Menschen, die die EU ablehnen, werden mit einer fünf- bis zehnmal höheren Wahrscheinlichkeit an den Europawahlen teilnehmen als Unionsbürger im Ausland.

Foto: APA/AFP/EMMANUEL DUNAND

Mit Hauptwohnsitz in Wien gemeldet sind 220.000 Bürger anderer EU-Länder im wahlberechtigten Alter. Auf Bundes- und Landesebene dürfen sie nicht mitbestimmen. Eingeladen werden sie nur zu den vergleichsweise unwichtigen Wahlen auf Bezirksebene. Über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments am 26. Mai darf mit bestimmen, wer um Eintrag in die Wiener Europa-Wählerevidenz angesucht hat. Getan hatten das bis Ende der vorigen Woche 8500 Unionsbürger. Also nicht einmal vier Prozent. Und an diesem Dienstag endet bereits die Registrierungsfrist. Wenn der Wahlkampf richtig anläuft und viele den bevorstehenden Wahltermin erst mitbekommen, ist es längst zu spät.

Es gäbe noch weniger Wahlberechtigte, hätten nicht einige Bezirksämter in den letzten Wochen die mit Hauptwohnsitz gemeldeten Unionsbürger angeschrieben. Die Initiative ging von den Grünen aus. In einigen Wiener Bezirken zogen die Sozialdemokraten mit.

Transnationale Partei

Allerdings hebt es auch nicht gerade die Wahlmotivation der 700.000 in ganz Österreich beheimateten Unionsbürger, wenn keiner von ihnen auf einem aussichtsreichen Listenplatz kandidiert. Die Neos führen Nini Tsiklauri, eine in Georgien und Ungarn aufgewachsene Wiener Politikwissenschaftsstudentin mit deutschem Pass, erst auf Platz fünf. Die heimischen Grünen haben niemanden wie den Franzosen Florent Marcellesi, der für die spanische Grünen-Allianz Equo im Europäischen Parlament sitzt.

Ansprechen könnte Unionsbürger, dass mit Volt Europe erstmals eine transnationale Partei EU-weit antritt. Ähnlich versteht sich das Bündnis European Spring, das der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis mit seinem Democracy in Europe Movement (DiEM 25) anführt. Varoufakis kandidiert in Deutschland, wo bei dieser Europawahl bereits ein Prozent der Stimmen für einen Sitz im Parlament reichen wird. Nummer zwei bei DiEM 25 ist übrigens die Österreicherin Daniela Platsch.

Stimmabgabe aus der Ferne

Prinzipiell können im Ausland lebende Unionsbürger ihre Stimme bei der Wahl zum Europäischen Parlament auch in ihrem Herkunftsland abgeben. Doch dabei gibt es große Unterschiede. Auslandsösterreicher können per Brief wählen, müssen sich dafür aber eigens in die Europa-Wählerevidenz eintragen lassen. Nur jedes zweite EU-Land erlaubt eine Stimmabgabe aus der Ferne. Polen, Rumänien, Bulgarien, Frankreich, Italien und vier weitere Länder bieten die Wahlmöglichkeit nur in der eigenen Botschaft an. Slowaken, Tschechen und Iren müssen in die Heimat reisen, wenn sie ihr Wahlrecht ausüben wollen.

Es gibt weder verlässliche Daten noch eine offizielle Schätzung, wie viele der zwanzig Millionen im EU-Ausland lebenden Unionsbürger im wahlberechtigten Alter wählen. Signifikant ist ihre Wahlbeteiligung wohl nur in Ländern wie Belgien und Luxemburg, in denen eine gesetzliche (aber nicht exekutiv durchgesetzte) Wahlpflicht herrscht. Insgesamt wählen wohl weniger als zehn Prozent im Ausland lebenden Unionsbürger.

Überfällige Auswertung

Eine wissenschaftliche Auswertung ist überfällig. Denn wenn ausgerechnet die demografische Gruppe mit der mutmaßlich höchsten Zustimmung zur EU nicht wählt, hat das Konsequenzen. Menschen, die die EU ablehnen, werden mit einer fünf- bis zehnmal höheren Wahrscheinlichkeit an den Europawahlen teilnehmen als Unionsbürger im Ausland. Der sich abzeichnende Rechtsruck im Europäischen Parlament ist auch hausgemacht.

Auf die rückläufige Wahlbeteiligung von zuletzt nur noch EU-weit 45 Prozent reagierte das Europäische Parlament mit der Kampagne "Diesmal wähle ich", die auf Erst- und andere Jungwähler fokussiert. Weder die Kampagne noch die zugrunde liegende Umfrage zielt auf im Ausland lebende Unionsbürger ab.

Dabei bringen sie eine höhere Bildung und Qualifikation mit als der durchschnittliche heimische Bürger. Unionsbürger zahlen mehr in die Sozialsysteme ihrer Aufenthaltsländer ein, als sie herausbekommen. Sie könnten substanziell zu Politik und Zivilgesellschaft beitragen. Doch dazu müsste sie neben der vollen Integration in den Arbeitsmarkt und das Sozialsystem auch politisch integriert werden. Wer eine Mindestzeit im Aufenthaltsland ins Sozialsystem eingezahlt hat, sollte entscheiden dürfen, ob er oder sie weiter im Herkunftsland oder künftig im Aufenthaltsland wählen will. Und natürlich auch auf Bundes- und Länderebene kandidieren. Vorher wird die Politik die Unionsbürger nicht ernst nehmen. (Stefan Löffler, 10.3.2019)