Zu erkennen, was richtig ist und was falsch ist, und sich für das Richtige zu entscheiden ist der Auftrag aller Religionen an ihre Gläubigen. Aber in der Genesis ist es bezeichnenderweise der Verführer, der den Menschen einredet, von den verbotenen Früchten zu essen: "Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: An dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist."

Bekanntlich aßen Eva und Adam von dem Baum – und bekamen umgehend eine Ahnung davon, was gut und was böse ist. Aber eben nicht mehr als eine Ahnung, nicht mehr als eine grobe Richtschnur – Religionslehrer aller Konfessionen sehen sich berufen, da nachzuschärfen, mehr oder weniger intensiv, mehr oder weniger radikal.

Im besten Falle: vergleichend, was und warum in der einen Religion und ihrem Kulturkreis Dinge als richtig, vielleicht sogar als heilig angesehen werden, während andere Religionen andere Maßstäbe und Vorschriften anlegen. Zumindest verstehen sollte man, was Menschen in der Geschichte und bis heute dazu bewegt hat, wegen des Beharrens auf der eigenen Sicht von Richtigkeit andere zu bekämpfen.

Im Großen und Ganzen leistet das der Religionsunterricht jeglicher Konfession, die an österreichischen Schulen Religionsunterricht halten darf.

Verlust an Deutungshoheit

Der Ethikunterricht, der nun nach und nach – 2020 an AHS, 2021 an BHS – eingeführt werden soll, will Ähnliches zustande bringen. Und womöglich mehr: Weil hierzulande vor allem die christliche Religion an Deutungshoheit verloren hat, muss aus einer weltlichen Perspektive vermittelt werden, was einem nichtreligiösen Menschen als gut und richtig zu gelten hat. Vielleicht auch, was selbst dem Atheisten heilig sein sollte, etwa Gewaltfreiheit, wohl auch Demokratie, wahrscheinlich auch Respekt vor denen, die in einer säkularen Welt die Religion hochhalten und sich verpflichtet fühlen, das jedermann unter die Nase zu reiben.

Das ist eine wertvolle – und wie Ethiklehrkräfte versichern: auch sehr fordernde – Aufgabe.

Man kann verstehen, dass selbst durchaus religiös geprägte Menschen fordern, dass es einen solchen gutgemachten Ethikunterricht verpflichtend für alle Schülerinnen und Schüler statt des Religionsunterrichts geben sollte – und nicht nur als Verpflichtung für jene Oberstufenschüler, die sich warum auch immer von der Religion abgemeldet haben.

Die Forderung nach Ethikunterricht statt Religion mag gut gemeint sein, sie übersieht aber zweierlei: Erstens hat es durchaus Sinn, dass junge Menschen durch den Religionsunterricht das Weltbild ihrer Glaubensgemeinschaft vermittelt bekommen und die Welt von einem halbwegs fundierten religiösen Standpunkt aus zu betrachten lernen. Die religiösen Werte sind so wenig allein seligmachend wie die zivilgesellschaftlichen – das zu erkennen, leistet guter Religionsunterricht.

Zweitens geht es eben um die Qualität des Religionsunterrichts: So wie er in Österreich geregelt ist, unterliegt er einer weltlichen Regelung und Kontrolle – fände in der Schule ein reiner Ethikunterricht statt und müssten die Schüler sich ihre religiöse Bildung in den Hinterzimmern von Religionsgemeinschaften oder Sekten holen, fiele genau diese Überwachung weg: Keiner wüsste mehr, was dort als gut oder böse unterrichtet würde. (Conrad Seidl, 5.3.2019)