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Vertical Farming, Hühnerzucht im Garten, Gemüse, das direkt im Supermarkt wächst: Derzeit gibt es viele Ideen, wie man das Essen nachhaltig in die Stadt bringt.

Foto:dpa/Christina Horsten

STANDARD: Wie ernähren sich die Bewohner einer Großstadt wie Wien im Jahr 2050?

Stierand: Ich glaube, dass sich die Stadt in Zukunft viel vielfältiger ernähren wird. Es wird sicher mehr urbane Landwirtschaft geben, und auch die Region wird deutlich an Bedeutung gewinnen. Aber wir brauchen auch die europäischen Landwirte und auch Äcker am Ende der Welt, um die Städte in Zukunft zu versorgen. Ich glaube nicht, dass es erstrebenswert ist, Städte durch die eigene Fläche oder nur aus der Region heraus zu ernähren. Das würde die Stadt auch sehr verändern, man bräuchte Agrarhochhäuser für die Lebensmittelproduktion. Allein auf die Region zu setzen macht auch aus Sicherheitsgründen keinen Sinn. Tobt etwa hier ein Unwetter, hat die Großstadt plötzlich nichts zu essen.

STANDARD: Vertical Farming, Hühnerzucht im Garten, Gemüse, das direkt im Supermarkt wächst: Derzeit gibt es viele Ideen, wie man das Essen nachhaltig in die Stadt bringt. Welche Form der Lebensmittelversorgung für die Stadt gefällt Ihnen am besten?

Stierand: Auch hier wird es eine vielfältige Mischung geben. Ich sehe da aber weniger Agrarhochhäuser als beispielsweise die solidarische Landwirtschaft. Dabei kooperieren Verbraucher direkt mit den Landwirten, geben eine Abnahmegarantie und erhalten Einblick und Einfluss bei der Produktion. Das führt zu großer Vielfalt auf dem Acker, es wird dann nicht nur Weizen oder Mais angebaut, sondern das, was die Mitglieder der Kooperative brauchen.

STANDARD: Was halten Sie vom Trend der Indoor-Landwirtschaft? Immer mehr Start-ups entwickeln aktuell Lösungen für Urban Farming ohne Sonnenlicht.

Stierand: Das sind gute Experimente, aber ich glaube nicht, dass es erstrebenswert ist, dass diese Art von Anbau mehrheitlich die Stadt versorgt. Wenn wir unsere Lebensmittel nachhaltig produzieren wollen, müssen wir auch die Kräfte der Natur geschickt nutzen. Da sind der Boden und das Sonnenlicht wichtig, weil das quasi regenerative Energien sind. Egal, wie toll eine LED-Lampe oder eine Nährstofflösung ist, es wird immer mehr Energie verbraucht, als wenn ich die Kraft direkt aus der Natur hole. Anders ist es, wenn die Stadt zum Beispiel in der Wüste liegt, dann macht Indoor-Anbau viel Sinn. Und es gibt auch einen anderen Aspekt: Um Indoor-Landwirtschaft zu betreiben, brauche ich hohe Investitionen – was heißt das für den Preis der Lebensmittel?

STANDARD: Allerdings preisen die Verfechter des Indoor-Anbaus, der direkt an der Verkaufsstelle passiert, den umweltschonenden Aspekt des Konzepts. Immerhin fällt der Transport weg.

Stierand: Der Wasserverbrauch ist geringer, es ist eine geschützte Atmosphäre ohne Schädlinge, aber sobald ich Sonnenlicht durch andere Quellen ersetzen muss, ist es mit der Energieeffizienz vorbei. Die Entfernung zwischen Verbraucher und Acker ist bei den meisten Lebensmitteln nicht ausschlaggebend für eine gute oder schlechte Ökobilanz. Ein wesentlich entscheidenderer Faktor ist beispielsweise der Weg des Verbrauchers zum Einkauf. Wenn Menschen mit ihren Autos weit zum Supermarkt fahren müssen, dann sieht die Ököbilanz anders aus. Eine gute Nahversorgung wie etwa der kleine Supermarkt im Viertel und eine vernünftige Verkehrspolitik sind wichtig. Ich muss dafür sorgen, dass die Menschen zu Fuß oder mit dem Rad zum Supermarkt kommen können.

STANDARD: Was halten Sie von Gemeinschaftsgärten? In Wien und in anderen Städten gibt es seit einigen Jahren Initiativen, die darauf setzen.

Stierand: Von dieser Form der Landwirtschaft bin ich ziemlich begeistert. Nicht, weil es die ultimative Versorgungsmöglichkeit für die Stadt der Zukunft ist, dafür ist sie höchstens ein Baustein. Diese Gärten sind aber ein toller Raum, wo sich Menschen mit dem Anbau von Lebensmitteln und miteinander auseinandersetzen. Für das Ernährungssystem der Stadt, vor allem als Ort, an dem neue Ideen für die Zukunft entstehen, sind diese Gärten sehr wichtig.

STANDARD: Aber wie gesund sind Lebensmittel aus der Stadt, die unter freiem Himmel allerlei Schadstoffe aus der Luft abbekommen?

Stierand: Diese Angst kommt immer von Nichtgärtnern. Die Gärtner selbst sind froh, dass sie wissen, was alles nicht auf ihren Früchten ist, nämlich Pestizide und Insektizide. Es gibt auch Untersuchungen, die zeigen, dass eine klassische Hecke Feinstaub fernhalten kann. Und die Hochbeete sorgen dafür, dass man sich nicht auf den Boden verlassen muss, der da ist.

STANDARD: Was kann moderne Stadtplanung leisten, um Menschen urbane Gärten zu ermöglichen?

Stierand: Städte müssen sich die Frage stellen: Wie wollen wir unsere Stadt in Zukunft ernähren? Und welche Bedeutung haben Gärten in diesem Konzept? Ernährung ist in der Stadt ein Querschnittsthema, da gehört dann Verkehrspolitik und Wohnpolitik auch dazu. Stadtplanung durch die Ernährungsbrille wäre das Stichwort. (Olivera Stajić, 12.3.2019)

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