Ramush Haradinaj will die Zölle nicht aufheben.

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Ramush Haradinaj kann man schwer erpressen, denn der kosovarische Premier war schon zweimal vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag – und er würde sich auch ein drittes Mal einem Verfahren stellen. Also beharrt er auf seiner Position. Er will die 100-Prozent-Zölle, die der Kosovo seit November für Waren aus Serbien und Bosnien-Herzegowina einnimmt, nicht aufheben – denn damit kann er verhindern, dass der Dialog mit Serbien über das finale Abkommen beginnen kann.

Haradinaj ist nämlich gegen einen Deal mit Serbien, der zu einer Teilung des Kosovo führen soll. Und die Zölle haben ohnedies vorwiegend symbolischen Charakter, denn die serbischen Waren kommen weiter über Schmuggelwege in den Kosovo. Von einer humanitären Katastrophe, von der die serbische Premierministerin Ana Brnabić redete, ist im Norden des Kosovo weit und breit nichts zu bemerken.

Druck auf Haradinaj

Doch der Druck auf Haradinaj wird immer massiver. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić, für den das Abkommen mit dem Kosovo eine politische Lebensaufgabe ist, kündigte kürzlich an, dass die Serben im Kosovo die dortigen Institutionen verlassen könnten. Diese Drohung ist auf dem Balkan altbekannt – sie wurde auch schon in Bosnien-Herzegowina angewendet. Viele Serben im Norden des Kosovo stehen unter der Kontrolle der Srpska Lista, einer Partei, die von Vučić gesteuert wird. Seit einigen Jahren bereits wird politische Gewalt gegen jene Serben ausgeübt, die sich in den kosovarischen Staat integrieren wollen. Diese Integration wurde eigentlich 2013 mit dem Brüsseler Abkommen zwischen Serbien und dem Kosovo vereinbart.

Doch tatsächlich wurde das Abkommen durch ein kriminelles Netzwerk, das die Bevölkerung terrorisiert, unterlaufen. Seit 2014 wurden nach den Recherchen der serbischen Journalistin Andjela Milivojević 64 Angriffe auf Kosovo-Serben mit Waffen, Granaten, Brandsätzen oder Sprengkörpern verübt.

Brüsseler Abkommen unterminiert

Ziel sind Politiker, Angehörige der Polizei oder der Sicherheitskräfte, Journalisten, Unternehmer, Beamte und prominente Persönlichkeiten, die die Annäherung an die Albaner fördern. Im Vorjahr wurde dann ganz offensichtlich, dass man für den Norden des Kosovo eine andere Lösung als die Integration bevorzugt: den Gebietstausch. Drei Gemeinden sollen zu Serbien kommen, dafür sollen Gemeinden in Südserbien, in denen Albaner leben, dem Kosovo angeschlossen werden. Die geteilte Stadt Mitrovica soll einen Sonderstatus bekommen.

Der Plan wird von der Trump-Regierung – insbesondere dem Nationalen Sicherheitsberater John Bolton – und von einigen EU-Vertretern, etwa der Außenbeauftragten Federica Mogherini und EU-Kommissar Johannes Hahn, unterstützt. US-Vertreter drohen nun sogar damit, die Sicherheitskooperation mit dem Kosovo aufzukündigen oder den Militärstützpunkt Bondsteel aufzulösen, wenn Haradinaj nicht die Zölle aufhebt. Mit der Trump-Administration hat sich also die Kosovo- und Serbien-Politik völlig geändert.

Große Sorge der Serben im Süden

Während der Gebietstausch in Serbien – wo Vučić durchregiert – umsetzbar ist, gibt es im Kosovo Widerstand. Auch viele Serben sind dagegen – vor allem jene, die im Süden leben, denn sie wären durch die neue Grenze von wichtigen Institutionen abgeschnitten, und sie fürchten, dazu getrieben zu werden, ihr Land zu verlassen.

Eine der wenigen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich nicht einschüchtern lassen, ist die NGO Aktiv im Kosovo, die sich um die Anliegen der serbischen Bevölkerungsgruppe kümmert. Miodrag Marinković, der aus der serbischen Enklave Gračanica in der Nähe von Prishtina stammt, fürchtet drastische Konsequenzen für die Serben im Kosovo, sollte der Gebietstausch umgesetzt werden.

Ahtisaari-Plan untergraben

Dies wäre für die serbische Volksgruppe unglaublich gefährlich, meint er. "Die Serben würden den Kosovo verlassen, da sie erkennen würden, dass ihre Rechte nicht mehr akzeptiert werden, weil der Ahtisaari-Plan, der diese Rechte sichert, dann am Ende wäre." Der Ahtisaari-Plan, der die Grundlage für die Unabhängigkeit des Kosovo 2008 darstellte, ist die Basis für die multikulturelle Verfassung des Kosovo, die den Minderheiten weitreichende Sicherheiten bietet.

Marinković fürchtet auch, dass der Hass auf Serben dann wieder aufflammen könnte und Menschen gefährdet würden. "Serben und Albaner sind weit von einer Versöhnung entfernt, was eine Voraussetzung für eine Lösung ist", konstatiert der Mann. Doch allein mit der Idee des Gebietstauschs sei alles, was zuvor erreicht worden sei – etwa Errungenschaften des Brüsseler Abkommens – ruiniert worden, kritisiert er. "Ich mache die EU dafür verantwortlich, da sie diese Diskussion überhaupt zugelassen hat."

Unerklärliche Wende von Mogherini

Tatsächlich hat Mogherini im Vorjahr eine 180-Grad-Wendung vollzogen. Denn der Westen hatte zuvor Grenzen nach ethnischen Kriterien immer ausgeschlossen. "Wenn der Gebietsaustausch umgesetzt wird, wird dies Deutschland und die Werte der EU schwächen", folgert Marinković deshalb. "Die EU hat bereits Einfluss auf dem Balkan verloren." Verwerflich findet er auch, dass die EU Vučićs Dominanz über die Medien und Justiz und seinen autokratischen Regierungsstil toleriere. Die Serben im Kosovo hätten Angst, ihre Stimmen gegen ihn zu erheben, da sie die Sorgen hätten, in der Folge ihren Job zu verlieren. Allerdings gebe es auch Beispiele für mutige Kosovo-Serben, die sich gegen den Gebietstausch ausgesprochen haben.

Einer von ihnen ist zweifellos der Abt des Klosters Visoki Dečani im Westen des Kosovo, Sava Janjić. Das mittelalterliche Kloster umgibt eine weltberühmte Kirche aus dem 14. Jahrhundert mit reichhaltigen Fresken. Es liegt am Rande der Berge, die nach Montenegro reichen. Janjić sieht in dem Gebietstausch "einen Versuch, die alte Idee der ethnischen Säuberung auf dem Balkan aus den 1990er-Jahren an Europa und die USA zu verkaufen". Er fühlt sich an das Treffen zwischen den damaligen serbischen und kroatischen Präsidenten Slobodan Milošević und Franjo Tudjman erinnert, die 1991 Bosnien-Herzegowina "ethnisch" unter sich aufteilen wollten.

Unterstützung des Dialogs

Dabei hat Janjić nichts gegen den Dialog zwischen Belgrad und Prishtina. Die orthodoxe Kirche unterstütze diesen Dialog, um ein Klima für eine Lösung und Versöhnung zu schaffen, betont er. "Aber wir sind gegen die Teilung des Kosovo. Denn diese Teilung könnte dazu führen, dass unsere Spuren und Institutionen im Süden des Kosovo völlig verschwinden. Dies würde sehr wahrscheinlich zu einem Exodus der Serben führen, und unsere Kirchen und Klöster sind gefährdet", warnt er eindringlich.

Mehr als die Hälfte der Serben im Kosovo leben im Süden. "Wenn es eine Teilung des Kosovo gibt, werden diese verbleibenden Serben dem Untergang geweiht sein", sagt der gebildete Mönch in sorgenvollem Ausdruck. Der Abt warnt auch vor einer Reaktionskette in Europa. Denn der Gebietstausch würde diejenigen Kräfte in Europa unterstützen, die ethisch homogene Regionen als Nationalstaaten schaffen möchten. "Das würde das Ende der Europäischen Union bedeuten. Diejenigen, die die Teilung des Kosovo unterstützen, wollen die EU zerstören", resümiert er.

Wenig KFOR-Soldaten im Kosovo

Janjić kritisiert auch die Rolle von Mogherini, die es zugelassen habe, überhaupt über Territorien zu sprechen, anstatt auf der Umsetzung des Brüsseler Abkommens und des Ahtisaari-Plans zu bestehen. Die Folgen seien jetzt schon zu sehen. "Die Rückkehr der Serben in den Kosovo wurde gestoppt, und diejenigen, die Häuser bauen wollen, haben nun ihre Pläne infrage gestellt. Die Koffer stehen schon bereit, um den Kosovo im Falle eines Gebietstauschs zu verlassen", beschreibt er die Ängste der serbischen Minderheit. Er hat zudem Bedenken, dass Nato-geführte KFOR-Truppen nicht stark genug sein könnten, um die Gewalt von Radikalen zu stoppen, falls Vorfälle im gesamten Kosovo passieren. Denn nur wenige Tausend KFOR-Soldaten sind im Kosovo geblieben.

Die serbische Gemeinschaft im Kosovo bräuchte unabhängig vom endgültigen Status einen zusätzlichen Schutz, beispielsweise einen verbesserten Ahtisaari-Plan, da im Kosovo keine institutionelle Demokratie herrsche, sagt Janjić. "Wir brauchen einen transparenten Prozess, die Umsetzung bestehender Gesetze und internationale Garanten. Die territoriale Aufteilung würde alles durcheinanderbringen." (Adelheid Wölfl, 6.3.2019)