Zuwendung, Flirtversuche, Aufmerksamkeit: Ein Gipsbein kann Wunder wirken.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Viele Frauen klagen, dass der Charme von Männern erst zum Vorschein kommt, wenn genügend Alkohol im Spiel ist. Die Rechnung geht ungefähr so: Je mehr Schnaps, desto anhänglicher und lieber. Darauf antworte ich neuerdings gerne: Haben Sie es schon einmal mit einem Gipsbein probiert? Ich spreche da nämlich aus Erfahrung.

Vor kurzem einmal schlampig über den Gehsteig geschlurft, zack!, umgeknöchelt -- und schon war es passiert. Die Verordnung des Arztes: Knöchelbruch, daher vier Wochen Liegegips. Man gab mir Krücken mit. Ich lebe allein, was etwas unpraktisch mit einem weißen Klumpfuß ist. Doch während mich alle Freundinnen auf das Äußerste bemitleideten, begann für mich High Life. Plötzlich war ich der Main-Act in einem Schlaraffenland voller Zuwendung, Flirtversuche und engagierter Aufmerksamkeit.

Verehrer en masse

Die kleine hilflose Frau. Dieses Modell scheint das Beste in jedem Mann hervorzuholen: Billa-Lieferanten ließen es sich nicht nehmen und räumten meine Waren fürsorglich in den Kühlschrank ein ("Sie sind ja behindert!"). Ein Nachbar, wir hatten uns bis dahin kaum gegrüßt, läutete an der Tür und drängte mir ritterlich seine Telefonnummer auf ("Was auch immer ich für Sie tun kann"). Künstlerfreunde, von denen ich seit Monaten nichts gehört hatte, weil sie nur sporadisch auf SMS-Nachrichten antworten, meldeten sich in Scharen zu Besuchstagen an. Ich lehnte einen fast ernstgemeinten Heiratsantrag ab.

Von all dem erzählte ich schließlich meiner Berliner Freundin C. am Telefon. "Das überrascht mich überhaupt nicht", antwortete sie lakonisch. Nachdem sie sich den Knöchel verstaucht hatte, tänzelte sie einen Sommer lang in kanariengelben Pumps und mit rotem Stützverband ums Bein durch die deutsche Hauptstadt. Diese Zeit sei das reinste Paradies gewesen: "Ich hatte Verehrer ohne Ende."

Hilfe oder Kontrolle?

Da stellt sich natürlich die Frage: Ist die unbewegliche Frau das Phantasma der Männerwelt? Das real gewordene Katzenvideo für bindungsscheue Piraten?

Nun, nicht ganz. Vor einigen Jahren brachte ein Cowboy, der nicht weglaufen konnte, auch mein Blut in Wallung. Ich stand in dieser Bar, kannte ihn eher vom Wegschauen. Aber diesmal war alles anders: Nach einem Autounfall saß er vorübergehend im Rollstuhl. Plötzlich sah ich in seinen schönen teichgrünen Augen eine Tiefe, eine geradezu fatale Poesie, die meine Knie zum Schlottern brachte. Leider hielt der Bann nicht. Sobald der Mann wieder herumspazierte, wurde es kompliziert.

Legen wir also die Karten auf den Tisch. Irgendein absurder, ängstlicher Teil von uns sehnt sich nach einem Liebesobjekt unter Hausarrest – und nicht nach einem frei beweglichen Partner. (Ela Angerer, RONDO, 18.3.2019)

Weiterlesen:
Countryboy auf Stadtbesuch & Citygirl auf Landfahrt