Viktor Orbán, der 55 Jahre alte Ministerpräsident eines kleinen Landes mit weniger als zehn Millionen Einwohnern, ist in den letzten Jahren der bekannteste und umstrittenste Politiker Europas geworden. Vom Londoner "Economist" bis zur "Neuen Zürcher Zeitung", von der "Frankfurter Allgemeinen" sogar bis zur "New York Times" beschäftigen sich die wichtigsten (außer)europäischen Medien mit der Frage, ob seine national-populistische Fidesz-Partei aus der Europäischen Volkspartei (EVP) ausgeschlossen wird.

Dass sich die Stimmung in dem für Ungarn politisch und wirtschaftlich wichtigsten EU-Land, in Deutschland, auch gewandelt hat, zeigt die Haltung der konservativen und jahrelang eher Orbán-freundlichen "FAZ". Eine Trennung von Fidesz sei aus inhaltlichen Gründen überflüssig, hieß es in einem Kommentar am Samstag: "Fidesz nutzt die EVP schon lange nur noch als Schutzschild, unter dem sie in Worten und Taten eine Politik betreibt, die mit christlich-demokratischen Werten unvereinbar ist." Bisher haben zwölf Parteien aus neun Ländern den Ausschluss der Fidesz-Partei aus der EVP beantragt.

Autoritäres System

Seit Jahren kritisieren die diversen EU-Gremien den zielbewussten Aufbau eines durch scheindemokratische Dekorationen verschleierten autoritären Systems, die Übergriffe auf die Gewaltenteilung, die Medienfreiheit und die Zivilgesellschaft. Es war jedoch die vor zwei Wochen lancierte Plakatkampagne für die Europawahl, die das Fass zum Überlaufen brachte. Die im ganzen Land verbreiteten Plakate haben den EU-Kommissionspräsidenten (und EVP-Mitglied) Jean-Claude Juncker und den US-Milliardär und Philanthropen George Soros, beide grinsend, abgebildet, wobei suggeriert wurde, dass sie Pläne schmiedeten, um die Migration zu befördern.

Unter dem Druck der Empörung innerhalb der EVP und auch der öffentlichen Meinung stellte der EVP-Spitzenkandidat für die Europawahl, der deutsche CSU-Politiker Manfred Weber, drei Bedingungen, die Orbán für den Verbleib in der EVP erfüllen müsse: den sofortigen Stopp der Anti-Brüssel-Kampagnen, eine Entschuldigung bei den anderen Mitgliedsparteien und die Rückkehr der von der Soros-Stiftung finanzierten Central European University, deren Hauptsitz wegen der Schikanen des Orbán-Regimes nach Wien verlegt wird.

Dass Weber nun vor der entscheidenden EVP-Versammlung doch nach Budapest reist, um Orbán zum Einlenken zu bewegen, und Orbán zugleich die "polnische Kartei" spielt, um den Zusammenschluss mit der rechtsnationalen PiS als eine mögliche Option im Falle eines Bruches anzudeuten, sind symbolträchtige Beweise, dass die Würfel noch nicht gefallen sind. Beiden Seiten geht es um Parteiinteressen vor der Europawahl, und der ungarische Europameister des raffinierten Zynismus hat trotz des Scheins die besseren Karten. Nach neun Jahren politischer Gleichschaltung braucht er weder auf eine freie Presse noch eine starke Opposition Rücksicht zu nehmen.

Orbán allein entscheidet, ob er den Rauswurf provoziert und sich als Opfer inszeniert oder einem von der EVP-Mehrheit und von dem bedrängten Weber sehnlichst erwünschten faulen Kompromiss vor der Europawahl doch zustimmt. (Paul Lendvai, 11.3.2019)