Mehr Ideen, als Heuschrecken einst Ägypten plagten, verarbeitet Nina Paley in ihrem Langfilm "Seder-Masochism": Figuren tanzen zum 2. Buch Mose und auch zu Guns N' Roses.

Foto: Tricky Women

Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Biografie von Eugene Falleni auch von Hollywood entdeckt wird. 1920 wurde er in Sydney des Mordes an seiner Ehefrau für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Was den Fall so aufsehenerregend machte, ist jedoch nicht seine Entlassung aus dem Gefängnis elf Jahre später, sondern dass Falleni als Frau geboren wurde und heute zu den ersten dokumentierten Transgender-Personen des frühen 20. Jahrhunderts gezählt wird.

Verzwickte Wirklichkeiten

Während die Welt noch darauf wartet, dass sich eine Schauspielerin in der Rolle von Eugenia/ Eugene eine Oscar-Nominierung holt, haben Regisseurin Anas Caura und Drehbuchautorin Joëlle Oosterlinck die Story für ihren mehrteiligen Animationsfilm The Man Woman Case verwendet. Ihre Kinopremiere als Halblangfilm erlebt die Arbeit nun beim Festival Tricky Women / Tricky Realities, das Animationsfilme von Frauen im Wiener Metro-Kino zeigt.

Von dem im Zuge eines Relaunchs neu hinzufügten Namenszusatz von den verzwickten Wirklichkeiten ("Tricky Realities") sollte man sich nicht abschrecken lassen. Das Festivalprogramm, das diesmal unter anderem mit Spezialschienen zu Filmen aus China und Regisseurinnen des Defa-Trickfilm-Studios Dresden aufwartet, bleibt so vielfältig, wie man es seit 2001 gewohnt ist. Dass dabei gesellschaftliche und politische Prozesse verarbeitet werden, liegt in der Natur der künstlerischen Sache.

Leuchtendes Rot und Blau

Zugleich lässt sich einmal mehr entdecken, wie vielfältig und facettenreich die Ausdrucksmöglichkeiten des animierten Films sind, dessen Spektrum von bewegten Puppen bis zu abstrakten Computergrafiken reicht. In The Man Woman Case wird der mit wenigen schwarzen Strichen ausgeführte Eugene Falleni, ein von der Polizei gejagtes Phantom ohne Gesicht, immer wieder von Gedanken überschwemmt, die in leuchtendem Blau oder Rot die Konflikte zeigen, die er in seinem Inneren austragen muss.

Ein ganz anderes Spektakel ist Seder-Masochism, der neue Langfilm von Nina Paley. Nach Sita Sings the Blues (2008), in dem sie das indische Nationalepos Ramayana als Hintergrund eines kunterbunten Musicals verwendete, lässt Paley ihre Figuren nun zum 2. Buch Mose tanzen.

Dazu gibt es Erklärungen zum Sederabend des jüdischen Pessach-Festes, eine Unterhaltung mit dem als gottgleiche Pyramide mit Wallehaar gezeichneten Vater der Filmemacherin und einen Aufstand der im Zuge des Exodus vom Patriarchat ihrer Macht beraubten Göttinnen. Musik von den Pointer Sisters bis Guns N' Roses und mehr Ideen, als Heuschrecken einst Ägypten plagten, machen Seder-Masochism zu einem frechen, sehenswerten Potpourri. (Dorian Waller, 13.3.2019)