Durchs intensive Lauftraining werden bestimmte Muskelgruppen verkürzt. Wer regelmäßig dehnt, steuert dagegen.

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Ein Bein ist gestreckt, das andere wird im Stehen abgewinkelt und an den Körper herangezogen. Oder: In den Ausfallschritt gehen und dann die hintere Ferse in Richtung Boden drücken. Diese Dehnübungen kennen alle noch aus der Schule. Dabei geht es darum, die Muskeln zu dehnen, um eine verbesserte Beweglichkeit zu erreichen. Viele Hobbysportler vergessen darauf.

In New York gibt es mittlerweile eigene Fitnessstudios, in denen man seine Muskeln unter Anleitung dehnt. Angeblich ist das gemeinschaftliche Strecken und Recken einer der ganz großen Fitnesstrends der nächsten Jahre. Unter Sportlern führt das richtige Dehnen aber immer wieder zu hitzigen Diskussionen.

Die größten Streitfragen:

Warum überhaupt dehnen?

"Ich würde nicht pauschal sagen, dass jeder dehnen muss", sagt Sportmediziner Robert Fritz von der Sportordination. Generell seien Frauen beweglicher als Männer. Als Test für die eigene Beweglichkeit empfiehlt er beispielsweise, bei gestreckten Beinen mit den Händen den Boden zu berühren.

Ein häufiges Problem bei Läufern ist aber beispielsweise, dass ihr Hüftbeuger durch langes Sitzen im Büro stark verkürzt ist. Das zeigt sich durch einen sitzenden, geknickten Laufstil – der dann bei längerem Laufen zu Rückenschmerzen führen kann: In dem Fall sollte laut Fritz der Hüftbeuger gedehnt – und die Gesäßmuskulatur trainiert werden, die dann das Hüftgelenk aufrichtet und einen permanenten Dehnungsreiz erzeugt.

Was passiert beim Dehnen?

Die Sportwissenschafter Markus Tilp und Andreas Konrad von der Universität Graz haben dazu geforscht, warum Gelenke durch Dehnen kurz- und langfristig beweglicher werden. Das Ergebnis: Wer stretcht, verändert kurzfristig das Muskelgewebe, weil es elastischer und weicher wird. Das hält ca. 40 Minuten an. In der über sechs Wochen laufenden Studie wurden allerdings keine langfristigen Veränderungen am Muskelgewebe bemerkt – die Beweglichkeit der Probanden wurde durch das Dehnen aber trotzdem größer.

Das liegt an einer höheren Dehntoleranz, die die Probanden entwickelten, so Tilp: "Das Gelenk erzeugt immer noch den gleichen Widerstand, aber das Schmerzempfinden verringert sich." So wird das Gelenk beweglicher.

Aktuelle Studien haben aber gezeigt, dass Menschen, die über Jahre regelmäßig dehnen – Baletttänzerinnen zum Beispiel – , tatsächlich längere Muskelfasern bekommen. Der Frage, wann diese Veränderung an den Muskeln einsetzt, geht der Sportwissenschafter Andreas Konrad nun in einer aktuellen Studie nach.

Statisch, dynamisch – oder doch ganz anders?

"Alle drei Varianten erhöhen kurzfristig die Muskelelastizität", stellt Sportwissenschaftler Tilp klar. Anfängern empfiehlt er, mit dem statischen Dehnen zu beginnen: Dabei wird eine Übung gehalten. Beim dynamischen Dehnen wippt man immer wieder in die Dehnung hinein – und wieder hinaus. "Das ist schon ein wenig komplexer", sagt Tilp. Schwierig wird es dann mit einer dritten Methode, dem sogenannten PNF-Stretching (kurz für Proprioceptive Neuromuscular Facilitation). Dabei wird der Muskel in unterschiedlichen Kombinationen entspannt, angespannt und gedehnt. "Bei PNF wirken stärkere Kräfte auf den Muskel", sagt Tilp.

Dehnen vor oder nach dem Sport?

Das kommt auf die Zielsetzung an: Wer langfristig beweglicher werden will, sollte das ausführliche Stretching erst nach der körperlichen Belastung oder sogar in einer Extra-Einheit einplanen. Studien haben aber auch gezeigt, dass ein Dehnen vor Sportarten, in denen viel gesprintet wird, das Verletzungsrisiko von Muskelzerrungen senken kann.

Wer vor dem Training dehnen will, sollte das laut Tilp im Rahmen eines Aufwärmtrainings machen: sich also vor dem Dehnen einlaufen, um die Muskeln aufzuwärmen, und nach dem Dehnen noch einige dynamische, sportartspezifische Übungen durchzuführen.

Sportmediziner Fritz rät aber vor besonders intensiven Trainingseinheiten oder Wettkämpfen zumindest von statischen Dehnübungen ab: Wer danach dehnt, könnte ohnehin schon aufgetretene Verletzungen am Muskel noch verschlimmern. Und wer vor einem Wettkampf dehnt, nehme der Muskulatur ihre Grundspannung. Gegen dynamisches Dehnen vor dem Sport sei aber wiederum nichts einzuwenden.

Wie lange und wie oft sollte man dehnen?

Zwei Einheiten pro Woche reichen laut Sportmediziner Fritz. Er rät dazu, das Dehnen mit einem Faszien- und Gleichgewichtstraining zu kombinieren – und auf die Bereiche im Körper zu fokussieren, die Probleme machen. Jede Dehnübung sollte mindestens zwei Minuten gehalten werden, "zehn bis 15 Sekunden, wie es manche machen, bringen nichts", so Fritz.

Wirkt sich Dehnen vor dem Sport negativ auf meine Leistung aus?

Immer wieder hört man, dass ein Dehnen vor dem Sport einen Leistungsabfall verursachen kann. "Diese Behauptung fußt aber auf Studien, bei denen extrem lange gedehnt wurde", sagt Tilp. Bei einer kurzen Dehndauer, wie sie in vielen Sportarten ohnehin üblich ist, hätten sich solche Einbußen aber nicht gezeigt.

Hilft Dehnen gegen Muskelkater?

Nein. Bei einem Muskelkater handelt es sich um Mikrotraumen, also kleinen Verletzungen am Muskel, die im Anschluss wieder aufgebaut werden. "Studien zeigten, dass Dehnen hier nichts bringt", sagt Tilp.

Was kann man beim Dehnen falsch machen?

Ziel ist ein spürbares Ziehen im Muskel – wenn es wehtut, sofort aufhören. Wer es beim Dehnen übertreibt, riskiert einen Muskelfasereinriss. (Franziska Zoidl, 9.3.2019)