Die Analyse von über 140 menschlichen Überresten in einem Massengrab der Chimú-Kultur lässt darauf schließen, dass Kinder zwischen fünf und 14 Jahren im Rahmen eines Rituals geopfert wurden.
Foto: John Verano

Wenn es um Menschenopfer im präkolumbischen Amerika geht, tauchen an erster Stelle stets die Azteken auf. Tatsächlich lassen zahlreiche sowohl archäologische wie schriftliche Zeugnisse darauf schließen, dass diese mesoamerikanische Kultur zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert religiösen Vorstellungen verhaftet war, die es offenbar notwendig machten, die Angehörigen eroberter Völker ebenso wie Sklaven und sogar zahlreiche Kinder zu Ehren ihrer Götter zu töten.

Weitverbreitete Praxis

Derartige Praktiken beschränkten sich in der Neuen Welt freilich nicht allein auf dieses eine Volk. Auch die Maya, die Inka oder die Moche an der Nordküste Perus dürften nach bisherigen Erkenntnissen während klimatisch problematischer Phasen wie Dürren oder im Verlauf von Hungersnöten Menschenopfer in der Hoffnung dargebracht haben, ihre Götter zu besänftigen.

Dass diese grausame Tradition über Jahrhunderte und kulturelle Grenzen hinweg fortgeführt worden ist, belegen Erkenntnisse über die Chimú-Kultur, die im Norden Perus im 13. Jahrhundert die Nachfolge der Moche angetreten hat. Die Chimú dominierten bis ins 15. Jahrhundert die Küstenregionen rund um die heutige Stadt Trujillo, ehe sie von den Inka im Jahr 1470 unterworfen und ihrem Reich einverleibt wurden.

Dem trockenen Klima in der Region an der Pazifikküste Perus ist es zu verdanken, dass die menschlichen Überreste großteils in gutem Zustand erhalten blieben.
Foto: John Verano

Belege für die Praxis von Menschenopferungen der Chimú in bisher ungeahntem Ausmaß fand ein internationales Team um den Archäologen Gabriel Prieto von der Nationalen Universität in Trujillo. Die Forscher legten 2011 eine Begräbnisstätte frei, die die Überreste von mehr als 140 Kindern und rund 200 Lamas enthielt. Die nun im Fachjournal "Plos One" veröffentlichten Untersuchungsergebnisse lassen darauf schließen, dass die Toten im Alter zwischen fünf und 14 Jahren vor etwa 550 Jahren rituell getötet worden sind. Damit dürfte es sich um die bislang umfangreichste bekannte Opferung von Kindern in der Neuen Welt handeln.

Das Massengrab von Huanchaquito-Las Llamas liegt etwa drei Kilometer nördlich von Chan Chan, der Hauptstadt der Chimú. Zur ihrer Blütezeit zeichnete sich diese vermutlich größte Stadt ihrer Zeit auf dem südamerikanischen Kontinent durch beeindruckende Paläste und Verwaltungsgebäude aus. Die Metropole mit bis zu 60.000 Einwohnern enthielt zahlreiche Tempel, Gärten, Plätze und Friedhöfe, die durch ein ausgeklügeltes Straßennetz verbunden waren.

Besänftigung der Wettergötter

Dass die Toten in dem Massengrab bei Chan Chan keines natürlichen Todes gestorben waren, ergaben die Analysen der Überreste: Auffallend einheitliche Schnittspuren im Bereich der Rippen und der Brustbeine weisen darauf hin, dass den Kindern und den Lamas die Brust aufgeschnitten wurde. "Den Grund dafür können wir nur vermuten, aber es liegt nahe, dass den Kindern das Herz herausgenommen wurde", sagt Prieto.

Warum damals derartig viele Kinder auf einmal geopfert wurden, könnte die dicke Schlammschicht über dem Massengrab beantworten. "Diese Schicht sowie im Schlamm erhaltene Fußspuren deuten darauf hin, dass die Opferung kurz nach einem starken Regen und einer Überschwemmung stattfand", meint das Team um Prieto. Nach Ansicht der Wissenschafter erscheint es daher plausibel, dass die Opferungen der Kinder die Götter der Chimú besänftigen sollten, um eine für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Naturkatastrophe zu beenden. (Thomas Bergmayr, 7.3.2019)