Einstein-Experte Hanoch Gutfreund sagt: "Er hat ganze Seiten mit mathematischen Kalkulationen mit sehr wenig Text gefüllt."
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Jerusalem – "Die ganzen 50 Jahre bewusster Grübelei haben mich der Antwort der Frage 'Was sind Lichtquanten' nicht näher gebracht. Heute glaubt zwar jeder Lump, er wisse es, aber er täuscht sich", schrieb Albert Einstein 1951 aus Princeton im US-Staat New Jersey an seinen engen Freund Michele Besso, einen schweizerisch-italienischen Ingenieur.

Wie es sich für einen Wissenschafter geziemt, hinterfragte sich der große Physiker trotz seiner Erfolge auch noch wenige Jahre vor seinem Tod selbst: Das legen Manuskripte nahe, die am Mittwoch von der Hebräischen Universität in Jerusalem vorgestellt wurden. Der Brief an Besso zählt ebenso dazu wie viele andere Dokumente, ein Großteil des Materials ist nun erstmals der Forschung zugänglich. Dazu gehören weitere 109 handschriftliche Seiten: 84 Manuskriptseiten, mathematische Herleitungen, aber auch vier Briefe an Besso und einer an Einsteins Sohn Hans Albert.

Entstehungszeiten und Kontext in vielen Fällen noch unbekannt

Hanoch Gutfreund, Direktor der Albert-Einstein-Archive an der Jerusalemer Universität, verweist auf die Arbeitsweise des Forschers, der am 14. März 1879 in Ulm geboren wurde und 1921 den Nobelpreis für Physik erhielt. "Er hat ganze Seiten mit mathematischen Kalkulationen mit sehr wenig Text gefüllt", sagte der Physiker. "Die waren entweder Vorbereitungen auf überwältigende Artikel oder Zusammenfassungen von Ideen, wenn er damit rang, die einheitliche Feldtheorie zu formulieren."

In der einheitlichen Feldtheorie sei es Einstein darum gegangen, seine Theorie der Gravitation mit dem Elektromagnetismus in einen theoretischen Rahmen zu setzen, sagte Gutfreund. Unklar sei noch das genaue Entstehungsdatum vieler Seiten und ihr Kontext.

Zudem liegt nun eine fehlende Seite eines Anhangs zu einem wissenschaftlichen Artikel aus dem Jahr 1930 vor, wie Gutfreund sagt. Dabei ging es ebenfalls um die einheitliche Feldtheorie. Daran habe Einstein 20 Jahre seines Lebens gearbeitet. Einstein hatte den Artikel demnach bei der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin eingereicht.

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Ein wiedergewonnenes Stück Wissenschaftsgeschichte: ein Blatt aus einem Appendix zur einheitlichen Feldtheorie.
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Das Einstein-Archiv hat die Dokumente nach eigenen Angaben von der Crown-Goodman-Familienstiftung aus Chicago erhalten. Diese wiederum habe das Material von einem privaten Sammler in den USA gekauft. Das Einstein-Archiv verfügte Gutfreund zufolge bereits über große Teile der Dokumente – allerdings nicht im Original. Entscheidend bei der Untersuchung des Materials sei nun beispielsweise auch die verwendete Tinte und das Papier.

Auch Tilman Sauer, Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Universität Mainz, datiert den Großteil der Seiten auf die Zeit Einsteins in Princeton – 1944 bis 1948. In dem Zeitraum publizierte er drei Arbeiten mit seinem Assistenten Ernst Gabor Straus. "Es gibt einzelne Seiten, auf denen vermutlich auch die Handschrift von Ernst Gabor Straus zu sehen ist", sagte der Einstein-Experte, der sich das Material bereits vor Jahren angeschaut hat. Und: "Es gibt Rechnungen zu gemeinsamen Publikationen." Einstein und Straus schrieben beispielsweise einen Aufsatz über eine spezifische Frage zu Schwarzen Löchern im Universum.

Politische Aspekte

In dem Brief Einsteins an seinen Sohn Hans Albert aus dem Jahr 1935 äußerte der Physiker seine Sorge über die Situation unter den Nationalsozialisten auch in der Schweiz, wo Hans Albert damals lebte. "Aber das übrige Europa fängt nun an, die Sache endlich ernst zu nehmen, insbesondere die Engländer", schreibt Einstein. "Wenn sie vor eineinhalb Jahren tüchtig dreingefahren wären, wäre es besser und leichter gewesen."

Einstein musste als Jude vor den Nazis in die USA fliehen. Er hatte in den Jahren nach der Staatsgründung Israels 1948 ein Angebot abgelehnt, Staatspräsident zu werden. Allerdings vermachte der Nobelpreisträger, der 1955 in Princeton starb, seinen Nachlass, Briefe, Manuskripte und Tagebücher der Hebräischen Universität in Jerusalem. (APA, red, 6. 3. 2019)