Flüchtlinge im Sommer 2015, bei ihrer Ankunft auf dem Gelände des Flughafens Wien-Schwechat. Die Flughafen Wien AG hatte in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium und dem Roten Kreuz eine temporäre Flüchtlingsunterkunft eingerichtet.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Sie schrieb, dass sie in der Mittagspause in einem Supermarkt im Wiener Stadion-Center war. Und dort hat sich ein Flüchtling an der Kassa geweigert zu zahlen. Er hat gesagt, das müsse er nicht, er habe hier in Österreich das Recht, alles zu nehmen, was er wolle, und dann ist er abgerauscht. Die Schreiberin war die Freundin einer Freundin. Sie schilderte den Vorfall in einem Posting, das im Herbst 2015 in meinem Facebook-Feed landete.

Die Schreiberin kannte ich nicht, aber meine Facebook-Freundin war eine reale Freundin aus alten Zeiten. Ob die Schreiberin des Postings real war, kann ich bis heute nicht sagen, aber das, was sonst auf ihrem Profil passierte, wirkte durchaus authentisch, sie war kein Fake.

Ihr Posting wühlte mich auf und weckte meine Neugier. Ich schrieb ihr eine Nachricht und fragte sie, ob wir telefonieren könnten, ich würde gerne mit ihr über diesen Vorfall reden. Tagelang kam nichts. Dann fiel mir auf, dass in meiner Profilbeschreibung stand, wo ich arbeite. Ich schrieb also eine weitere Nachricht: Ich würde unser Gespräch nicht für die Zeitung verwenden. Ich würde nur wissen wollen, was genau passiert sei und wie die Kassiererin und andere Kunden reagiert hätten. Keine Antwort.

Inzwischen gab es hunderte Kommentare unter dem Posting. Viele endeten mit Rufzeichen und waren voller Wut.

Verprügelter Opa

Im vergangenen Jahr teilte eine Freundin, die ich früher sehr gut kannte, das Foto eines alten Mannes, dessen Gesicht voller Schwellungen und Blutergüsse war. Sie teilte es mit einem Kommentar, der in etwa lautetet: "Wir sind Österreich dankbar, und dieser Abschaum tut so etwas." Meine Bekannte ist selbst mit ihrer Familie als Kind in den 1990er-Jahren nach Österreich geflohen. Ich las den zum Foto gehörenden Post: Ein Mann klagte, dass sein Großvater mitten am Tag auf dem Hauptplatz einer deutschen Kleinstadt von einer Gruppe Asylwerber verprügelt worden sei.

Ich war ehrlich entsetzt, dachte, es handle sich um die angeheiratete deutsche Verwandtschaft meiner Bekannten. Dann ließ mir das Posting keine Ruhe, und ich lud das Foto auf Google hoch. Ich fand mehrere Einträge mit diesem Foto, manchmal war der Verprügelte der "betagte Nachbar", manchmal "ein Onkel", die Stadt, in der der Vorfall angeblich stattgefunden hatte, wechselte ebenfalls. Ich schrieb meiner Freundin eine Nachricht. Eine Antwort bekam ich nicht. Dafür blockierte sie mich irgendwann in den folgenden Tagen.

Luxuswohnungen für Geflüchtete

Fake-News, gezielt eingesetzt, zerstören Vertrauen, säen Zwietracht und sind Gift für unsere digitale Gesellschaft. Gegen Fake-News ist niemand immun. Wir neigen alle dazu, eher jene Nachrichten wahrzunehmen, die dem eigenen Weltbild entsprechen. Hören wir eine Nachricht oder Geschichte öfter und aus unterschiedlichen Quellen, dann neigen wir dazu, das Gehörte zu glauben, auch wenn wir am Anfang sehr skeptisch waren. Dieses Phänomen nennt sich Wahrheitseffekt. Seitdem ich darüber gelesen habe, wundere ich mich nicht mehr über jene, die glauben, dass jeder Asylwerber ein Gratis-iPhone bekommt.

Ich wundere mich eigentlich über nichts mehr. Ich bin besorgt. Sehr besorgt darüber, was Menschen alles glauben und wie verfestigt sie in ihren Vorurteilen und ihrem Hass sind. Eine Kollegin machte mich letzte Woche auf eine Ankündigung eines Bauträgers aufmerksam. Eine neuer Wohnturm, direkt am Wasser, soll am Rand von Wien entstehen, es werden sehr hochpreisige Eigentumswohnungen gebaut.

Bereits der dritte Kommentar wurde eingeleitet mit wütenden Emojis, er lautete in etwa: "Eine normale österreichische Familie kann sich das nicht leisten, da werden die neuen VIPs, denen alles in den A* geschoben wird, hinziehen. Der Staat zahlt ihnen alles." Der Stadtteil werde bald sehr unsicher sein, schloss der Schreiber und bekam viel Zuspruch mit vielen Wut-Emojis.

Ich bin auch über die Wohnungspreise in Wien besorgt. Noch besorgter – eigentlich alarmiert – bin ich darüber, wie schnell inzwischen die "Schuldigen für eh alles" gefunden werden. (Olivera Stajić, 12.3.2019)