Sie war die Frau meiner Träume. Ich fand sie großartig, genau so, wie sie war. Die Wespentaille, die in Kunststoff gegossenen 90-60-90, die elendslangen Beine, die blonden Haare, das ganze Paket. Zu gern hätte ich mich täglich um Barbie gekümmert, ihr Haar gebürstet und sie an- und ausgezogen: montags Prinzessinnentüll und Krönchen, dienstags Jeansoverall, am Mittwoch Minishorts mit Klettverschluss. Meine Fantasie kannte keine Grenzen.

Das Problem an der Sache: Meine Mutter ließ die perfekt geschminkte Frau einfach nicht ins Haus. Noch schlimmer: Sie fand die Puppe un-mög-lich! Es waren die 1980er-Jahre, und die Barbie mit ihren Brüsten galt meinen Eltern als sexistischer Satansbraten, als plastikgewordene Männerfantasie, als aufgetunter Eindringling im Kinderzimmer. Nur: Das war mir damals nicht klar, ich fand sie hinreißend. Wenn ich wieder einmal bettelte ("nur eine, ich entwerfe ihre Kleider dann auch selbst" ), hieß es: "Die ist nichts für dich." Die Begründung blieb man mir schuldig. Ich verstand die Welt nicht mehr. Warum hatten alle anderen eine?

Mattel

Auf Diskussionen ließen sich die Eltern nicht ein. Auch Jahre später gab es keine, nicht die "Magic Moves Barbie" mit den blauen Lidschatten, aber auch nicht die emanzipierte Astronautin oder Ärztin. Für die Eltern waren alle Barbies gleich. Ich durfte die Freundinnen weiterhin um die schöne weiße Frau, ihre Pferde, das Barbiehaus und die fingernagelgroßen High-Heels beneiden.

Plötzlich aber geschah ein kleines Wunder. Der Onkel aus Hamburg stand vor der Tür. Er hatte ein Geschenk dabei. Es war schmal und länglich, schon beim Auspacken ahnte ich, dass das ein besonderes Mitbringsel war. Ich sollte mich nicht getäuscht haben. Der Besuch hatte zwar keine Barbie mitgebracht, aber meinen Geschmack nahezu getroffen. Die Frau in der Verpackung war nicht ganz so schön wie ihre Schwester Barbie, eine gewisse Ähnlichkeit war aber offensichtlich.

Auch Petra war schlank, hatte langes Haar, eine ordentliche Brust, und man konnte sie an- und ausziehen. Endlich zog Glamour in mein Kinderzimmer ein. Das Hochgefühl sollte nicht ewig andauern. Als ich Petra am nächsten Morgen anziehen wollte, war sie verschwunden. Das Kinderzimmer wurde auf den Kopf gestellt, "Mamaaa, wo ist sie?", sie war wie vom Erdboden verschwunden. Großes Gebrüll, es flossen Tränen.

Frau aus Plastik

Irgendwann kam raus: Meine Mutter hatte es nur gut gemeint. Die Frau aus Plastik mit den verzerrten Gliedmaßen, deren einzige Aufgabe es war, das Barbiehaus zu hüten, wäre einfach kein Vorbild gewesen. Nicht auszudenken, wenn ich nach stundenlangen Anziehspielen plötzlich hätte Prinzessin sein wollen. Mit verlängerten Wimpern und frei stehenden Silikonbrüsten, Lebensinhalt Nagellack, Mode, Diäten – und immer auf der Suche nach Ken. Meine Eltern hätten sich denken können, dass das Barbie-Verbot nach hinten losgehen würde. Nicht dass die Tochter plötzlich auf Silikonbrüste sparte. Oder Pink zur Lieblingsfarbe erklärt hätte. Aber ich war begeistert von allem, was dem Alltag einen Anstrich von Glamour verlieh.

Das Barbie-Trauma war dann aber schneller überwunden als gedacht. Ich verlor die schöne Frau einfach aus den Augen. Beinahe wäre mir entgangen, dass sie plötzlich anders aussah. Die Barbie wechselte nicht mehr nur die Hautfarbe und von einem Beruf in den anderen, sondern auch die Körpermaße.

Barbie kann heute selbstverständlich mehr als Prinzessin spielen ...
Mattel

Kritik am Körperideal

Diese Kehrtwende geschah so freiwillig nicht. Der US-Produzent Mattel musste auf die massive Kritik am verqueren Körperideal von Barbie reagieren, es äußerten ja nicht nur meine Eltern Bedenken. Das dünne Original, 1959 gemäß dem Vorbild der deutschen Bild-Lilli modelliert, war spätestens in den Nullerjahren out. Wenn man so will, war meine Mutter dem Zeitgeist in den 1980er-Jahren eine Nasenlänge voraus. Aber ob sie der neuen Generation Barbie heute grünes Licht geben würde? Sie hätte eine ordentliche Auswahl an alternativen Barbies.

2016 wurde dem Plus-Size-Model Ashley Graham ein in Plastik gegossenes Ebenbild gewidmet (nur an der Cellulite scheiterte man, angeblich aus technischen Gründen). Danach kamen Diversity-Barbies auf den Markt (ein erster Versuch war 2003 gescheitert). Zum 60. Geburtstag wird jetzt unter dem Hashtag #MoreRoleModels eine Spezialedition beworben: Die japanische Tennisspielerin Naomi Osaka gibt es nun genauso die britische Model-Aktivistin Adwoa Aboah auch fürs Kinderzimmer.

Vorbei die Zeiten der pinken Prinzessin, heute soll die Puppe selbstbestimmte Botschaften vermitteln. Das fühlt sich nach einem verzweifelten Marketingfeldzug des US-Unternehmens an: Die Barbie hechelt dem Zeitgeist hinterher, sie will einfach alles richtig machen.

... seit einiger Zeit versucht man sich mit "diversen" Barbie-Modellen (wie hier der Sonderedition zum 60. Geburtstag) bei Mattel in einer Image-Korrektur.
Foto: Mattel

Noch dazu schaffte das Bemühen, mit den neuen Modellen nicht als gestrig dazustehen, neue Probleme. Die Diversity-Barbie entpuppte sich als Ladenhüter. Mattel muss bereits seit einiger Zeit Einbußen hinnehmen, der Umsatz des Unternehmens sank 2018 um über fünf Prozent auf 1,5 Milliarden Dollar. Die Barbie-Verkäufe zogen zwar Ende des vergangenen Jahres wieder an, doch die freche Konkurrenz macht es Mattel schwer. Heute faszinieren andere Puppen, "diverse" Mädchencliquen wie die frechen Bratz Dolls zum Beispiel. Die hypersexualisierten Puppen mit den großen Köpfen sind seit 2001 die größte Konkurrenz der wohlerzogenen, fast antiseptischen Barbie.

Noch dazu sieht man der Barbie die Anstrengung beim Ringen um politische Korrektheit förmlich an. Geblieben sind bis heute das starre Lächeln, der gerade Rücken und der Plastikkörper. Wahrscheinlich schlummert in ihr immer noch eine Prinzessin. Nur der Zauber von damals, der ist irgendwie dahin. (Anne Feldkamp, 9.3.2019)