1968 wurde der Koch und Autor Yotam Ottolenghi in Jerusalem geboren. Heute versorgt er seine Fangemeinde von London aus mit inspirierten, kniffreichen Rezepten.

Foto: Jonathan Lovekin

Der Name Ottolenghi ist für viele der Inbegriff einer überfordernden Zutatenliste. Denn bei seinem Za'atar, Isot Biber und Rosen-Harissa stoßen selbst Menschen, die für eine Mahlzeit die ganze Stadt durchqueren, an ihre Grenzen. Damit soll jetzt aber Schluss ein.

Wir treffen den Fünfzigjährigen Mitte Februar in Berlin. Die Stadt steht kopf, es ist Berlinale. Am selben Abend wird er sein aktuelles Werk Simple im Rahmen des Kulinarischen Kinos vorstellen. In dem Buch gibt es keine komplizierten Zutatenlisten oder elaborierte Gerichte. Es kommt mit einem Sechs-Punkte-System, von "Schnell fertig" über "Aus dem Vorrat" bis hin zu "Macht sich fast von allein" aus.

Geboren wurde Yotam Ottolenghi 1968 in Jerusalem, als Sohn einer Deutschen und eines Italieners. Nach einem Philosophie- und Literaturstudium und einer Ausbildung zum Koch und Pâtissier widmete er sich seinem Lebenswerk: der Welt die levantinische Küche schmackhaft zu machen. Seit vielen Jahren schreibt er eine Rezeptkolumne für den Guardian, seine Bücher stehen auf der ganzen Welt in den Regalen. Mit seinem Geschäftspartner Sami Tamimi betreibt er in London zwei Restaurants, zwei Delis und zwei Feinkostgeschäfte. Auf seiner Website heißt es, er versuche sehr angestrengt, etwas anderes zu tun, als zu essen. Ebenfalls von ihm stammt der Satz: "Das Beste am Kochen ist noch immer das Essen." Klingt simpel.

STANDARD: So viele Kochbücher, so viele Kochshows, und doch stellen sich immer weniger Menschen an den Herd. Muss Kochen vereinfacht werden, wie Sie es in Ihrem aktuellen Buch vorschlagen?

Yotam Ottolenghi: In gewisser Weise schon. Ich habe das Gefühl, wir haben einen Tiefpunkt erreicht, ab jetzt geht es aufwärts. Den Leuten wird bewusst, dass Kochen eine Gabe ist, die in Gefahr ist verlorenzugehen. Sie sind eingeschüchtert von den Bildern im Fernsehen, sie denken, so kriege ich das nicht hin, und lassen es ganz. Dabei weiß man nicht einmal, ob die Sachen überhaupt schmecken, sie sehen nur gut aus. Für mich bedeutet Kochen Kompetenz. Anstatt sich jedes Mal neu zu erfinden, sobald man eine Küche betritt, sollte man dasselbe Gericht wieder und wieder zubereiten. Kochen soll doch entspannen! Darum geht es in Simple: das Leben stressfreier zu machen.

STANDARD: Wie oft muss man dasselbe Gericht kochen, bis es perfekt ist?

Ottolenghi: Das kommt auf das Gericht an. Nehmen wir die Hühnerkeulen Marbella mit Datteln, Oliven und Kapern als Beispiel. Sie gelingen beim ersten Versuch. Denn genau genommen schmeißt man alle Zutaten über Nacht in einen Topf; am nächsten Tag geht es ab damit in den Ofen. Die einzige Gefahr besteht darin, das Huhn zu überbacken. Um das zu verhindern, hilft ein Küchenthermometer. Andere Dinge erfordern etwas Übung, Zwiebeln oder Knoblauch schneiden zum Beispiel, aber nach zwei, drei Mal sollte es funktionieren. Generell lohnt es sich, an einer Sache dranzubleiben. Haben Sie keine Angst davor, Ihren Freunden dasselbe Gericht mehrmals vorzusetzen. Keiner wird gelangweilt sein, schließlich gibt es köstliches Essen! Manchmal schmunzle ich über Gastgeber, die zum ersten Mal einen Trend ausprobieren und denken: Jetzt meistere ich die vietnamesische Küche! So viel Ehrgeiz in Ehren, aber es dauert lange, sich etwas Fremdes zu eigen zu machen. Ehrlich gesagt, kriegt man ihre Gerichte in besserer Ausführung an jeder Ecke.

STANDARD: Fällt Ihnen ein Gericht ein, für dessen Vollendung Sie wirklich lange gebraucht haben?

Ottolenghi: Gerichte, die verschiedene Techniken erfordern. Ein Pie zum Beispiel. Als ich vor zwanzig Jahren in der Londoner Kochschule Le Cordon Bleu begonnen habe zu backen, fand ich das Teigrollen besonders trickreich. Je fetter der Teig, desto eher läuft er Gefahr zu brechen, wenn er warm wird. Man muss schnell sein. Nach zehn, zwölf Mal bekommt man ein Gefühl dafür.

STANDARD: Ist Backen schwieriger als Kochen?

Ottolenghi: Nein, das glaube ich nicht. Kuchenbacken ist leichter, als einen Fisch zuzubereiten. Mit einem guten Rezept, genauen Messinstrumenten und einem ordentlichen Ofen kann kaum etwas schiefgehen. 120 Gramm Mehl sind 120 Gramm Mehl. Natürlich gibt es aufwendigere Backwerke wie Rouladen, aber Cookies oder ein einfacher Sponge-Cake sind wirklich kein Hexenwerk. Ein Fisch hingegen kann leicht überkocht werden. Natürliche Zutaten wie Gemüse oder ein Stück Fleisch verzeihen so viel weniger Unachtsamkeit.

STANDARD: Auch Gemüse kann kompliziert sein?

Ottolenghi: Ja, auch das kann unter- oder überkocht werden.

STANDARD: Für viele ist Zucker ja negativ besetzt, und man versucht, ihn so gut wie möglich wegzulassen. Warum eigentlich?

Ottolenghi: Unsere Beziehung zu Zucker ist kompliziert und irrational. Das liegt daran, dass er überall dort auftaucht, wo er nicht hingehört, in Fertiggerichten, süßen Säften, Snacks. Jemandem einen Geburtstagskuchen zu backen oder Kekse für Kinder hingegen ist Teil unseres kulturellen Erbes. Unsere Obsession mit Zucker läuft Gefahr, eine ganze Palette wunderschöner Produkte zu verderben. Konsumieren Sie Zucker in angemessener, durchdachter Form und nicht kopflos fünfmal am Tag.

STANDARD: Ihre Rezeptkolumne im Guardian ist legendär. Kürzlich stellten Sie ein Menü für Studenten vor. Ist einfaches Essen immer günstig?

Ottolenghi: Nicht zwangsläufig, aber meistens ja. Man benutzt weniger, leichter verfügbare Zutaten. Die Idee war, ein dreigängiges Menü rund um zwei Dosen Kichererbsen und eine Dose Kokosmilch zu kreieren. Bohnen aus der Dose oder Tiefkühltruhe sind voller Geschmack und Vitamine. Ich kann dazu nur raten.

STANDARD: Andersherum gefragt: Kann ein Zweihundert-Euro-Menü simpel sein?

Ottolenghi: In den meisten gehobenen Restaurants sind die Preise eher mit dem Aufwand als mit den Zutaten zu rechtfertigen. Damit habe ich kein Problem. Vergleichen wir es mit einem Konzertbesuch: Man sieht, was Menschen erreicht, welche Grenzen sie eingerissen haben. Ich verstehe Leute nicht, die fragen: Warum soll ich so viel Geld für Essen bezahlen? Essen ist kein Treibstoff, Kochen eine Errungenschaft, das soll entlohnt werden, sofern man es sich leisten kann. Außerdem ist es etwas Besonderes. In die Philharmonie geht man ja auch nur ein paar Mal im Jahr.

STANDARD: Was halten Sie von Clean Eating?

Ottolenghi: Dieses Konzept akzeptiere ich nicht, weil es auf der Annahme basiert, es gebe eine richtige und eine falsche Art zu essen. Leute vertrauen ihren Instinkten nicht mehr. Außerdem halte ich es aus wissenschaftlicher Sicht falsch zu glauben, eine bestimmte Diät würde zu Gesundheit führen. Essen Sie ausgewogen und mit Freude, das ist viel vernünftiger.

STANDARD: Was ist mit veganem Essen?

Ottolenghi: Das ist mir viel sympathischer. Aus moralischer Sicht sollten wir uns alle vegan ernähren. Dass wir es nicht tun, liegt daran, dass wir menschlich sind und fehlbar. Dabei sind kleine Schritte zielführender als Radikalität. Manche ernähren sich ein halbes Jahr lang vegan und werfen dann das Handtuch. In meinem neuen Buch ist etwa ein Drittel der Rezepte pflanzlich, reiner Zufall. Ich hoffe, wir greifen in Zukunft auf mehr vegane Speisen zurück, aber nicht ausschließlich.

STANDARD: Fällt Ihnen eine einfache Zutat ein, die als Allrounder taugt?

Ottolenghi: Für mich ist das Tahini, sowohl in süßen als auch herzhaften Gerichten. In einer meiner Kochvorführungen im Frühstücksfernsehen habe ich die Sesampaste mit Zitronensaft, Knoblauch und enorm viel Petersilie zusammen mit ein bisschen Wasser in eine Küchenmaschine gegeben und hatte zwanzig Sekunden später eine göttliche grüne Soße.

STANDARD: Stichwort Küchenmaschine: Wie simpel können wir uns Ihre in eigenen Worten "unsexy" Testküche vorstellen?

Ottolenghi: Die ist genau wie meine private Küche tatsächlich sehr einfach gehalten, ohne Hightech-Geräte. Ich möchte keine Ausstattung verwenden, die meine Leser nicht zu Hause haben. In meinen Restaurants ist das anders, dort haben wir Sous-vide-Geräte und Dampfgarer.

STANDARD: Haben Ihre Eltern Sie als Kind in schicke Restaurants ausgeführt?

Ottolenghi: Das nicht, aber wir waren oft auswärts essen. Ich erinnere mich an ein Gericht, das es nur in einem bestimmten Restaurant in Jerusalem gab, weil es nicht koscher war: Shrimps mit Butter und Knoblauch, eine herrliche Kombination. Jedes Mal, wenn wir dort essen gingen, war ich davor ganz aufgeregt.

STANDARD: Ich liebe frisches Brot mit Butter. Was ist Ihr unaufgeregtes Lieblingsessen?

Ottolenghi: Brot mit Butter, herrlich! Dann gebe ich Ihnen einen Tipp, das nahöstliche Äquivalent eines Peanutbutter-Sandwichs: Brot mit Tahini und einem süßen Topping, Honig, Dattel- oder Granatapfelsirup. Manchmal schmiere ich unter das Tahini zusätzlich Butter. Etwas Einfacheres und zugleich Köstlicheres gibt es kaum. (Eva Biringer, RONDO, 22.3.2019)


Der Autor Yotam Ottolenghi aus Großbritannien ist bekannt für seine anspruchsvollen Rezepte mit vielen Zutaten. In "Simple" hingegen, geht es um einfache Gerichte.
Foto: Jonathan Lovekin

Yotam Ottolenghi
Simple
Das Kochbuch
Dorling Kindersley Verlag, 2018
320 Seiten, 28,80 Euro