Eine der raren Aufnahmen von Orcas des Typs D in antarktischen Gewässern. Die von diesen Tieren genommenen Gewebeproben könnten zeigen, dass es sich bei ihnen um eine eigene Art handelt.
Foto: J.-P. Sylvestre

In der Familie der Delfine zählt der Schwertwal (Orcinus orca) nicht nur zu den größten, sondern wohl auch zu den charismatischsten Mitgliedern. Die bis zu annähernd zehn Meter langen, schwarz-weiß gefärbten Räuber gelten als intelligent, außerordentlich sozial und haben in ihren jeweiligen Lebensräumen – zum überwiegenden Teil Regionen der gemäßigten bis polnahen Klimazonen – unterschiedliche Ökotypen ausgebildet, die sich vor allem durch ihre bevorzugten Beutetiere unterscheiden.

Unterschiedliche Ökotypen

So haben sich beispielsweise einige Populationen auf die Jagd nach Meeressäugern wie Robben oder Zwergwale spezialisiert, während es die sogenannten "Coastal Fish-eaters" meist in Küstennähe auf Fische abgesehen haben. In der Antarktis wiederum werden die Ökotypen A, B und C unterschieden, die sich jeweils kaum miteinander kreuzen und völlig unterschiedliche Lebensweisen an den Tag legen.

Die übrigen Schwertwal-Typen (oberes Bild) unterscheiden sich vom antarktischen Typ D (unten) deutlich: Der Kopf ist stärker gewölbt, die Rückenflosse schmäler und spitzer und die typischen weißen Augenflecken sind wesentlich kleiner.
Illustr.: Uko Gorter.

Und dann gibt es in südpolaren Gewässern noch den äußerst seltenen Typ D – eine geradezu mythische Schwertwal-Variante. Die Kenntnisse über die Existenz dieser Tiere stützen sich nur auf einige wenige Einzelbeobachtungen. Erstmals nachgewiesen wurden diese merkwürdigen Schwertwale bei einer Massenstrandung im Jahr 1955. Damals starben 17 dieser Wale an der Küste vor Paraparaumu in Neuseeland. Im Unterschied zu den bis dahin bekannten Orcas besaßen diese Schwertwale ungewöhnlich gewölbte Köpfe, schmälere und spitzere Rückenflossen und äußerst kleine weiße Augenflecken.

Die Wissenschafter, die die Kadaver näher untersuchten, kamen zunächst zu dem Schluss, dass es sich bei den gestrandeten Walen um eine einmalige genetische Variante handelte. Erst Jahre später sollte sich aufgrund von Touristenfotos und vereinzelten Berichte von Fischern zeigen, dass die damals angelandeten Orcas möglicherweise einem eigenen Typus, vielleicht sogar einer eigenständigen Spezies angehören.

Video: Seltene Filmaufnahmen vom mysteriösen Typ-D-Schwertwal vom Jänner 2019 (Kap Hoorn, Südküste von Chile).
NOAA Fisheries

Einmalige Gewebeproben

Im vergangenen Jänner ist es einem internationalen Forscherteam gelungen, eine ganze Gruppe dieser seltenen Orcas an der Südspitze von Chile aufzuspüren und sogar filmisch festzuhalten. Mehr noch: Die Wissenschafter um Bob Pitman vom Southwest Fisheries Science Center in La Jolla (Kalifornien) der Nationalen Ozean- und Atmosphärenbehörde (NOAA) konnten erstmals Gewebeproben von lebenden Exemplaren der mysteriösen Tiere sammeln, was bisher einmalige Erkenntnisse über die Typ-D-Orcas ermöglichen dürfte.

"Wir sind äußerst gespannt, was unsere Genanalysen ergeben werden, denn Schwertwale vom Typ D könnten sich letztlich als die möglicherweise größte bislang unbeschriebene Spezies der Erde entpuppen", sagt Pitman. "Eine solche Erkenntnis belegt damit im Grunde auch, wie wenig wir über das Leben in den Ozeanen in Wahrheit wissen."

Video: Bob Pitman beschreibt die Charakteristika der Typ-D-Orcas.
NOAA Fisheries

Das Forscherteam kam mit den seltenen Walen in Kontakt, nachdem es bei Kap Hoorn vor der chilenischen Küste mehr als eine Woche vor Anker gelegen hatte, um das Ende eines Sturms abzuwarten. Kurz nachdem das Schiff endlich wieder in See stechen konnte, traf es auf eine größere Gruppe von Schwertwalen, die sich beim näheren Hinsehen als der seltene Typ D entpuppte. Die Wissenschafter nutzten die einmalige Gelegenheit und sammelten mithilfe von speziellen Speeren drei Hauptproben von den Tieren.

Um das Geheimnis dieser einzigartigen Schwertwale letztlich zu lösen, müssen NOAA-Forscher nun die geborgenen Gewebeproben genauer analysieren. "Diese Proben enthalten den Schlüssel zu der Frage, ob die Orcas vom Typ D tatsächlich eine eigene Spezies repräsentieren", sagt Pitman. (Thomas Bergmayr, 12.3.2019)