Was würde Sebastian Kurz sagen, wenn er so offen und öffentlich über seine Medienstrategie plauderte wie einst Gerhard Schröder als deutscher Bundeskanzler? "Zum Regieren brauche ich nur 'Bild', 'BamS' und Glotze", erklärte der von 1998 bis 2005 kanzleramtierende Sozialdemokrat – Boulevardblatt, Boulevardsonntagsblatt und Fernsehen also. "Krone" und "Österreich", der frisch umbesetzte "Kurier" und die Bundesländerzeitungen, dazu Facebook (samt Instagram und Whatsapp), könnte Kurz sagen.

Die beiden Boulevardmediengruppen wirken, von der Schlagzeile bis zur Jeannée-Kolumne, regelmäßig wie Fanzines von Sebastian Kurz, oft auch seiner Regierung. Bei vielen – traditionell bürgerlichen – Bundesländerblättern klingt, wenn auch etwas dezenter, einiges Wohlwollen durch. Das mag auch mit den traditionell hohen, bei ÖVP und FPÖ 2018 laut parlamentarischen Anfragen noch deutlich höheren Inseratenbudgets der Ministerien zusammenhängen.

Spätestens mit dem Wahlkampf 2017 baute Kurz' Team beachtliche Verteiler von Menschen auf, die über E-Mail und Whatsapp laufend mit Erfolgsmeldungen versorgt und zur Unterstützung etwa auf Social Media animiert werden.
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Der Einstieg von Immobilienmilliardär René Benko bei der "Krone" könnte zumindest auch einer Vertiefung der Beziehung zu Österreichs noch immer weit größter Tageszeitung und ihrem reichweitenstarken Onlineportal dienen. Kanzler Kurz soll schon versucht haben, den Investor Benko dem bisher vom neuen Gesellschafter wenig begeisterten "Krone"-Herausgeber und Hälfteeigentümervertreter Christoph Dichand näherzubringen. So erzählen es jedenfalls Menschen mit Zugang zu Dichand.

Die Liebe der "Krone"

Denn die Liebe der "Kronen Zeitung" kann auch jäh enden: Wiens Bürgermeister Michael Ludwig etwa hat gelernt, wie rasch die "Krone" langjährige Sympathie vergessen kann, wenn man einem Kontrahenten der Dichands zu weit entgegenkommt.

Sebastian Kurz und die Seinen suchen vor allem aber direkten Zugang zum Wahlvolk. Auf Facebook mit Regierungspartner Heinz-Christian Strache gleichzuziehen, kostete nicht nur Mühe und Einsatz. Die Facebook-Seite des FPÖ-Chefs war lange der Prototyp direkter politischer Kommunikation in Österreich und das Rückgrat einer eigenen Medienwelt mit FPÖ-TV, "unzensuriert.at" und vielen anderen Nahversorgern, bis auf das Zusammenspiel mit "Krone" und "Österreich" weitgehend fernab der alten, kritischen Blätter und Kanäle.

Spätestens mit dem Wahlkampf 2017 baute Kurz' Team beachtliche Verteiler von Menschen auf, die über E-Mail und Whatsapp laufend mit Erfolgsmeldungen versorgt und zur Unterstützung etwa auf Social Media animiert werden.

Und wo bleibt da Österreichs weitaus größtes und reichweitenstärkster Medienkonzern, der ORF? Nicht im Fokus des digital sozialisierten Millennials Kurz, sagen Menschen, die seinem Team nahe genug für grobe Einblicke sind, aber fern genug, um auch darüber zu sprechen. Sie umreißen seine Medienstrategie eben mit "Krone", "Österreich", "Kurier", Bundesländerzeitungen und viel direkter Kommunikation.

ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz bemüht sich um passendes Personal und Programm.
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Ist der ORF also der ÖVP des Sebastian Kurz egal – ProSiebenSat1Puls4 hat ja insgesamt schon mehr Marktanteil beim jüngeren Publikum?

Kurz vielleicht, der ÖVP aber sicher nicht: Die Landeshauptleute, sechs von neun stellt die ÖVP, hängen doch noch sehr an ihrer alten, großen Bühne "Bundesland heute" aus dem jeweils passend besetzten Landesstudio. Das wichtigste Entscheidungsgremium des ORF – der Stiftungsrat – wurde rasch nach dem Regierungswechsel 2018 auf tief Türkis und so Blau wie nie umbesetzt. Umgehend kamen dann auch gleich die – vor allem auch farblich – passenden neuen Channel-Manager und Chefredakteure für die Hauptprogramme ORF 1 und ORF 2: drei Bürgerliche und einer, den die Freiheitlichen fair fanden.

Sie und andere Funktions- und Hoffnungsträger im Rundfunk mit guten Verbindungen in die Regierung werden den ORF und seine Rolle, wenn nötig, in den Fokus rücken. Heute, Dienstag, zum Beispiel ist nun das interne Hearing für die mächtige Schlüsselfunktion des ORF-Personalchefs angesetzt – FPÖ-Vertrauensfrau Kathrin Zierhut gilt als gesetzt und als spätere Kandidatin für einen ORF-Vorstand nach dem neuen ORF-Gesetz.

An dem neuen Gesetz arbeiten ÖVP und FPÖ seit Jänner, nicht immer miteinander. Und in beiden Parteien gibt es Hardliner (Staatsfinanzierung, GIS-Gebühren abschaffen, wozu ein ORF?) und Realisten, die, grob gesprochen, im bisherigen System Einfluss sichern wollen.

Eine Show für den Kanzler

Ein Vorstand statt des Alleingeschäftsführers gilt als fix. Noch nicht fix ist, ob Alexander Wrabetz auch einem neuen Vorstand angehört, bis sein aktueller Vertrag Ende 2021 ausläuft. Er bemüht sich darum nach Kräften – mit passendem Personal und Programm. Vor Weihnachten rückte der ORF-Chef noch rasch eine "Lebensretter"-Hauptabendshow ins Programm, Hauptdarsteller: Sebastian Kurz, vorgestellt als "Initiator" der Helden- und Heldinnen-Show. Entstanden in Wrabetz' regelmäßigem Austausch mit dem Kanzler und dem Regierungssprecher.

Auch unterhalb eines Vorstands gibt es einige türkis-blaue Personalthemen. Bis Ende 2019 läuft der Vertrag von Karl Pachner, den Sozialdemokraten zugerechnet, als Geschäftsführer der ORF-Onlinetochter. Schon wird wieder und intensiv kolportiert, die ÖVP, die FPÖ oder alle beide betrieben die Ablöse des ORF.at-Chefredakteurs Gerald Heidegger. Österreichs allergrößtes Nachrichtenportal mit fast 100 Millionen Besuchen und Zugriffen von fast elf Millionen unterschiedlichen Geräten pro Monat interessiert auch Millennials. Und wenn sie zugleich Kanzler und Parteichef sind, interessieren sie ebenso die Nachrichten auf Ö3, dem mit großem Abstand meistgehörten Sender, und damit der Job des Ö3-Infochefs, derzeit Sebastian Prokop.

Die neuen, nach langem Drängen vor allem von ÖVP und FPÖ in Kraft gesetzten Social-Media-Regeln für ORF-Mitarbeiter könnten der türkis-blauen Hoffnung entspringen, in der sozialen Kommunikation mit dem Wahlvolk weniger von kritischen Journalisten gestört zu werden. Wobei: Die Regeln erlauben weiter "sachlich begründete und formulierte kritische Auseinandersetzung und persönliche Wertung". (Harald Fidler, 12.3.2019)