Im Wiener Stadtbild haben sich E-Scooter in den letzten Monaten als fixer Bestandteil etabliert. Nicht nur die Leih-Roller von Bird, Lime und Co. säumen die Fahrradwege, so mancher Verkehrsteilnehmer surrt mittlerweile mit einem privat angeschafften Gerät durch den urbanen Dschungel. Denn für Vielfahrer ist ein Kauf auf Dauer günstiger, als die Anmietung zum üblichen Tarif von einem Euro Grundpreis und 15 Cent je Minute.

Derlei Entwicklungen, die ursprünglich von einem Scooter-Boom in den USA ausgegangen sind, sind diversen Herstellern natürlich nicht verborgen geblieben. Zahlreiche Unternehmen konkurrieren mittlerweile mit allerlei Elektro-Scootern um die Gunst der Kunden. Auch verschiedene chinesische Firmen sind darunter, die oft versuchen, beim Preis zu punkten. So auch Kugoo mit dem S1. Er soll eine Alternative zu Geräten wie dem Xiaomi M365 sein, aber deutlich weniger kosten. Der STANDARD hat ihn getestet.

Ein Promo-Clip des Händlers für den Kugoo S1.
GeekBuying

Verwirrung um Höchstgeschwindigkeit

Wer im Netz nach dem Modell sucht, dürfte einigermaßen schnell verwirrt sein. Denn viele Händler – nicht nur chinesische Importanbieter – haben ihn im Programm. Allerdings besteht Uneinigkeit hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit. Ausgewiesen wird ein 350-Watt-Motor, der also um 100 Watt stärker ist als jener von Xiaomis populären Roller. Bei der Höchstgeschwindigkeit besteht allerdings Uneinigkeit.

Die Angaben variieren zwischen 25 und 35 km/h. Teilweise sogar innerhalb einzelner Angebote. Ein Amazon-Händler weist etwa im Produktnamen 30 km/h aus, gibt aber in der Beschreibung eine Spitzengeschwindigkeit von 25 km/h an. Das sorgt für Unsicherheit, denn das Kraftfahrgesetz sieht bei Höchstgeschwindigkeiten über 25 km/h eine (nur theoretisch mögliche) Typisierung als Moped vor.

Foto: STANDARD/Pichler

Keine verlässlichen Angaben, aber ein Testwert

Zur Verfügung gestellt wurde der Scooter übrigens von Geekbuying, dort sind 30 km/h angegeben. Der Importhändler verkauft ihn für etwa 300 Euro und liefert ihn aus Lagern in Spanien und Polen. Damit fallen keine Extrakosten für den Zoll an, dennoch muss man davon ausgehen, dass die Abwicklung von Garantiefällen einige Zeit in Anspruch nimmt.

Dass eine entsprechende Angabe weder auf der Verpackung, noch auf der beigelegten Kurzanleitung ersichtlich ist und der Hersteller keine Homepage zu besitzen scheint, hilft ebenfalls nicht unbedingt weiter. Aus der Praxis aber lässt sich sagen, dass mit 85 Kilogramm Körpergewicht – transportieren können soll der S1 bis zu 120 Kilogramm – auf ebener Fläche (keine exakte Messung) selbst in der höchsten der drei Geschwindigkeitsmodi nicht mehr als 25 km/h erzielbar waren. 30 km/h waren nur auf abschüssigen Straßenteilen erzielbar, das ist allerdings mit dem Xiaomi-Scootern und ähnlichen Geräten auch möglich.

Foto: STANDARD/Pichler

Verstellbarer Lenker, schwergängiger Klappmechanismus

Bei der Montage fallen drei Vorteile gegenüber dem Platzhirschen auf. Der Kugoo S1 bietet einen Lenker mit Hängehaken, der in drei Stufen höhenverstellbar ist, was eine grobe Anpassung an die Körpergröße erlaubt. Dafür allerdings wackelt der obere Teil der Lenkstande immer ganz leicht. Dazu können die Griffe des Lenkers eingeklappt werden, was beim Abstellen Platz spart. Und der Mechanismus zum Einklappen besteht aus einem einfachen Tret-Hebel. Letzterer Pluspunkt musste im Test allerdings relativiert werden. Denn nach dem zweiten Aufklappen verklemmte sich der Mechanismus und ein Einklappen war erst unter Einsatz eines Hammers möglich. Immerhin, mit etwa 11 Kilogramm Gewicht ist er in kompakter Form immer noch gut transportierbar.

Die Verarbeitung macht einen soliden Eindruck, auch wenn sie nicht das Niveau von Xiaomi erreicht. Negativ fällt das recht kurze Trittbrett auf, dessen "Grip Pad" ziemlich schmal ausfällt. Dennoch steht man sicher darauf, als größerer Mensch allerdings nicht besonders bequem.

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Ausstattung

Gefahren wird auf zwei unterschiedlichen Reifen. Vorne sitzt ein profilierter 8,5-Zoll-Vollgummireifen, hinten kommt ein glatter Reifen zum Einsatz, wie ihn auch viele Tretscooter besitzen. Das begünstigt die Rolleigenschaften, sorgt allerdings dafür, dass auf glatterem Untergrund die Heckpartie des Scooters leichter "ausbricht", was beim Fahren definitiv berücksichtigt werden sollte.

Bremssysteme gibt es zwei. Zum einen gibt es am Lenker einen Regler für eine elektronische Bremse, zum anderen gibt es eine konventionelle Rücktrittbremse über den hinteren Kotflügel. Zur Beleuchtung dient ein Frontlicht mit gleich 24 hellen LEDs und ein rot blinkendes Rücklicht. Wer den Scooter komplett an die Fahrradverordnung anpassen will, muss allerdings noch Reflektoren anbringen – einen vorne und zwei seitlich in weiß oder gelb sowie einen roten am hinteren Kotflügel. Zum Abstellen gibt es einen kleinen Standfuß an der linken Vorderseite.

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"Cruise Control" an Bord

Beim Fahren gewöhnen muss man sich daran, dass dieser Scooter zuerst sehr ruckartig beschleunigt, dann aber eine relativ lange Anlaufzeit zur Höchstgeschwindigkeit hat. Im niedrigsten der drei Leistungsstufen waren rund 13 bis 14 km/h erzielbar, in der zweiten Stufe rund 20 km/h und im stärksten Modus, wie erwähnt, 25 km/h. Dass der Motor wohl tatsächlich stärker ist, als jener des Xiaomi-Scooters fällt bei Steigungen auf, die dieser Roller mit deutlich weniger Leistungsverlusten erklimmen kann.

Ebenfalls ungewöhnlich ist der (nicht abschaltbare) "Cruise Control"-Modus. Nach einigen Sekunden maximaler Betätigung des Geschwindigkeitsreglers hält der Scooter selbständig die Höchstgeschwindigkeit des gerade genutzten Modus, was sich als praktisches Feature erweist. Schaltet man währenddessen die Leistungsstufe um, muss man danach aber noch einmal manuell beschleunigen, damit dieses Kommando auch beim Motor ankommt, der erst dann seine Performance steigert oder verringert.

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Manchmal störrisch

Nach drei Wochen Verwendung gesellte sich ein seltsames Problem hinzu: Nach der Betätigung der elektrischen Bremse reagierte der Scooter manchmal ein paar Sekunden lang nicht mehr auf den Beschleunigungsregler. Dadurch entsteht zwar kein großes Gefahrenpotenzial, allerdings fällt der Umstand auf jeden Fall unter die Kategorie "nervig".

Der Fahrkomfort des S1 ist, abseits des kurzen Trittbretts, mittelmäßig. Er verfügt zwar laut Angaben über eine hydraulische Federung, von der in der Praxis aber nicht viel zu merken ist. Es gilt also, Kopfsteinpflaster und ähnlichen Untergrund besser zu meiden.

15 Kilometer Reichweite

Infos über die aktuelle Geschwindigkeit, Modus und seit dem letzten Einschalten zurückgelegte Distanz zeigt ein beleuchtetes Display auf der Oberseite eines eher hässlichen Kunststoffkastens, der auch das Frontlicht und fünf gummierte Knöpfe beherbergt. Mit den kleinen, recht gut erreichbaren Buttons schaltet man den Leistungsmodus um, schaltet das Licht ein, wechselt zwischen der Anzeige von aktuell und insgesamt zurückgelegter Distanz (50 Kilometer im Rahmen des Tests) und kann auch die Klingel betätigen. Diese besteht lediglich aus einem nicht sonderlich lauten Piepton, weswegen die Anbringung einer separaten Fahrradklingel überlegenswert erscheint.

Mit einer Akkuladung soll es der Kugoo S1 bis zu 30 Kilometer weit schaffen. Möglicherweise gelingt dies, wenn man ausschließlich im sparsamsten Modus unterwegs ist. Doch nutzt man vorwiegend die mittlere Stufe, so ist bei rund 15 Kilometern Schluss. Für eine volle Ladung muss der Scooter danach fünf bis sechs Stunden mit Strom gefüttert werden. Angebracht ist der Ladeanschluss unterhalb des Faltscharniers, eine Gummikappe schützt es vor Dreck und Nässe. Der S1 soll dem IP54-Standard entsprechen, womit er als "regenfest" gilt.

Foto: STANDARD/Pichler

Fazit

Der Kugoo S1 ist ein solider Scooter mit vergleichsweise starkem Motor, der dank einstellbarer Lenkerhöhe für verschiedene Körpergrößen geeignet ist. Die Verarbeitung entspricht zwar nicht dem Niveau, wie es etwa der Xiaomi M365 bietet, bietet aber auch keine Veranlassung zur Sorge. Nach mehrwöchigem Test zeigten sich keine relevanten Abnutzungserscheinungen an dem Gerät.

Fahren macht Spaß, wenn man sich einmal an das etwas eigenwillige Beschleunigungsverhalten gewohnt hat. Die integrierte "Cruise Control" ist ein sinnvolle Ergänzung. Hin und wieder verweigerte das Testgerät aber kurz die Kooperation, wenn man nach einem Bremsvorgang unmittelbar wieder beschleunigen wollte. Zudem ist die elektronische Klingel kaum zu gebrauchen. Die Reichweite liegt – wie auch bei anderen Rollern – deutlich unter den Angaben, übertrifft aber jene des Xiaomi-Modells trotz des stärkeren Motors.

Wer einen budgetfreundlichen E-Scooter sucht, könnte den S1 in Betracht ziehen – wenn da nicht die ungeklärte "Bauart" wäre. Denn da es keine einheitlichen Angaben zur Höchstgeschwindigkeit gibt und offizielle Herstellerangaben nicht auffindbar waren, ist schlicht ungeklärt, ob er in Österreich noch als Fahrrad gilt und somit am Straßenverkehr teilnehmen darf. (Georg Pichler, 23.03.2019)