Täglich findet online ein Rennen um die erste Antwort auf Tweets von Trump statt.

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Ed Krassenstein ist allzeit bereit. Der 37-Jährige wartet jeden Tag auf die neuesten Tweets des US-Präsidenten. Sobald seine Online-Benachrichtigung anzeigt, dass Donald Trump bei Twitter etwas Neues von sich gegeben hat, fängt Krassenstein an zu tippen und sendet seine Antwort an Trump hinaus in die Twitter-Welt.

Damit ist er nicht allein. Eine feste Gruppe Twitter-Nutzer wetteifert jeden Tag darum, als erste auf den Präsidenten zu antworten. Ganz oben unter Trumps Tweet zu landen, verspricht viel Aufmerksamkeit und einen Schub für die eigene Bekanntheit in den sozialen Medien. Für manche ist es ein echter Sport. Und sogar eine Art Geschäftsmodell.

Reaktionsgewitter nach Sekunden

Trumps Twitter-Account gehört zu den am meisten verfolgten weltweit. Der US-Präsident hat fast 59 Millionen Follower. Jeder seiner Tweets wird Zehntausende Male geliked und retweetet und bekommt Abertausende Antworten. In der Sekunde, in der Trump per Twitter eine Botschaft aussendet, startet dort ein quasi-automatisiertes Reaktionsgewitter. Und die erste Antwort auf eine maximal-beachtete Präsidentenäußerung hat Aussicht, von Millionen Internetnutzern wahrgenommen zu werden.

Ed Krassenstein und sein Zwillingsbruder Brian gehören zu den prominentesten Trump-Antwortgebern bei Twitter. Ed Krassenstein hat inzwischen mehr als 890.000 Follower dort, sein Bruder Brian mehr als 650.000. Im Duo keilen sie jeden Tag gegen den Präsidenten und dessen Politik – und haben sich so im Internet einen Namen gemacht. Ihre Antworten stehen oft ganz oben unter den Tweets des Präsidenten.

Tagesfüllende Beschäftigung?

Mit Blick auf Trumps Intensiv-Twitterei erscheint das als tagesfüllende Beschäftigung. Ed Krassenstein winkt ab. "Das sagen viele. Aber ich brauche nur ein bis zwei Minuten, um auf einen Trump-Tweet zu antworten", sagt er. Viel Zeitaufwand sei das nicht. Und wie schafft er es, so schnell zu sein? Bereitet er Antworten vor? Nein, das tue er nie, beteuert Krassenstein. Er nutze einfach die Handy-Benachrichtigung bei Trump-Tweets und antworte dann spontan.

Ed Krassenstein sagt von sich, er sei eigentlich nie sehr politisch gewesen. Er habe auch nie gewählt – bis zur Präsidentenwahl 2016, als überraschend Trump gewann. Kurz darauf fing Krassenstein an, dem Präsidenten bei fast jeder Wortmeldung auf Twitter zu widersprechen. "Ich sehe das nicht als Mission", sagt der Mann aus Florida. "Ich bin einfach ein Amerikaner mit einer Stimme. Und die nutze ich." Der Präsident dürfe die Bevölkerung nicht belügen. "Wenn er es tut, dann halte ich es für nötig, ihn zu korrigieren."

Online-Widerstand gegen Trump

Die Krassenstein-Brüder verstehen sich als Teil des "Online-Widerstands" gegen Trump. Aber sie verdienen auch Geld damit, seitdem sie sich mit ihren Anti-Trump-Tweets profiliert haben. Gemeinsam haben sie einen Podcast eingerichtet, ein Trump-Parodie-Buch veröffentlicht. Sie betreiben auch eine – politisch nicht wirklich unabhängige und daher nicht unumstrittene – Nachrichten-Webseite.

Der Platz unter Trumps Tweets ist zu einem Ort der Eigen-PR geworden. "Trump ist der mächtigste Twitterer auf diesem Planeten", sagt Scott Talan, Experte für soziale Medien an der American University in Washington. Wer als erstes auf Trump antworte, bekomme viel Aufmerksamkeit, erhöhe seine eigene Followerzahl, mache sich einen Namen in den sozialen Medien. Außerdem wüssten die Leute, dass Trump höchstpersönlich twittere und das nicht etwa Pressestelle machen lasse. Das sei ein weiterer Anreiz, direkt auf ihn zu antworten.

Öffentlicher Kampf

Trumps Gegner und Unterstützer liefern sich unter dessen Tweets einen öffentlichen Kampf um die Deutungshoheit. Bei den ersten paar Antworten tauchen dort immer wieder die gleichen Namen auf. Und so aggressiv Trumps Tweets oft sind, so offensiv sind auch die Erwiderungen auf ihn. Talan meint, Trump nutze Twitter wie eine "soziale Axt" gegen seine Gegner. Und andere täten es ihm gleich.

Einer der prominentesten Trump-Unterstützer aus dieser Gruppe, Jacob Wohl, wurde vor einigen Tagen dauerhaft von Twitter verbannt. Der Kurznachrichtendienst wirft ihm vor, er habe gefälschte Accounts betrieben, um politisch Einfluss zu nehmen. Wohl ist 21 Jahre alt und hat bereits mit allerlei Verschwörungstheorien und zuvor mit windigen Finanzaktivitäten Schlagzeilen gemacht. Trumps Twitter-Antwort-Feld ist ein Universum mit schillernden bis zwielichtigen Gestalten.

Internet-Trolle

Kritiker bezeichnen sie als Internet-Trolle und Wichtigtuer. Einigen wird unterstellt, sie hätten stille Unterstützer und würden für ihre systematische Twitterei für oder gegen Trump bezahlt. Ed Krassenstein weist das vehement zurück: "Das ist lächerlich."

Der Präsident selbst nimmt seine Dauer-Antwortgeber durchaus wahr. Treue Unterstützer retweetet er ab und zu. Mancher harter Gegner ist ihm dagegen ein Dorn im Auge. Trump, der über eine Beschränkung der Redefreiheit, "Zensur" und "politische Korrektheit" in den USA klagt, hat schon mehrere unliebsame Twitter-Follower blockiert, darunter Krassenstein. Mehrere Betroffene zogen vor Gericht und bekamen Recht. Trump musste ihre Kommentare auf seine Tweets danach wieder zulassen.

"Ich liebe Twitter"

Trump hat Twitter zu seinem Hauptkommunikationskanal gemacht, um an den – ihm zumeist verhassten – Medien vorbei Botschaften auszusenden. 2012 schrieb Trump in einem Tweet: "Ich liebe Twitter... Es ist, als würdest du deine eigene Zeitung besitzen – ohne die Verluste."

Trotz seiner fast 59 Millionen Follower liegt Trump mit seinem Account nur auf Rang 13 der weltweiten Rangliste. Vor ihm sind einige Stars wie die Sänger Katy Perry oder Justin Bieber mit mehr als 100 Millionen Followern. Und ein anderer Politiker rangiert vor Trump: sein Amtsvorgänger Barack Obama mit 105 Millionen Followern.

Trump folgt nur 45 Accounts

Trump folgt selbst nur 45 anderen Twitter-Accounts: Mitgliedern seiner Familie, einzelnen politischen Getreuen, Trump-Golfresorts und ein paar Journalisten seines Lieblingssenders Fox News. Wenn die Frage, wem jemand auf Twitter folgt, etwas über das eigene Weltbild aussagen würde, wäre die Liste im Fall von Trump durchaus vielsagend.

Talan sagt über Trump, er sei "nicht wirklich ein Star der sozialen Medien". Er nutze keine andere Plattform intensiv und betreibe auch keinen Austausch. Trump sei einseitig aufs "Senden" eingestellt. "Er ist eher wie eine Plakatwand, die einen anschreit." Bei Twitter gibt es zumindest eine feste Riege von Menschen, die zurückschreien. (APA, 10.3.2019)