Ein Pflichttermin für Freunde der zeitgenössischen Choreografie: "The Caldeirão Highlanders, Exercises in Fictional Anthropology" von Vera Mantero im Tanzquartier.

Foto: Humberto Araujo

Die portugiesische Choreografin Vera Mantero setzt ihre Kunst in die Welt, weil sie den Tanz und die Performance dafür braucht, "um zu verstehen, was ich verstehen muss". Das klingt lapidar, obwohl die 1966 in Lissabon geborene Künstlerin ihrem Wesen nach sonst nicht kurz angebunden ist, sondern eine ausgesprochen vitale und komplexe Denkerin.

Ganze zehn Jahre schon war sie nicht mehr in Wien zu Gast, obwohl sie die wichtigste südeuropäische Choreografin der Gegenwart ist. Jetzt nimmt das Tanzquartier Wien die Verbindung zu Mantero wieder auf und zeigt ihr poetisch-dokumentarisches Solowerk The Caldeirão Highlanders, Exercises in Fictional Anthropology – wenn auch nur ein einziges Mal am kommenden Donnerstag. Immerhin könnte das der Anstoß für einen Neubeginn sein.

Wüste kommt, Bevölkerung geht

The Caldeirão Highlanders aus dem Jahr 2012 ist eine sehr charakteristische Arbeit der Künstlerin. Es geht um die Wüstenbildung und Entvölkerung der Gegend um den Berg Caldeirão im Inneren der Algarve. Mantero nutzt dafür historisches Filmmaterial des französischen Ethnologen Michel Giacometti, greift einige der Arbeiterlieder darin auf und interpretiert sie neu. Antonin Artaud und Jacques Prévert kommen zu Wort, und Mantero zeigt einen Tanz mit der Rinde einer Korkeiche.

Zu Manteros frühen Arbeiten gehören vor allem Solowerke wie Two improvisations to two songs by Prince (1988) und ein Auftragssolo über Vaslav Nijinsky. Europaweit bekannt wurde sie danach mit Perhaps she could dance first and think afterwards, Olympia und one mysterious Thing, said e.e.cummings*.

Stücke wie diese machten sie zu einer der Hauptfiguren einer neuen Bewegung in der zeitgenössischen Choreografie, zu der auch Meg Stuart, La Ribot oder Jérôme Bel zählten und die den Tanz in der zweiten Hälfte Neunzigerjahre nachhaltig veränderte. Die Veranstalter rissen sich um Manteros radikalpoetische Stücke. In Wien waren sie ebenfalls zu sehen.

Gesang und Gesamtheit

Im Jahr 2000 entdeckte Vera Mantero den Gesang als zusätzliches künstlerisches Mittel für sich, was sie zu der Ansicht führte, dass es keinen Sinn mehr habe, sich als Performer auf eine Disziplin zu spezialisieren und allein Tänzer, Schauspieler, Sänger oder Musiker zu sein.

Zeitgemäßer wären Performer, die "auf das Ganze" spezialisiert wären. Ihre Stücke wie Olympia oder The Dance of Existing touren seit mehr als zwei Jahrzehnten. Insgesamt sind bis heute noch 13 Werke aus ihrem unkonventionellen OEuvre verfügbar.

Dabei sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Vera Mantero ursprünglich eine Ausbildung in klassischem Tanz genossen hat und fünf Jahre lang beim portugiesischen Ballet Gulbenkian aufgetreten ist, bevor sie den Spitzentanz zugunsten ihrer eigenen Arbeit sein ließ. Alles in allem: The Caldeirão Highlanders ist ein Pflichttermin für Fans der zeitgenössischen Choreografie. (Helmut Ploebst, 5.3.2019)