"Keine Rücksicht auf Damen, in der Arbeit sind alle Handwerker!", spricht Walter Gropius, Gründer des Bauhauses, in seiner ersten Rede vor den Studenten in Weimar. Das Bauhaus soll ein Zeichen moderner Architektur werden und ein Beispiel für angewandte Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen sein. Das Geschlechterverhältnis des ersten Jahrgangs 1919 ist ausgeglichen, jeder Studierende hat Zugang zu jeder Fachrichtung, das Bauhaus wirkt nach dem Krieg wie ein Paradies der Moderne.

Noch heute wird die Geschichte des Bauhauses vor allem mit den Namen ihrer berühmten männlichen Vertreter erzählt. Dabei könnte sie genauso gut auch über ihre zahlreichen Gestalterinnen wiedergegeben werden. Dass fast alle Frauen am Bauhaus ihre Erfolge erst nach ihrem Tod erfahren haben, hat mit der Geschichte der Akademie zu tun.

Das Jahr 1919 ist für Frauen in Deutschland ein bedeutsames. Im November 1918 wird das Frauenwahlrecht in der Weimarer Republik angekündigt, im Jänner 1919 wird es in den Wahlen zur Nationalversammlung das erste Mal angewandt.

Das Schiffbauspiel von Alma Siedhoff-Buscher.
Foto: Erich Consemüller, about 1927 / © Klassik Stiftung Weimar / © Stephan Consemüller (Erich Consemüller)

Walter Gropius ist dem Zeitgeist voraus, als er sagt, am Bauhaus herrschten "absolute Gleichberechtigung, aber auch absolut gleiche Pflichten". Patrick Rössler, Professor für Kommunikationswissenschaften an der Universität Erfurt und Co-Autor des Buches Frauen am Bauhaus (Knesebeck-Verlag), sagt: "Dass 1919 Frauen mit Männern zusammen an einer Kunstschule studieren konnten, war schon ein gigantischer Fortschritt."

Gropius aber rudert zurück. Frauen seien nicht für schweres Handwerk gemacht, und an sein Kollegium schreibt er, besonders an die, die sich um die Aufnahme neuer Bewerber kümmern: "Keine unnötigen Experimente mehr!" Das bedeutet nichts anderes als: nicht mehr so viele Frauen.

Dass Gropius aus persönlichen Beweggründen heraus handelt, darf angezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist es, dass er gesellschaftlichen Zwängen nachgibt. Das Bauhaus hat von Anfang an Kritiker und Geldprobleme. Seine Gedanken: Wenn an der Akademie so viele Frauen studieren, wird sie nur schwer ernst genommen. "Dass Gropius den Ruf seiner Schule nicht aufs Spiel setzen wollte, ist aus der Zeit heraus nachvollziehbar", sagt Rössler.

Ein Service von Marianne Brandt.
Foto: Alessi

Bis heute Klassiker

Mit der Begründung, Frauen könnten nicht gut dreidimensional sehen und besser in der Fläche arbeiten, entsteht inoffziell die Frauenklasse. Sie macht einen Großteil der Textilwerkstatt und Weberei aus. Manchen Frauen wird der Weg dorthin empfohlen, manche gehen freiwillig und gern an den Webstuhl.

Sie alle entwickeln die Textilwerkstatt weiter. Und sie lassen sich nicht beirren. Auch nicht von Aussagen, wie von Bauhaus-Meister (und Ausbilder) Oskar Schlemmer, der sagt: "Wo Wolle ist, ist auch ein Weib. Und sei es nur zum Zeitvertreib." Sie entwickeln innerhalb der Frauenklasse die Weberei zu ihrer eigenen Kunstform. Und das lohnt sich: Die Frauenklasse bleibt in der Geschichte des Bauhauses eine der erfolgreichsten Werkstätten. Sie macht Geld, verkauft und stellt ihre Stücke aus.

Eine Frau, die sich innerhalb der Frauenklasse einen Namen macht, ist Anni Albers. Nach anfänglichen Schwierigkeiten in der Weberei experimentiert sie schon bald mit verschiedensten Farben und Geweben. Dabei bleibt sie dem Bauhaus-Stil treu, verwendet für ihre Wandteppiche ausschließlich symmetrische Motive und Grundformen.

Frauenpower à la Bauhaus: ein Wandbehang von Anni Albers.
Foto: Erich Consemüller, about 1927 / © Klassik Stiftung Weimar / © Stephan Consemüller (Erich Consemüller)

Ihre Werke wirken aufgrund der geometrischen Muster ruhig und geordnet, die Farben wie aus einem Guss. Das Museum of Modern Art in New York widmet ihr 1949 als erster Weberin überhaupt eine Einzelausstellung.

Ausnahmen, sprich Frauen außerhalb der Weberei, gibt es nur wenige. Aber es gibt sie. Marianne Brandt ist eine der wenigen Studentinnen, die sich in der Metallwerkstatt des Bauhauses durchsetzt. Mit der Zeit überzeugt sie die Kollegen mit ihren Entwürfen.

Sie verbinden Funktion mit edlem und zeitlosem Design. Ein Teeextraktkännchen aus ihrer Feder wird 2007 für 361.000 US-Dollar verkauft und bleibt damit für lange Zeit das Bauhaus-Objekt mit dem höchsten eingespielten Auktionspreis.

Die Liste der Ausnahmen lässt sich unter anderem durch Kategorien wie Holzarbeit erweitern. Den Namen Alma Siedhoff-Buscher verbindet man bis heute mit ihrem "Kleinen Schiffbauspiel", das Kinder sowohl zur Nachahmung als auch zum Ausleben ihrer Kreativität einlädt.

Die Beispiele Albers, Brandt und Siedhoff-Buscher zeigen, dass die Arbeit der Künstlerinnen der der Männer in nichts nachsteht. "Keine Unterschiede zwischen dem starken und dem schönen Geschlecht", sagt Gropius zu den 84 weiblichen Studierenden in seiner Eröffnungsrede. Er steht nicht zu seinem Wort. Sie schreiben trotzdem Geschichte. (Thorben Pollerhof, RONDO, 27.5.2019)

Die Maske ist ein Entwurf von Oskar Schlemmer, der Sessel stammt von Marcel Breuer. Die Frau selbst bleibt anonym, so wie viele Studentinnen am Bauhaus in den Hintergrund verbannt waren.
Foto: Die Neue Sammlung – The Design Museum (A. Laurenzo)