Der legendäre Schriftzug an der Fassade des Bauhaus-Gebäudes in Dessau, um 1930.

Foto: Bauhaus-Archiv, Berlin

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Der Gründer und erste Direktor des Bauhauses, Walter Gropius, 1930.

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Die Lobby des Bauhauses während des "Metallischen Fests", 1929.

Foto: Bauhaus-Archiv, Berlin

STANDARD: Wie schaut es bei Ihnen zu Hause aus? Wie in einem Bauhaus-Museum?

Magdalena Droste: Überhaupt nicht, meine Wohnung ist voll mit Möbeln von Thonet.

STANDARD: Kein Bauhaus?

Droste: Keine Möbel, aber zum Beispiel das Geschirr und das Besteck von Wilhelm Wagenfeld. Ich frühstücke also jeden Morgen mit dem Bauhaus. Ich liebe auch Wagenfelds Lampe.

STANDARD: Frau Droste, Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit dem Bauhaus. Was ist denn für Sie das Faszinierende an der Bewegung?

Droste: Es sind die Intensität und der unbedingte Wille zur Modernität dieser Schule. Und der starke Zusammenhalt der Gemeinschaft untereinander.

STANDARD: Es muss doch auch viel Zores gegeben haben. Am Bauhaus wurden die unterschiedlichsten Disziplinen gelehrt, und die Lehrer waren sehr verschiedene Charaktere. Das riecht nach Streit.

Droste: Es gab einen großen Konflikt, der sich durch das ganze Bauhaus zieht. Dabei geht es um Autorschaft, also die Frage, ob bei einzelnen Produkten der individuelle Urheber oder das Bauhaus genannt werden sollte.

STANDARD: Das klingt nach einem Streit um Geld.

Droste: Ja, natürlich, und nach einem Streit bezüglich Lizenzen. Es gibt ja auch heute noch Unternehmen, bei denen der Gestalter nicht am Produkt verdient, wenn er es im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses entwickelt hat.

STANDARD: Und wie wurden die Konflikte gelöst?

Droste: Oft zugunsten der Schüler.

STANDARD: Wer hat das entschieden?

Droste: Der Meisterrat oder der Direktor.

STANDARD: Wie gestaltete sich eigentlich der Aufnahmemodus an der Schule?

Droste: Man bewarb sich mit einer Mappe. Die sahen sich der Meisterrat und oft auch der Direktor an. Im Anschluss gab es ein Voting durch die Lehrer. Die Leistungen der Schüler wurden nach jedem Semester neu evaluiert.

STANDARD: Das heißt, man konnte auch rausfliegen.

Droste: Ja, und es sind nicht wenige rausgeflogen.

STANDARD: Kann man überhaupt von einem Bauhaus sprechen? Die Bauten, Möbel, Textilien etc. unterscheiden sich stilistisch zum Teil sehr stark. Wo fängt das Bauhaus an, und wo hört es auf?

Droste: Ich denke, es geht gar nicht so sehr darum, das Bauhaus stilistisch zu fassen. Es geht um eine Schule.

STANDARD: Dennoch wird es von vielen Zeitgenossen gern unter einer Stilrichtung zusammengefasst, obwohl Gropius geschrieben hat: "Das Ziel des Bauhauses ist eben kein Stil, kein System, Dogma oder Kanon, kein Rezept und keine Mode!" Das scheint nicht geglückt zu sein.

Droste: Das Bauhaus hat sich von Anfang an zu einer kulturellen Marke entwickelt, indem es für eine ornamentlose Moderne stand. Man muss auch berücksichtigen, dass diese Marke von den drei Direktoren der Schule unterschiedlich bespielt wurde.

STANDARD: Können Sie diese drei Phasen kurz erläutern?

Droste: Unter Gropius zeigen die besten Arbeiten eine ganz starke visuelle Rhetorik. Die Funktionen werden aus den Grundformen heraus entwickelt. Man kann von einer Fetischisierung der Grundformen sprechen. Unter Direktor Hannes Meyer wurde das abgelehnt. Er lehrte die Devise Volksbedarf statt Luxusbedarf. Ihm ging es zum Beispiel darum, dass Möbel billiger und zerlegbar sein sollten. Auch wollte er die Entwicklung von Standardprodukten. Er integrierte zum Beispiel bestehende Thonet-Möbel ins Bauhaus. Da bezieht er sich auf Adolf Loos, der schon früher meinte, dass man nicht jeden Stuhl neu erfinden muss.

STANDARD: Ein Kollege von der "Süddeutschen Zeitung" schrieb über den Sessel im Direktorenzimmer von Walter Gropius, "dieser gehöre nicht in die Kategorie 'Sitzmöbel' sondern zum Straftatbestand vorsätzlicher Körperverletzung". Warum machte Gropius so etwas?

Droste: Weil er der Ideologie der Grundformen huldigte. Er hat den ganzen Raum nach der Form des Quadrats stilisiert, auch den Sessel. In Wien gab es ja auch den "Quadratl-Hoffmann". Der hat ähnliche Dinge gemacht.

STANDARD: Aber in Sachen Bauhaus heißt es doch immer Funktion, Funktion, Funktion!

Droste: Gropius ging es, wie gesagt, um die Beschäftigung mit Grundformen.

STANDARD: Das klingt nach einem Experiment.

Droste: Ja, das kann man so sagen. Es war ein Experiment.

STANDARD: Es fehlt noch der dritte Direktor, Ludwig Mies van der Rohe.

Droste: Richtig. Ihm ging es viel stärker als Gropius um eine Ästhetisierung des Raumes, zum Beispiel durch raumhohe Fenster und Türen, durch Blickbezüge und wertvolle Materialien, zum Beispiel für Türgriffe. Er wollte die Lebensqualitäten erhöhen. Mit dieser Botschaft hat er ganze Generationen von Architekten beeinflusst.

STANDARD: Sie sprachen vorher von Volksbedarf. Das Bauhaus wollte für die breite Masse entwerfen. Vieles von dem, was gestaltet wurde, war für diese allerdings unerschwinglich. Wie geht das zusammen?

Droste: Das Bauhaus war keine Fabrik. Es hat sich vorgenommen, exemplarisch zu arbeiten, Modelle und Prototypen zu entwickeln. In einem nächsten Schritt sollte die Industrie diese weiterverarbeiten. Da die Gebrauchsgüterindustrie seinerzeit bei weitem nicht den Standard von heute hatte, funktionierte das nicht in dem Maß, wie sich das Bauhaus das wünschte.

STANDARD: In Sachen, Architektur, Wohnen und Design sind die Wünsche der Menschen sehr individuell. Wie sollte also der Anspruch umgesetzt werden, einen Stil für alle zu finden? Das klingt doch sehr dogmatisch.

Droste: Wie gesagt, zur Zeit des Bauhauses herrschte das Maschinenzeitalter. Es kamen von den Produktionsbedingungen her nur genormte Lösungen infrage. Das sieht man auch im Bereich des Wohnungsbaus. Denken Sie nur an den sozialen Wohnbau in Wien nach dem Ersten Weltkrieg, zum Beispiel Ihren Karl-Marx-Hof. Heute kann die Industrie ganz anders produzieren, zum Beispiel in Kleinserien. Diese Entwicklung ließ mit den Jahrzehnten auch den Individualisierungsanspruch wachsen.

STANDARD: Lassen Sie uns über die Frauen und das Bauhaus sprechen. Die Gleichberechtigung, von der Bauhaus-Gründer Gropius am Anfang sprach, war letztendlich nicht gegeben.

Droste: Einerseits war es am frühen Bauhaus so, dass die Zahl der Frauen, die sich anmeldeten, wirklich alle überrascht hat. Sie dürfen auch nicht vergessen, dass 1919 viele Männer noch mit den Folgen des Ersten Weltkriegs konfrontiert waren. Ferner mussten Frauen aufgenommen werden, weil in der Weimarer Republik Lehr- und Lernfreiheit herrschte. Frauen standen allerdings im Ruf, "dilettantisch" zu arbeiten, deshalb wurden sie in die Textilwerkstatt geschickt.

STANDARD: Dabei heftet sich das Bauhaus die Fortschrittlichkeit besonders groß an die Fahnen. Das klingt nicht sehr fortschrittlich.

Droste: Ich finde, wir übernehmen zu häufig die negative Beurteilung der Textilwerkstatt. Die Frauen haben teilweise diese Werkstatt mitbegründet. Und sie haben sich ja nicht nur mit Sticken beschäftigt. Diese Frauen haben Techniken weiterentwickelt, die großes industrielles Potenzial hatten.

STANDARD: 100 Jahre später, also zum Jubiläum des Bauhauses, scheint vor allem in Deutschland das Brimborium nicht enden wollend. Das Programm ist kaum noch zu überblicken. Ist das Theater gerechtfertigt?

Droste: Ich denke, es wird ein bisschen zu groß aufgeblasen, weil im Moment fast die ganze Moderne unter dem Bauhaus subsumiert wird. Das hat auch schon zu Dissonanzen auf Konferenzen geführt. Sagen wir es so: Das Bauhaus wird im Moment ein wenig überbelastet.

STANDARD: Sie sprechen von Fachleuten, die sich in die Haare kriegen. Den Lesern von Zeitungen und Magazinen wird das Bauhaus als unfassbar großes, deutsches Kulturerbe verkauft. Wie groß ist es denn wirklich?

Droste: Das Bauhaus bzw. seine Schüler und der spätere Re-Import aus den USA haben tatsächlich in die gesamte Moderne hineingewirkt. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Bauhaus eine Eliteschule war. Viele Schüler waren hochbegabt und haben dieses Erbe in die ganze Welt getragen. Denken sie an Wilhelm Wagenfeld oder Max Bill.

STANDARD: Ihr Buch zum Bauhaus, das im Taschen-Verlag erscheint, umfasst 400 Seiten. Es gilt als Standardwerk, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Können Sie die Bedeutung des Bauhauses in einem Satz beschreiben?

Droste: Ich probiere es so: Das Bauhaus war eine Schule, in der gemeinsam exemplarische Lösungen für das Leben in der Moderne geschaffen werden sollten. In diesen Lösungen sollten Schönheit und Technik versöhnt werden. Diese Idee verfolge ich in meinem Buch über die 14 Jahre, in denen das Bauhaus existiert hat.

STANDARD: Wie würde die Welt heute ohne das Bauhaus aussehen?

Droste: Die Moderne hätte sich auch ohne das Bauhaus entwickelt. Das sieht man in Ländern wie Frankreich, Italien oder in den nordischen Ländern. Das Bauhaus wurde zum Label, zur Klammer für die Moderne.

STANDARD: Also würde sie nicht viel anders aussehen?

Droste: Ich glaube nicht.

STANDARD: Der Architekturkurator am Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt, Oliver Elser, sagte: "Das Bauhaus sollte kein Museum sein, sondern ein Brennglas aktueller Fragestellungen, nicht nur der Gestaltung." Pflichten Sie ihm bei? Und wenn ja, wie kann es diese Aufgabe heute noch erfüllen?

Droste: Faszinierend ist, dass die Lösungssuche am Bauhaus immer auch einen ethisch-moralischen Rahmen zeigt. Wenn dieser Rahmen, zu dem auch Kreativität, Radikalität und Modernität zählen, wegfällt, wird es problematisch, denn letztlich sind wir mit unserer Kreativität alle dem Neoliberalismus ausgeliefert oder lassen uns diesem ausliefern. Man könnte sagen, dass es der Bewegung sehr stark um das Allgemeinwohl ging. Im breitesten Sinne. Da lässt sich schon etwas abschauen.

STANDARD: Dennoch hat das Bauhaus sehr stark polarisiert. Für die einen waren die Bauhäusler gestalterische Propheten, für die anderen strenge Geschmacksdompteure. Josef Frank etwa brachte diese Formen der strengen Moderne mit "Militarismus" in Verbindung. Ist er zu streng?

Droste: Die Leute am Bauhaus waren schon manchmal sehr kompromisslos, das hat sie auch berühmt gemacht. Da waren die Wiener eben anders.

STANDARD: Gemütlicher?

Droste: Wahrscheinlich kann man das so sagen.

STANDARD: Ist das Bauhaus etwas typisch Deutsches?

Droste: Ich finde es sehr deutsch! Es ist deutsch in seinem Idealismus, in seinem Glücks- und Erlösungsversprechen, was die gute Form betrifft. Das Bauhaus hat diese Dinge institutionalisiert. Vielleicht hängt die Begeisterung für das Bauhaus in Deutschland auch damit zusammen. Es ging um die Identität des Guten, Wahren und Schönen, reicht in seinem Denken also bis in die griechische Antike zurück. Irgendwo möchten wir immer noch daran glauben.

STANDARD: Mit "wir" meinen Sie die Deutschen?

Droste: Vielleicht die anderen auch. Der Begriff "die gute Form" ist ja später durch Max Bill in der Schweiz geprägt worden. Es steht für eine Gestaltung, die zeitlos gültig sein sollte. Er studierte zwei Jahre am Bauhaus.

STANDARD: Vom Guten zum Bösen: Warum war das Bauhaus den Nazis ein solcher Dorn im Auge? Stilistisch und auch was die Theorien des Bauhauses betrifft, passte doch so manches zum "Geschmack" der Nazis.

Droste: Das trifft auf einige Bereiche zu, zum Beispiel auf das Grafikdesign der Zeitschriften und Illustrierten, auf Bereiche des Gebrauchsdesigns und die Gestaltung von Ausstellungen. Diese Moderne konnte aber nicht in das Staats- und Repräsentationsdesign eindringen. Da präferierten die Nazis eindeutig den Klassizismus.

STANDARD: Gropius hat sich dafür beworben, die Reichsbank in Berlin bauen zu dürfen.

Droste: Den Auftrag hätte er nie gekriegt. Sein Stil wäre in den Augen der Nationalsozialisten für einen solchen Bau nicht angemessen gewesen.

STANDARD: Die Nazis verdammten das Bauhaus als "jüdisch" und "bolschewistisch", und es musste zusperren. Was stand da noch dahinter?

Droste: Das gesamte Schulsystem wurde damals gleichgeschaltet, dem hat sich das Bauhaus widersetzt. Alles andere wäre ein Widerspruch gewesen. Ich denke auch, das war das große Glück des Bauhauses.

STANDARD: Sie meinen, dass das Ende des Bauhauses eigentlich ein neuer Anfang war, als Breuer, Gropius, van der Rohe etc. in die USA auswanderten und ihr Stil freier zu atmen schien?

Droste: Ja, das kann man sagen, die Bauhäusler, gerade jene um Gropius haben in einem engen Netzwerk bis zu seinem Tode zusammengearbeitet. Sie waren so erfolgreich, weil sie bereit waren, ihre Ideen den Umständen anzupassen. (Michael Hausenblas, RONDO, 15.3.2019)

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