Das RONDO fragt anlässlich seines 20. Geburtstags fünf Kinder von Redaktionsmitgliedern nach ihrem Berufswunsch und wie sie sich ihr Leben mit 20 vorstellen. Die Liste reicht von Lego-Designer über Psychologin bis hin zum Präsidenten der EU-Kommission.

Fast möchte man den Buben mit nach Hause nehmen, gäbe es nicht schon eigenen Nachwuchs. Emil scheint ein Herzbinkerl zu sein. Oder auf gut Deutsch: das Gegenteil von einem Gfrast. Höflich reicht einem der Bub die Hand, sagt "Guten Tag", "Es freut mich", "bitte" und "danke" sowieso. Er erkundigt sich nach dem Wohlbefinden, und auf Elvis steht er auch. Mit zehn!

Seine neugierigen blaugrauen Augen studieren einen blinzelnd, und die blonden Haare erinnern an die Mähne von Brad Pitt in der Rolle des Achilles. Auf den ersten Blick macht sein scheues Lächeln glauben, der Knabe könne kein Wässerchen trüben.

Man merkt nicht auf den ersten Blick, dass es Emil faustdick hinter den Ohren hat. Der Bub, der Politiker werden möchte, hat Juncker zum Essen und Putin zum Geburtstag eingeladen. Sebastian Kurz hat er auch schon geschrieben. Von der Antwort hat er sich mehr erwartet.
Foto: Paul Kranzler

Statt Red Bull bestellt er Marillensaft, nachdem ihn der Kellner des Lokals gefragt hat, was die junge Dame für einen Wunsch habe. Das passiert Emil ob seiner Haarpracht öfters. Souverän quittiert er den Fauxpas: "Die junge Dame ist ein junger Herr, aber machen Sie sich nichts daraus. Sie sind nicht der erste Ober, dem das passiert. Und bestimmt nicht der letzte!" Touché, sagen die Augen des Kellners, dem ein Wölkchen Schamesröte um die Nase aufsteigt.

Auf den zweiten Blick schaut's also ein bisschen anders aus: Das Bürschchen ist weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen. Vor allem Zweiteres ist eine gute, nein, die Voraussetzung, wenn es darum geht, seinen Berufswunsch wahr werden zu lassen.

Emil möchte Politiker werden. Welches Lager? "Mitte links", sagt er und meint nach einem Achselzucker: "Ich weiß nicht, ob man mit 20 schon Bezirksvorsteher sein kann, aber ich könnte mir vorstellen, mit diesem Amt durchzustarten, während ich nebenher ein Wirtschaftsstudium absolviere. Oder das der Politikwissenschaft."

Foto: Paul Kranzler

Karrieretechnisch schreckt Emil vor keiner Grenze zurück. UNO-Generalsekretär? "Warum nicht?" Eher aber steht ihm der Sinn nach der Präsidentschaft der Europäischen Kommission. Apropos: An Jean-Claude Juncker hat Emil einen Brief adressiert und ihn zum Abendessen eingeladen.

Das Geld hatte er schon zusammengespart und das Abendprogramm ausbaldowert: "Zum Aperitif hätten wir eine Weinbar im ersten Bezirk aufgesucht und anschließend, gleich um die Ecke, im Gasthaus 'Zu den drei Hacken' zu Abend gegessen", meint Emil, zu dessen Leibspeisen Tafelspitz, Miesmuscheln und Gurken-Maki zählen. "Und Schnitzel, aber welches Kind mag kein Schnitzel?"

Trump & Putin

In Kinderfragen präferiert er es übrigens klassisch konservativ, er denkt längerfristig an eine Heirat und an ein bis zwei Kinder. Über das Aussehen seiner Zukünftigen hat er sich noch keine Gedanken gemacht, lediglich darüber, dass sie "auch eher links sein sollte". "Und höflich." Das wird sich finden lassen. Im Gegensatz zu einem Termin mit Juncker. Aperitif und Schnitzel mit dem Kommissionspräsidenten mussten leider ausfallen. "Einer seiner Mitarbeiter hat das Ganze abgeblasen. Immerhin bekam ich eine Antwort", berichtet der Bub und wischt sich den Marillensaft aus seinem Oberlippenflaum. Emil mag den Juncker trotzdem. Auf dessen Busseleien angesprochen, muss Emil schmunzeln.

An Trump hat Emil auch geschrieben, und zwar in Sachen Klimawandel, "freundlich und sachlich", wie er sagt. Putins Adresse scheint er ebenfalls zu haben. Der russische Präsident erhielt eine Einladung zum Geburtstagsfest. Eine Antwort blieb bis heute aus. Vielleicht klappt es kommenden Jänner anlässlich Emils elftem Geburtstag. "Ich halte Putin trotz einiger Kritikpunkte für eine interessante Persönlichkeit. Außerdem war er einmal Spion. Das wäre ihm bei der Schnitzeljagd an meinem Geburtstag bestimmt von Nutzen gewesen", schlussfolgert Emil.

Auch mit Bundeskanzler Kurz unterhält Emil eine Korrespondenz, sein Brief wurde auch beantwortet. "Da stand aber nur bla...bla...bla... drin, keine Argumente. Nun kann ich ihm auch auf diesem Wege über die Zeitung noch einmal ausrichten, dass ich unter anderem nichts von Extra-Deutschklassen halte. Jetzt hat er den Schlamassel."

Eine Begründung hat der junge Mann, der die meisten Nachrichten per Radio lukriert, parat: "Ein Kind in unserer Klasse, das nicht Deutsch sprechen konnte, hat bei uns in der Gemeinschaft sehr schnell die Sprache erlernt. Ein anderes Kind, das in eine Extra-Deutschklasse geht, kämpfte mit viel größeren Schwierigkeiten", argumentiert Emil.

Foto: Paul Kranzler

Wem er noch geschrieben hat? "Ich muss zugeben, ich war schon einmal verliebt und habe einen langen Brief mit der Schreibmaschine geschrieben." Und? "Sie hat nicht einmal geantwortet", erzählt der Knabe und stiert mit seinen großen Augen ein Weilchen auf die Decke, ehe er meint, "die Nächste kommt bestimmt", und den letzten Rest Marillensaft trinkt. Noch ein Glas? "Nein, vielen Dank, das ist sehr freundlich, aber ein Glas Leitungswasser tut's auch," sagt er. Was für ein Kerlchen!

Aber zurück zur Politik und deren eigentlichem Kern: "Politik ist spannend und wichtig. Ohne Politik hätten wir keine Datenschutzgrundverordnung, kein Asylrecht und viele andere Gesetze nicht, die wir benötigen. Außerdem geht es in der Politik darum, Sarkasmus von der Realität zu trennen." Öha! Was er unter Sarkasmus versteht, möchte man wissen. "Ich glaube, der STANDARD-Leser weiß schon, was Sarkasmus ist." So viel zum Thema "Wässerchen trüben".

"Kurz gesagt, ich möchte Politiker werden, um die Welt zu einem besseren und sozialeren Ort zu machen", erzählt der Jüngling weiter. Wo er ansetzen würde? "Bei unserer Regierung."

Eine eigene Partei zu gründen erscheint ihm zu kostspielig und aufwendig, auch wenn er bis vor kurzem damit liebäugelte, die RPÖ ins Leben zu rufen, die "Richtige Partei Österreichs". Eh klar. Aus heutiger Sicht kann er sich allerdings eher einen Beitritt zu den Grünen vorstellen. Natürlich weiß er Bescheid, dass es um die Partei nicht zum Besten steht. Aber bis zu seinem 20. Geburtstag ist noch eine Weile hin. Er wird dann doppelt so alt sein wie heute.

Bleibt noch die Frage, wie er sich den 20-jährigen Emil vorstellt. "Das ist schwer zu sagen." Wieso? "Weil ich die Pubertät noch vor mir habe. Ich hoffe, dass ich im Großen und Ganzen so bleibe, wie ich bin." Damit ist er nicht allein. (Michael Hausenblas, RONDO, 8.3.2019)

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