Imagetanz-Eröffnung von Henrike Iglesias.

Foto: Paula Reissig

Die Enttäuschung der Twentysomethings ist gerade groß. Verständlich, denn Oma und Opa haben zwar 68er-Flair, und die Eltern geben sich megaliberal. Aber deren schöne neue Welt ist ein echter Betrug. Was dazu sagen? Kulturpessimismus à la No Future wirkt zu Altpunk, vielleicht geht es ja mit Neupink: verletzlich, aber frech und hedonistisch-feministisch wie beim Berliner Frauenkollektiv Henrike Iglesias, mit dessen Performance Oh My das Imagetanz-Festival des Brut-Theaters nun begonnen hat.

Der Kollektivname ist lustig gewählt. Das Video Bailando von Popstar Enrique Iglesias hat immerhin fast 2,7 Milliarden Aufrufe bei Youtube. Aber Henrike geht's nicht um eine Persiflage des Publikumslieblings Enrique, sondern um das Frausein als aufgelockertes Körpersein. Inklusive einer ganzen Palette von Bedürfnissen, wie sie sich entwickelt haben, während Emanzipation dauernd versprochen, aber nie ganz wirklich wurde.

Die Pornoclips

Mit der Enttäuschung stellt sich große Empfindlichkeit ein. Diese kompensieren die Henrike-Iglesias-Performerinnen in einem so infantilen wie zuckergeilen Sex-Setting mit Selbstermächtigungsmehrwert. Das Glückskleeblatt setzt sich aus Anna, Laura, Marielle und Sophia zusammen. Die versichern einander, wie "wow" sie sind und dass sie in Oh My 13 Pornoclips drehen und zeigen werden.

Gesagt, getan. Alle im Publikum dürfen Kopfhörer tragen und bekommen eingesagt, was für sexy Bomben die auf der Bühne sind. Zwei von denen – "aber du bist schon getestet, oder?" – schlürfen einen roten Saft, der als Menstruationsblut ausgegeben wird. Und Marielle gesteht, dass sie ein Fan von "period sex" ist. Sophia mit ihren großzügigen Körpermaßen macht ihren ersten Pornoclip, wie sie sagt, von sich und für sich selbst (und natürlich für das Publikum).

Anna wiederum berichtet ausführlich vom Bumsen mit "einer Person". Einen Monat lang täglich, aber sie ist nie gekommen. Es war wohl zu unpersönlich. Marielle erkundet ihre, wie sie sagt, "Möse" und lässt diese vor der Kamera in Großprojektion Adeles Hit Hello singen. Das schlüpft als Playback ins trockene Ohr. Später werden Karotten und anderes Gemüse mit Gleitgel eingecremt, und eine Stimme sagt: "I like to be fucked doggy style." Die Folge: Im heißen Odem solcher Pornobusinessmetaphern blüht jegliche erotische Fantasie blitzartig ab.

Innere Leere

So wird die Performance Oh My zum traurigen Backlash von Enterbten. Henrike Iglesias rächt sich mit grottenhaftem Schauspiel. In und vor seinem kuscheligen Panicroom auf der Bühne reproduziert das Kollektiv eine innere Leere, die selbst mit neckischem Narzissmus nicht zu füllen ist.

Das Stück wetzt sich an öden Oberflächen, nackten Eindeutigkeiten und verkrampfter Ironie tot. Das berührt zutiefst. (Helmut Ploebst, 11.3.2019)