Frage: Was wurde da gestern Abend in Straßburg ausgehandelt?

Antwort: Drei Dokumente sind das Ergebnis von Theresa Mays Reise auf den Kontinent. Alle drei haben etwas sperrige Namen:

  • Eines ist ein sogenanntes "Instrument" mit "rechtlich bindenden Änderungen" zum bereits ausverhandelten Abkommen im Zusammenhang mit der umstrittenen Backstop-Lösung, die eine harte Grenze zwischen Irland und der britischen Region Nordirland verhindern soll. Nachzulesen ist das hier. Dieses Instrument gibt der Regierung in London die Möglichkeit, einen "formellen Streitfall" einzuleiten, sollte die EU nach Ende der Übergangsfrist versuchen, das Land zeitlich unbefristet im Backstop – und damit in der Zollunion – zu halten.
  • Bei dem anderen Dokument handelt es sich um eine gemeinsame Erklärung über das zukünftige Verhältnis Großbritanniens und der EU, in der sich beide Parteien verpflichten, bis Dezember 2020 einen Ersatz für die Backstop-Regelung zu finden.
  • Und drittens veröffentlichte die britische Regierung am Montagabend noch eine "unilaterale Erklärung", die Großbritannien nach dem Brexit das Recht gibt, aus dem Backstop-Abkommen einseitig und jederzeit auszusteigen, wenn es keine Aussicht auf Einigung gibt.

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Zwischen allen Stühlen: Theresa May will endlich Klarheit.
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Frage: Was hält die britische Opposition davon?

Antwort: Labour-Schatten-Brexitminister Keir Starmer lässt erwartungsgemäß kein gutes Haar an den Straßburger Ergänzungen. Was drinsteht, "war auch beim letzten Mal schon da", als die Abgeordneten May eine historische Niederlage bescherten. Weder das Austrittsabkommen noch die Erklärungen über die zukünftigen Beziehungen hätten eine substanzielle Änderung erfahren. Parteichef Jeremy Corbyn forderte seine Abgeordneten auf, auch den neuen Deal abzulehnen. Im Unterhaus warf er Dienstagabend der Regierung vor, die Entscheidung absichtlich so lange zu verzögern, bis sich Abgeordneten wegen der Perspektive eines No-Deal-Brexits ausreichend unter Druck gesetzt fühlen, um dem Deal zuzustimmen. Chris Leslie von der "Independent Group", einer erst vor wenigen Wochen entstandenen Riege von Labour- und Tory-Abtrünnigen, erklärte: "Niemand glaubt dem Brexit-Schwindel."

Frage: Und was sagen Mays Parteifreunde und Koalitionspartner dazu, vor allem: Sind die Brexiteers nun zufrieden?

Antwort: Es ist alles sehr kompliziert.

  • Die nordirischen Unionisten (DUP), die Mays Mehrheitsbeschaffer im Unterhaus sind, wollten den neuen Deal erst "Zeile für Zeile" durcharbeiten, bevor sie entscheiden, ob sie ihn unterstützen. Später gab die Partei ihre Absicht bekannt, erneut mit Nein zu stimmen.
  • Umweltminister Michael Gove, eine Schlüsselfigur der Konservativen, appelliert an die Abgeordneten, die Premierministerin nun zu unterstützen. Anderenfalls bestehe das Risiko, einen weitaus weicheren Brexit zu bekommen als jenen, für den die Bürger gestimmt hätten. Ihm könnten weitere gemäßigte Brexit-Anhänger folgen.
  • Dass sich die Hardcore-Brexiteers diesmal nicht gleich direkt zu Wort gemeldet haben, wurde in London am Dienstagmorgen zunächst als gutes Zeichen für May gewertet. Zu Unrecht: Die extrem EU-kritische European Research Group (ERG) gab am Nachmittag ihre Ablehnung des neuen Deals bekannt. Sie berief sich auf die Rechtsmeinung des Generalstaatsanwalts Geoffrey Cox. Dieser, selbst Brexiteer, hatte zwar persönlich empfohlen, für den neuen Deal zu stimmen. Er hatte allerdings auch zu verstehen gegeben, dass es seiner juristischen Einschätzung nach nicht ausreichende Änderungen gegenüber dem bisherigen Deal – vor allem im Bereich des Nordirland-Backstops – gebe.

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Das britische Unterhaus muss nun über Wohl und Weh des Deals entscheiden.
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Frage: War es das für die EU nun endgültig?

Antwort: Auch wenn es das schon des Öfteren geheißen hat: Diesmal war es wohl wirklich das letzte Mal, dass die EU mit Großbritannien über den Brexit verhandelt hat. Brüsseler Journalisten zitierten am Montagabend eine Quelle aus dem Umfeld Junckers, wonach der "Schrank jetzt endgültig leer" sei. Stimmt das Londoner Unterhaus einmal mehr gegen Mays Deal, sei es das gewesen, eine dritte Chance werde es nicht geben, betonte Juncker. Der irische Premierminister Leo Varadkar lobte die Ergebnisse von Montagabend, man habe "gute Absichten" walten lassen. Am Backstop, der für sein Land von vitalem Interesse ist, habe man aber nicht gerüttelt. Dafür wurde er von der Opposition in Dublin wegen seiner angeblichen Nachgiebigkeit kritisiert. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte am Dienstag im Deutschlandfunk, man brauche sich für das Zugehen auf May nicht zu genieren: "Niemand sollte sich ein No-Deal-Szenario wünschen. Insofern ist es nicht ein Fehler oder Schwäche, wenn Jean-Claude Juncker einen kleinen Schritt auf Theresa May zumacht, sondern es ist sinnvoll und richtig. "

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Ein letzter Kuss: May und Juncker wollen nicht mehr diskutieren.
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Frage: Wie geht es nun weiter?

Antwort: Dafür gibt es, je nach Ausgang des Votums heute, mehrere Szenarien. Kurz gesagt: Scheitert May heute abermals, gibt es am Mittwoch die nächste Abstimmung, diesmal über die Frage, ob Großbritannien ohne Abkommen am 29. März aus der EU austreten soll. Sagt das Unterhaus dazu Nein, würden die Abgeordneten vermutlich am Donnerstag ein weiteres Mal befragt werden, nämlich darüber, ob London in Brüssel um einen Aufschub des Brexits ansuchen soll. Juncker stellte am Montag jedenfalls klar, dass Großbritannien auf jeden Fall vor der EU-Wahl vom 23. bis zum 26. Mai ausgetreten sein sollte. Sei es das nicht, müsse das Land nämlich daran teilnehmen. (Florian Niederndorfer, 12.3.2019)