Der "Nullzins-Draghi" hat wieder zugeschlagen, "heute ist ein schwarzer Tag für Sparer". Im Vergleich zur Wortwahl manch anderer deutscher Politiker und Ökonomen, die Draghi schon als "Brandstifter" bezeichnet hatten, urteilte die Bild-Zeitung diese Woche richtig mild über die Europäische Zentralbank (EZB).

Die EZB unter ihrem Chef Mario Draghi hat sich am Donnerstag dazu entschlossen, die Geldschleusen etwas weiter zu öffnen. Die EZB wird europäischen Banken Milliardenkredite für zwei Jahren anbieten. Der Zinssatz dafür liegt vorerst bei null Prozent. Die Ankündigung und die Kritik am Nullzinskurs ist Anlass, um einige Mythen rund um die Geldpolitik zu beleuchten.

1. Die Sparer werden enteignet

Besonders in Deutschland, aber auch in Österreich ist immer wieder zu hören, dass die EZB "Sparer enteignet". Das ist auf mehreren Ebenen falsch. Zunächst kann nur jemand enteignet werden, dem etwas gehört. "Das vorrangige Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken (...) ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten", heißt es im EU-Grundvertrag. Ein festgeschriebenes Recht auf Sparzinsen gibt es nicht.

Die EZB hat die Aufgabe, die Inflation nahe an die Zwei-Prozent-Marke heranzuführen oder dort zu halten, so hat sie für sich Preisstabilität definiert. Um das zu erreichen, muss die EZB darauf achten, welche Effekte ihre Geldpolitik auf die gesamte Volkswirtschaft und auf alle Akteure entfaltet, sagt Martin Ertl, Chefökonom bei der Uniqa-Versicherung in Wien.

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EZB-Chef Mario Draghi.
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Die EZB kann also gar nicht nur auf Sparer achten, so sie ihr gesetzliches Mandat erfüllen will. Die EZB hält den Leitzins seit 2014 bei null Prozent. Während sich Sparer darüber ärgern mögen, können sich Häuslbauer freuen, weil sie günstiger an Kredite kommen. Auch für viele Unternehmer, die Schulden haben, ist die Entwicklung gut, weil sie weniger Zinsen abzahlen müssen.

Im Übrigen steigt das Geldvermögen trotz Nullzinsen stetig an. Vor zehn Jahren hatten die Österreicher rund 190 Milliarden Euro auf Sparbüchern und Konten liegen. Heute sind es fast 250 Milliarden. Selbst wenn man die Inflation berücksichtigt, bleibt es dabei: Das Finanzvermögen legte kräftig zu.

2. Banken vergeben Kredite mit EZB-Geld

Die EZB hat nicht nur die Zinsen auf null gesenkt, sondern versucht auch mit anderen Maßnahmen, die Wirtschaft in der Eurozone anzukurbeln, um damit die zu niedrige Inflation zu erhöhen. So hat die EZB Banken schon in der Vergangenheit Kredite in unbegrenzter Höhe zur Verfügung gestellt. Und die Notenbank hat Staatsanleihen und Unternehmenspapiere am Markt im Wert von 2,4 Billionen Euro gekauft. Die EZB-Bilanz ist seit der Krise stetig gewachsen. Aber wo landet dieses ganze Geld?

Eine Annahme lautet, dass Banken das Geld der EZB nehmen, um damit Kredite an Haushalt und Unternehmen zu vergeben. Das ist falsch. Jede private Geschäftsbank hat ein Konto bei der EZB, ähnlich wie auch Bürger Konten bei Banken haben. Nimmt eine Bank einen Kredit von der EZB, dann landet das Zentralbankgeld auf dem Konto dieser Privatbank bei der EZB.

Privatbanken brauchen Zentralbankgeld unter anderem, weil sie ihre Guthaben auf dem Konto der EZB in Bargeld tauschen können.
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Geschäftsbanken brauchen Zentralbankgeld aus mehreren Gründen: Sie können ihre Guthaben an EZB-Geld gegen Eurobanknoten tauschen, die die EZB drucken lässt. Die Geschäftsbanken müssen zudem immer über ein minimales Guthaben bei der EZB verfügen, das ist so vorgeschrieben. Und: Banken brauchen Zentralbankgeld, um Verbindlichkeiten untereinander abzudecken. Aber der Kreislauf des Zentralbankgeldes ist geschlossen. Schon aus technischen Gründen landet kein Zentralbankgeld bei Bürgern oder klassischen Unternehmen, weil diese keine Konten bei der EZB haben.

3. Die EZB facht die Inflation direkt an

Eine Folge davon ist, dass die EZB die Inflation nur indirekt beeinflussen kann. Entscheidend für die Preissteigerungen ist, was sich in der Realwirtschaft eines Landes abspielt: Wenn viele Unternehmen Kredite nehmen und in neue Fabriken und Maschinen investieren, schaffen sie Jobs. Damit steigen die Löhne der Arbeitnehmer, die wiederum selbst mehr konsumieren können. Diese Nachfrage treibt die Preise nach oben – die Inflation steigt.

Wie aber läuft die Kreditvergabe der Banken an Unternehmen und Haushalte ab? Die Banken "schöpfen" das Giralgeld selbst. Ein Beispiel: Herr X will sich 20.000 Euro von seiner Bank ausborgen, um von Frau Y ein Auto zu kaufen. Die Hausbank von X schreibt ihm 20.000 Euro auf seinem Konto gut. Dieses Guthaben überweist X auf das Konto von Y bei ihrer Hausbank. Im Hintergrund muss die Bank von X an die Bank von Y 20.000 Euro Zentralbankgeld zahlen.

Doch in der Praxis passiert das oft nicht, wie der Ökonom und Buchautor Dirk Ehnts sagt. Wenn zum Beispiel die Bank von Y der Bank von X aus einem anderen Grund selbst 20.000 Euro schuldet, sind beide Banken quitt. Es fließt gar kein Zentralbankgeld. Oft vereinbaren Geschäftsbanken Kreditlinien untereinander: Forderungen bleiben also lange Zeit offen.

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Die EZB-Zentrale in Frankfurt.
Foto: Reuters

Die Folge ist, dass die Vergabe von Krediten in der Realwirtschaft nur zum Teil davon abhängt, wie viel Zentralbankgeld die EZB bereitstellt. Aktuell ist in der Eurozone Zentralbankgeld in Höhe 3,2 Billionen Euro im Umlauf. Die gesamte Geldmenge, also inklusive aller Guthaben von Nichtbanken, beläuft sich auf 12,3 Billionen.

Die Zentralbank kann die Kreditvergabe via Leitzins beeinflussen: Wenn Banken billig an Zentralbankgeld kommen, können sie auch Kredite an Kunden billiger hergeben. Aber auch dieser Zusammenhang ist nicht eins zu eins gegeben. Wenn Unternehmen keine Chancen für rentable Investments sehen, werden sie keine Kredite nachfragen, egal wie tief die Zinsen stehen.

4. Die Geldschwemme führt zur Hyperinflation

Egal also, was die EZB tut, es schlägt sich in der Realwirtschaft oft nur begrenzt nieder. In den vergangenen Jahren hat die EZB kontinuierlich eine höhere Inflation vorausgesagt, als eingetreten ist. Derzeit liegt die Inflation trotz aller Maßnahmen bei nur 1,5 Prozent in der Eurozone. Eine Hyperinflation, wie oft prophezeit, blieb aus.

Das heißt nicht, dass sich die große Geldschwemme nicht negativ auswirken kann. Kritiker sagen, dass manche Unternehmen nur dank der niedrigen Zinsen überleben: Wenn diese Firmen mehr Geld für Kredite zahlen müssten, wären sie längst pleite.

Produktive Arbeiter und produktives Kapital werden an Zombiefirmen verschwendet, so das Argument. Ein anderer Punkt, der hitzig diskutiert wird, ist ob das billige Geld der EZB notwendige Reformen in Südeuropa verhindert oder im Gegenteil diesen Ländern nur etwas Luft zum Atmen verschafft hat. Unbestritten ist jedenfalls, dass alle Euroländer dank EZB billiger an Kredite kommen. (András Szigetvari, 10.3.2019)