Der Drei-Stufen-Plan für die nächsten Tage sieht vor, dass die britischen Parlamentarier am 12. März abstimmen, ob sie den Austrittsvertrag von Premierministerin May annehmen oder nicht. Falls der Vertrag mehrheitlich abgelehnt wird, soll am 13. März über einen No-Deal Brexit, also den vertragslosen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU, abgestimmt werden. Erhält auch dieser keine Mehrheit, wird am 14. März darüber abgestimmt, ob die britische Regierung mit der EU über eine Verschiebung des Austrittsdatums verhandeln soll. Wird auch dieser Vorschlag abgelehnt, so bleibt nur die Hoffnung, dass weitere Verhandlungen doch noch zu einer Einigung in letzter Minuten führen, wie immer diese auch aussieht. Sollte keine Einigung erzielt werden, tritt das Vereinigte Königreich am 30. März um 0.00 Uhr mitteleuropäische Zeit ungeregelt aus der EU aus.

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Mögliche drei Abstimmungen kommen auf Theresa May zu.
Foto: REUTERS/Toby Melville

Drei Minimalanforderungen

Anstelle sich in Spekulationen über den Ausgang dieses Prozesses zu verlieren, könnte man hier auch einen genaueren Blick auf die Entscheidungsfindung des britischen Parlaments werfen. Warum eigentlich ein Drei-Stufen-Verfahren und warum genau dieses? Aus ökonomischer Sicht stellt sich die Sachlage so dar – es liegen vier Optionen auf dem Tisch: Mays Vertrag, der No-Deal, eine Verschiebung des Austritts oder Weiterverhandeln. Jeder Parlamentarier und jede Parlamentarierin hat vermutlich ein individuelles Ranking dieser vier Alternativen im Kopf. In einer Demokratie wird das Parlament nun durch ein geeignetes Aggregationsverfahren ein "Gesamtranking" dieser Optionen erstellen und die am höchsten gerankte Variante umsetzen. Dieses Gesamtranking sollte natürlich die Individualrankings möglichst gut widerspiegeln. Aber was soll das genau bedeuten, "möglichst gut widerspiegeln"? Darüber lässt sich trefflich streiten, doch auf drei Minimalanforderungen an ein brauchbares Aggregationsverfahren sollte man sich doch einigen können:

Erstens sollte das Aggregationsverfahren immer funktionieren, das heißt, es sollte für jede beliebige Mischung von individuellen Rankings stets ein bestimmtes Gesamtranking liefern. Diese Forderung ist als "Universalität" bekannt.

Zweitens, wenn alle Individualrankings eine Option, zum Beispiel Weiterverhandeln, höher stufen als eine andere, sagen wir No-Deal, dann sollte auch das Gesamtranking das Weiterverhandeln dem No-Deal vorziehen. Diese Eigenschaft nennen Ökonomen das "schwache Pareto-Prinzip".

Drittens stellen Sie sich kurz folgende Situation vor: Ein Gast fragt im Wirtshaus nach den Mittagsmenüs. "Es gibt Schnitzel oder Nudelauflauf", erklärt die Kellnerin. "Ich nehme das Schnitzel" sagt der Gast. "Fast hätte ich es vergessen, wir haben heute auch gebackene Scholle!" ergänzt die Kellnerin. Darauf der Gast: "Ach so, na dann nehme ich den Auflauf." Diese absurd anmutende Entscheidung des Gastes bedeutet, dass sein Ranking zwischen Schnitzel und Auflauf von der An- oder Abwesenheit einer dritten Alternative abhängt. Unser parlamentarisches Gesamtranking soll diese unschöne Eigenschaft jedenfalls nicht aufweisen. Ökonomen fordern daher eine entsprechende Bedingung namens "Unabhängigkeit": Das Gesamtranking von zwei beliebigen Optionen sollte einzig und allein von den Individualrankings dieser beiden Optionen abhängen.

Reihenfolge könnte Ergebnis beeinflussen

Nun existiert ein ganz simples Aggregationsverfahren, das diese drei Minimalanforderungen klar erfüllt: Als Gesamtranking wählt man einfach das Individualranking des längst dienenden Parlamentsmitglieds, des sogenannten "Father of the House"! Mit einem solchen diktatorischen Aggregationsverfahren dürften jedoch die wenigsten Demokraten zufrieden sein. Deshalb fordert man sinnvollerweise als vierten Punkt, dass das Verfahren jedenfalls nicht diktatorisch sein darf.

Wie gesagt, dies sind lediglich Minimalanforderungen, und man könnte darüber nachdenken, was noch alles zu fordern wäre. Oder man überlegt sich, welches der vielen Aggregationsverfahren, die unsere vier Punkte erfüllen, nun aus Sicht der Demokratie das Beste ist.

Oder man lässt alle Hoffnung fahren. Denn der berühmte Ökonom und Nobelpreisträger Kenneth Arrow hat bereits vor fast 70 Jahren mathematisch bewiesen, dass es genau gar kein Aggregationsverfahren gibt, das unsere vier Minimalanforderungen erfüllt. Jedes universelle, nichtdiktatorische Aggregationsverfahren scheitert entweder am Pareto-Prinzip oder an der Unabhängigkeit – oder an beidem. Für das britische Drei-Stufen-Verfahren gilt zumindest: Schlechter als andere Verfahren ist es auch nicht. Die Reihenfolge der Abstimmungen könnte das Ergebnis aber jedenfalls beeinflussen. Genau wissen können wir das aber nicht.

Auch das ist Ökonomik: Erkennen, was nicht geht. (Ulrich Berger, 12.3.2019)