Platz für jeden? Studiernde der Kunsthochschule Kassel auf der letzten Documenta.

Foto: imago/Rüdiger Wölk

Eine Arbeit von Philipp Timischl in der Schau "Über das Neue". Der Künstler hat Flachbildschirmen erschrockene und traurige Grsichter aus Stoff übergezogen. Hie und da tragen sie Pflaster.

Foto: Belvedere, Wien

Die Koje des Offspaces Bar du Bois in der Sxchau "Über das Neue".

Foto: Belvedere, Wien

Bilder aus Jute und Vasen aus Karton und Lehm von Birke Gorm in der Schau "Über das Neue".

Foto: Belvedere, Wien

Werke von Lukas Posch (links hinten) und Angelika Loderer in der Schau "Über das Neue".

Foto: Belvedere, Wien

"Über das Neue" zeigt im
Belvedere 21 junge Kunst

Dann legt doch einfach mal das Internet weg, wenn es euch so belastet, möchte man vielen hier sagen. Digitale Traurigkeit hat Wiens junge Künstlergeneration befallen. Zum Beispiel: Nana Mandl nennt sich selbst eine Angehörige der "Generation Remix". Sie fertigt wandfüllende Collagen aus Bildern, die sie im Internet gefunden hat, und aus mitunter kitschigen Kunsthandwerksobjekten. Sie will die verschiedenen Funktionen, in denen Bilder uns begegnen, befragen.

Denn das Internet ist immer und überall und müllt unsere Smartphonebildschirme unentwegt mit visuellen Eindrücken zu. Lukas Posch malt daher auf halb verspiegeltem Glas, das vom Format her an ausgeschaltete Flachbildschirme erinnert, überreizte Nerven. Sie tragen weiße Verbände.

Im Belvedere 21 ist derzeit junge Wiener Kunst zu sehen. Über das Neue heißt die Ausstellung. Unter dem Titel Junge Szene fand die Leistungsschau der nachwachsenden Generation bis 2010 in der Secession statt, als Lebt und arbeitet in Wien bis 2015 in der Kunsthalle. Dann war Schluss.

Leistungsschau junger Künstler

Zwölf Frauen und sechs Männer unter 35 haben die Kuratoren aus dem dank zweier Kunstuniversitäten üppigen Angebot lokaler Nachwuchskünstler gepickt. Sie erheben nicht den Anspruch eines repräsentativen Überblicks, stellen sie gleich einmal klar. Es soll kein dominierender Stil festgelegt, keine Wiener Schule geprägt werden. Gezeigt werden Einzelpositionen.

Wollte man diese irgendwie auf einen Nenner bringen, könnte man überspitzt sagen, es wird darin viel problematisiert. Neben dem Feindbild Bildschirm werden soziale Kälte, die Abschottungspolitik der EU und der USA oder etwa der männliche Blick auf Frauen thematisiert. Bei Lucia Elena Průša dienen Stangen an der Wand als Symbol für gesellschaftliche Normierung. Anna-Sophie Berger hat die Schachteln eines massenproduzierten Klopapiers und einer gewerkschaftlich organisierten Erdbeerfarm kapitalismuskritisch zusammengeklebt.

Keine gewagten Behauptungen

Man darf natürlich gegen all das sein. Muss man vielleicht sogar. Wo bleiben aber kraftstrotzende Gesten und wilde Behauptungen? Sollte man nicht gerade von Digital Natives auch positive Strategien im Umgang mit dem Internet erwarten können? Man wünscht sich nichts sehnlicher, als dass diese jungen Künstler sich freimachen von all dem Ballast.

Lust spürt man bei den gezeigten Arbeiten vor allem am Material und Handwerk. Sasha Auerbakh näht Leinwände zu Faltenbildern. Angelika Loderer gießt Maulwurfslöcher aus und macht daraus sich wie knorrige Äste räkelnde Aluskulpturen. Oder sie schichtet Gusssand, der sonst nur als Hilfsmittel beim Metallgießen fungiert, zu eigenständigen und waghalsigen Volumen. Birke Gorm knüpft mit Jute Bilder, die auf Internettutorials basieren – zum Knopfannähen oder dazu, wie man bessere Reden hält.

Weil der Trend in der Ernährung zurück zur Natur geht und aus Softdrinks Bionaden werden, bauen sich andere junge Künstler von heute ihre Farben wieder selbst. Ob das progressiv ist, wird die Zeit zeigen. Jedenfalls ist es eine herrliche Abwechslung zu all der Internetkritik.

Wohin des Weges?

Den derzeit etwa 60 Wiener Offspaces wird mit drei Kojen Rechnung getragen. Sie werden während der Schau von zwölf wechselnden Offspaces bespielt. Wer sich einen Blick in Strukturen und hinter die Kulissen der Szene erwartet, wird bis auf ein paar Partyfotos zumindest in dieser ersten Runde enttäuscht.

Man hat schnell begriffen, wofür hier Position ergriffen wird. An wirklichen Visionen mangelt es allerdings. Wohin diese junge Wiener Generation will, spürt man in Über das Neue noch nicht.

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"Haben und Brauchen" nimmt im Künstlerhaus
den Kunststandort Wien unter die Lupe

Wien bildet an zwei international renommierten Kunst-Unis viele Künstler aus – bringt das auch Verantwortung mit sich? Welche Arbeitsbedingungen brauchen Künstler, und welche finden sie in dieser Stadt vor? Was zeichnet Wien als Arbeitsmittelpunkt aus? Sind Wiener Institutionen durchlässig genug? Wie international und divers ist Wiens Künstlerszene?

Mit dem Projekt "Haben und Brauchen in Wien" stellt das Künstlerhaus ab sofort diese Fragen. Dessen neuer künstlerische Leiter Tim Voss hat dazu 60 künstlerische und gesellschaftspolitisch engagierte Wiener Initiativen eingeladen, in Ausstellungen und Performances, Kochshows, Workshops, Konzerten und Symposien Antworten zu finden und ihre Anliegen an die Kulturpolitik zu formulieren.

Wir haben fünf junge Künstlerinnen und Künstler nach ihren Erfahrungen gefragt:

"Als Künstler ist man das günstigste Marketingtool"

"2013 bin ich mit meinem Malereistudium an der Angewandten fertig geworden. Die ersten Jahre danach waren schwierig, also gründete ich meinen eigenen Offspace. Nebenbei habe ich eine leerstehende Holzkirche am Stadtrand gefunden, die habe ich besetzt und daraus die Notgalerie gemacht. Die erste Ausstellung habe ich mit 250 Euro finanziert, die ich von der Mindestsicherung abgespart habe. Als Arbeitsort ist Wien für mich interessant, weil es in der Peripherie noch viele Gstätten gibt, wo man so etwas machen kann. Mittlerweile wird das Projekt als Kunst im öffentlichen Raum gefördert. Seit 2017 steht die Notgalerie in der Seestadt, wo sie auch eine Art Werbung für das Stadtentwicklungsgebiet ist. Als Künstler ist man immer noch das günstigste Marketingtool. Ohne das Staatsstipendium könnte ich heuer nicht von der Kunst leben." Reinhold Zisser (38)

Foto: Privat

"Ich empfinde die Szene nicht als international"

"Fürs Internationale fahre ich woanders hin", das höre ich immer wieder. Österreich ist schnell verlassen. Es gibt relativ viele und schöne Möglichkeiten, eine Zeitlang in einem anderen Land zu arbeiten, und diese werden gut genützt. Umgekehrt bekomme ich innerhalb Österreichs wenig von Künstlern aus dem Ausland mit, woran auch immer das liegt. Ich empfinde die Kunstszene in Wien nicht als international und als eher träge, dadurch ist sie zum Teil auch etwas langweilig. Quantitativ mangelt es aber weder an Ausstellungen noch an Künstlerinnen, dafür könnten in manchen Bereichen weniger, aber besser vorbereitete Ausstellungen der Qualität und Entwicklung von Kunst (und kuratorischer Tätigkeit) guttun. Wenn Besucherzahlen und Zeilen im Lebenslauf für Förderungen zählen, beißt sich aber die Katze in den Schwanz. Lea Titz (37)

Foto: L. S.

"Ich kenne keine Initiative, die von Bürgern ausgeht"

Als Künstlerin empfinde ich Wien als Schlaraffenland, in dem man ab und zu nicht weiß, wie man die Miete zahlen soll. Die hiesige Szene wird von einem breiten Angebot an Offspaces, Publikationen, Vortragsreihen und Institutionen gestaltet – dazu trägt neben dem spendablen Einsatz der Künstlerinnen auch ein einzigartiges Netz an staatlichen Förderungen und Stipendien bei. Anders als in Deutschland kenne ich jedoch keine Initiative, die von kunstinteressierten Bürgerinnen ausgeht. Dabei würden Bürger solche Orte mehr als ihre Orte begreifen, an denen man Kunst auf einer gleichberechtigteren Ebene begegnet als in einer Institution. So aber bleibt die Kunstszene mehr unter sich und damit abhängig von staatlichen Förderungen. Einige junge Galerien haben zuletzt Räumlichkeiten eröffnet. Das belebt die Szene. Kirsten Borchert (32)

Foto: Ela Angerer

"Bei Bundesförderungen wird eingespart"

Es ist schwer, als junger Künstler an ein bezahlbares Atelier zu kommen. Ich habe nach meinem Abschluss an der Akademie der bildenden Künste voriges Jahr eines ohne Heizung für 200 Euro im Monat gefunden. Das ist eine sehr günstige Variante. Wenn man mehr zahlt, muss man mehr im Brotjob arbeiten, und das geht wiederum auf Kosten der Zeit im Atelier. Ein Teufelskreis. Es ist als junger Künstler sowieso schwer, in den Verkauf zu starten und Sammler zu finden. Wenn man dann mal verkauft, wäre es hilfreich, wenn Freibeträge für Einkünfte höher angesetzt wären. Das Steuersystem ist generell nicht einfach zu durchschauen. In letzter Zeit wird bei Bundesförderungen eingespart, bekomme ich bei Bekannten mit. Kunst bewegt sich im gesellschaftspolitischen Bereich, das wird in Wien aber oft weniger wahrgenommen. Christian Murzek (32)

Foto: Lisa Schrötter

"Sexismus erlebt man immer wieder"

Offspaces stellen für junge Künstlerinnen und Künstler eine Bühne dar. Dort wird mit wenigen Mitteln ein vielfältiges Programm kuratiert. Junge Kunst in großen Institutionen sieht man dagegen weniger. Vielleicht ist das zu viel Risiko? Oder nicht lukrativ? Es gibt hierzulande viele Förderungen, aber leider wenige längerfristige. Wünschenswert wäre auch ein Recht auf Honorare. Das System ist prinzipiell patriarchal und kolonial geprägt und arbeitet mit etablierten Parametern, die unter anderem nicht feministisch sind. Sexismus erlebt man als Frau im Wiener Kunstbetrieb immer wieder. Der Grad variiert vom Blick auf den Busen über die Hand am Oberschenkel bis zu Aussagen wie "Du machst nur Frauenthemen". Wer glaubt, dass alles wunderbar läuft, macht sich etwas vor. Nora Jacobs (35) und Veronika Burger (37) bilden mit Nicole Sabella (42) das Projekt "Heathers".

Foto: Heathers

(Michael Wurmitzer, 7.3.2019)