Die aktuelle Untersuchung lässt darauf schließen, dass vor 30.000 bis 40.000 Jahren nicht unbedingt Umwelteinflüsse die Besiedelung Europas steuerten. Vielmehr folgte die Ausbreitung des Homo sapiens wohl soziokulturellen Mustern. Schlechten Witterungsverhältnissen dürften die frühen Europäer demnach tapfer getrotzt haben.

Foto: Hans Splinter

Köln – Heute leben in Europa etwas mehr als 740 Millionen Menschen, das entspricht rund elf Prozent der gesamten Weltbevölkerung. Den Anfang dagegen machten im frühen Jungpaläolithikum praktisch nur eine Hand voll Vertreter des Homo sapiens: Eine Gruppe von Wissenschaftern hat nun rekonstruiert, wie die Besiedlung Europas durch den anatomisch modernen Menschen verlief. In der Zeit zwischen 42.000 bis etwa 33.000 Jahren vor heute – dem sogenannten Aurignacien – tummelten sich demnach auf dem Subkontinent durchschnittlich nur etwa 1.500 Jäger und Sammler. Auch mögliche Schwankungen, die im Rahmen der Methode ermittelt wurden, lassen nicht viel Spielraum: Die Obergrenze lag bei rund 3.300, die Untergrenze bei rund 800 Personen.

Die Forscher von der Universität zu Köln konzentrieren sich in der Untersuchung auf ein Gebiet, das vom heutigen Nordspanien über Mitteleuropa bis Osteuropa reichte. In diesen Regionen sind die archäologischen Funde besonders gut bekannt. Sie untersuchen, wie viele Menschen auf einmal gelebt haben, wie sie räumlich verteilt waren und welche sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Strategien sie einsetzten, um auch unter Klima- und Umweltstress erfolgreich zu überleben.

Von Kerngebieten über Gruppenanzahlen zur Gesamtbevökerung

Um "Kerngebiete" intensiver und kontinuierlicher Besiedlung zu ermitteln, analysierten die Wissenschafter zunächst die Verteilung archäologischer Fundstellen. Über die Transportwege von Steinmaterial lässt sich auch der Mobilitätsbereich der Jäger und Sammler nachvollziehen. Durch die Identifizierung dieser Kern- und Mobilitätsgebiete können die Forscher die Anzahl der Gruppen von Jägern und Sammlern schätzen. Anhand der durchschnittlichen Gruppengröße ergibt sich schließlich die absolute Anzahl der Menschen, die in den Kerngebieten gelebt haben müssen.

Nur fünf Gebiete in Europa hatten nach diesen Schätzungen überhaupt eine überlebensfähige Population von etwa 150 Personen oder mehr: Nordspanien, Südwestfrankreich, Belgien, Teile Tschechiens und der obere Donauraum. Dass die Zentren dieser lebensfähigen Populationen etwa 400 Kilometer voneinander entfernt waren, ist ein europaweit einheitliches Muster, wie die Forscher im Fachjournal "PlosOne" schreiben.

Saisonal besiedelte Regionen

Zusätzlich konnte eine Reihe von Gebieten mit extrem geringen Bevölkerungszahlen ermittelt werden, die also für sich nicht überlebensfähig gewesen wären. Hier zeigen allerdings Ähnlichkeiten von Schmuckgegenständen sowie Transporte von Steinmaterial wiederholt intensiven Kontakt zu den Kernregionen an. Vermutlich fand hier, in diesen im Schnitt etwa 200 Kilometer entfernt gelegenen Regionen die Besiedlung nur zyklisch während bestimmter Jahreszeiten statt.

Das sich abzeichnende Muster spricht für hochmobile Jäger-Sammler-Gruppen, die regelmäßig Distanzen von 200 Kilometern zurücklegten und zudem an verschiedene Habitate angepasst waren. "Dieses Verhalten des ersten anatomisch modernen Menschen in Europa ermöglichte eine stabile Besiedlung des Subkontinents trotz der extrem geringen Bevölkerungsdichte. Auch wenn wir davon ausgehen, dass regionale Populationen wiederholt ausstarben, so ist dieses System sehr resilient", erklärt Isabell Schmidt, die maßgeblich an der Studie beteiligt war. "Vieles deutet darauf hin, dass die menschliche Besiedlung nicht unbedingt Umwelteinflüssen, sondern soziokulturellen Mustern folgt. Wir gehen davon aus, dass die Jäger und Sammler sehr mobil waren und sich flexibel anpassen konnten." (red, 5.3.2019)