Die Frauen von Neshot Hakotel beten mit eigenen Thora-Rollen. Am Freitag, dem Weltfrauentag, beging die Gruppe den 30. Jahrestag ihres monatlichen Gebetsdienstes an der Klagemauer.

Foto: AFP / Gali Tibbon

Keine 48 Stunden waren seit dem Beginn der Kampagne vergangen, da hatten Männer mit langen Mänteln und schwarzen Hüten sämtliche Poster mit dem Gesicht von Rachel Azaria von Jerusalemer Bussen gerissen. Azaria kandidierte im vergangenen Sommer – letztlich erfolglos – für das Bürgermeisteramt, die Poster waren Teil ihrer Wahlwerbung. Für einige Ultraorthodoxe brach sie damit ein Tabu: Abbildungen von Frauen in der Öffentlichkeit verstoßen gegen ihre strengen Züchtigkeitsregeln.

Diese Woche – pünktlich zum Weltfrauentag – ist Azaria gemeinsam mit anderen Feministinnen in 50 Busse nach Jerusalem zurückgekehrt. Darunter befindet sich auch die ehemalige Ministerin Limor Livnat sowie Eliana Barbel, die vor einiger Zeit dagegen protestierte, dass Frauen am Baden an öffentlichen Quellen gehindert werden.

Der Traum der Frauen

"Ich habe einen Traum" steht nun neben den Bildern auf den Bussen, gefolgt von "dass Frauen genauso viel verdienen wie Männer", "dass sich jede Frau in der Öffentlichkeit sicher fühlt", "dass sexuelle Gewalt nicht toleriert wird" oder "dass Mädchen wissen, dass ihnen jeder Job offensteht".

"Je mehr Plakate mit Frauen aufgehängt werden, desto weniger exotisch und überraschend sind sie", erklärt Azaria das Ziel der Kampagne. Diese ist das Resultat einer Einigung mit der Werbefirma Cnaan, die sich 2018 weigerte, die zerstörten Plakate durch neue zu ersetzen. Zwecklos, meinte die Firma damals.

Azaria zog vor Gericht, einigte sich dann aber außergerichtlich auf diese neue Kampagne. Unterstützt wird sie von verschiedenen Frauenorganisationen. Zwei Wochen sollen die Busse mit den Plakaten nun durch Jerusalem fahren – außer durch ultraorthodoxe Viertel, die gemieden werden.

Ikea-Katalog ohne Frauen

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Frauen in Israel dagegen wehren, auf Druck besonders extremer Ultraorthodoxer aus der Öffentlichkeit verbannt zu werden. Erst Ende Februar hat die modern-orthodoxe Hannah Katsman zusammen mit dem Israel Religious Action Center Klage in der Höhe von rund 3,5 Millionen Euro gegen Ikea Israel eingereicht, weil das Unternehmen vor zwei Jahren einen Katalog ohne Bilder von Frauen an Haushalte verteilte. Nur Männer und Kinder waren in dem speziell für Ultraorthodoxe produzierten Heft zu sehen. Damals wurde der Katalog nach zahlreichen Beschwerden wieder eingestellt, ein Katalog ganz ohne Bilder mit Menschen folgte.

Und die Politikerin Zipi Livni machte vor einigen Wochen ihrem Frust in sozialen Netzwerken Luft, als man ihr Abbild in der religiösen Stadt Bnei Brak von einem politischen Werbeplakat entfernte. Ihre männlichen Kollegen wurden weiterhin gezeigt. In einem Video vor dem Poster sagte sie: "Ihr wisst, es geht nicht um mein Gesicht, das sie verbannen, sondern um die Gesichter von euch, Frauen von Israel – mehr als 50 Prozent der Bevölkerung."

Auch Rachel Azaria hat bereits vor zehn Jahren Erfahrungen im Kampf um Fotos in der Öffentlichkeit gemacht. Damals kandidierte sie für einen Sitz im Jerusalemer Stadtrat und wollte erstmals Plakate auf Busse kleben lassen. Die Werbefirma lehnte ab: Zu viel Ärger mit den Ultraorthodoxen, die Busse könnten beschädigt werden, hieß es. Vor dem Obersten Gerichtshof erstritt Azaria rechtzeitig vor der Wahl eine Verfügung, dass die Plakate aufgeklebt werden dürfen. Azaria, die es damals in den Stadtrat schaffte, ist überzeugt, dass die Frauen in Israel Fortschritte machen: "Aber es ist nicht einfach. Wenn du die Welt verändern willst, musst du kämpfen."

Proteste an der Klagemauer

Wie weit der Weg noch ist, belegt ein Vorfall am Freitag an der Klagemauer in Jerusalem. Tausend ultraorthodoxe Juden protestierten gegen die Gebete von Frauen der Gruppe Neshot Hakotel (Frauen der Mauer). Die kämpft seit Jahrzehnten darum, wie Männer an der Klagemauer beten zu dürfen. Laut Polizei sei es lediglich zu "Spannungen" gekommen, man habe die Gruppen getrennt. Neshot Hakotel hingegen berichtete von gewaltsamen Übergriffen und zwei verletzten Frauen.

Die Zeitung Haaretz schreibt, hunderte strengreligiöse Juden hätten versucht, Polizeibarrikaden zu durchbrechen, und später Unterstützer von Neshot Hakotel bespuckt und attackiert. Bereits am Morgen, so das Blatt, waren tausende strengreligiöser Schülerinnen, nachdem sie von ihren Rabbinern dazu aufgefordert wurden, zur Klagemauer gekommen, um den Platz zu besetzen und die Gebete der Frauen zu verhindern. (Lissy Kaufmann aus Tel Aviv, 9.3.2019)