht ohne Grund sieht man an jedem Eck Westler mit teilweise schweren Schürfwunden oder auf Krücken. Angeblich verunglücken täglich fünf bis sechs Touristen mit dem Moped so schwer, dass sie im Spital landen.

Nicht lustig. Aber die relevantere Frage lautet: Wie kommen Menschen, die tatsächlich noch zu jung zum Selberfahren sind, auf einer Mopedinsel zur Schule?

Foto: thomas rottenberg

Wobei, gut ausgebaute Straßen führen auf Bali nicht immer auf dem kürzesten Weg ans Ziel: Sogar Google Maps schickt einen hier ohne Umschweife oder Vorwarnung auf schmale Pfade und Wege. Unsereins würde sie wohl "Singeltrail" nennen und wohl nur mit dem Moutainbike oder der Motocrossmaschine hier fahren – Balinesen kommen einem hier aber auch hier, mitten im Regenwald, ganz selbstverständlich mit dem Roller (gern auch zu viert über Wurzeln springend und dabei die Sichel locker unter die Achsel geklemmt und mit büschelweise frisch geerntetes Grün- und Blattzeug am Gepäckträger) entgegen. Aber dazu ein anderes Mal.

Foto: thomas rottenberg

Auch kleine Bäche und Wasserläufe mit einer Tiefe von bis zu einem halben Meter sollte man, wenn man hier läuft, nicht als Hindernis sehen: Man rennt eben einfach durch (der Mopedfahrer vor uns hat ja auch einfach Gas gegeben). Nasse Schuhe? Vollkommen egal: Das hier sind die Tropen. Der Regenwald. Und jetzt ist Regenzeit: Man beginnt praktisch in dem Augenblick zu dampfen, in dem man nur daran denkt, sich zu bewegen. Und genauso rasch, wie alles nass ist, trocknet man auch wieder. Oder spürt die Feuchtigkeit irgendwann eh nicht mehr.

Foto: Thomas Rottenberg

Trotzdem – oder gerade deshalb – macht es Spaß. Und zwar ganz gewaltig. Aber natürlich holte uns dann, als wir nach einer Stunde triefnass, schwitzend, erschöpft und glücklich wieder am Strand von Balila ankamen, die Wirklichkeit ein: Ed und Eva waren mittlerweile auch aufgestanden. Eva war zu einer Yogastunde gegangen, während Ed sich zwei Openwater-Kilometer gegönnt hatte. Danach schnappte er sich einen Sack – der war in zehn Minuten voll.

Foto: thomas rottenberg

Es war nicht das letzte Mal, dass einer oder mehrere von uns mit einem weißen Sack hier unterwegs waren.

Und obwohl es hier traumhaft schöne Schnorchelspots gibt, schwamm ich beim Freiwassertraining immer wieder durch und über ganze Geschwader von Plastikfolien und anderem Müll.

Aber als ich vor Verzweiflung und Wut im Wasser fast heulte, fiel mir ein, was Parley-Ozeanologin Jimena Ramon Montemayor mir am Abend zuvor gesagt hatte: "Nein, es ist nicht zu spät: Wir haben noch eine Chance. Und wir spüren, dass Menschen auf der ganzen Welt diese Chance nutzen wollen. Deshalb ist es wichtig, dass ihr das hier selber seht – und davon erzählt." (Thomas Rottenberg, 6.3.2019)

Mehr Fotos gibt es auf Tom Rottenbergs Facebook-Seite:

Anmerkung: Der Trip nach Bali war keine Einladung und kein gesponserter Event, sondern ein privat bezahlter Urlaub – inklusive CO2-Kompensationszahlung.

Foto: thomas rottenberg